Endlich Meer

Wir entscheiden, mit dem Zug nach Constanta zu fahren und kaufen uns Tickets für den nächsten Morgen kurz nach 8. Wie töricht. Natürlich wachen wir nach 9 auf, ohne eine Ahnung, was mit dem Wecker war. Der teuflische Plan besteht daraufhin darin, einfach den gleichen Zug am nächsten Morgen zu nehmen und die „Ich bin ein deutscher Touri und verstehe nichts“-Nummer zu spielen, falls es brenzlig wird.

deutsche Touris

Gesagt, getan, am nächsten Morgen steigen wir in aller Herrgottsfrühe in den Zug.

Die „Ich bin ein deutscher Touri und verstehe nichts“-Nummer zieht leider überhaupt nicht, die Kontrolleure weigern sich beharrlich, unser Ticket zu stempeln. Englisch ist, na klar, nur sehr begrenzt und so sind wir wieder mal auf mittelschwere Wunder angewiesen. Das kommt in Gestalt von Christian daher: Seineszeichens schwuler Psychologe für rumänische Drönabhängige und gerade vor allem interessant, weil er uns gegenüber sitzt. Erst wird mithilfe seiner Mutter am Telefon wie wild hin&her gedolmetscht: Rumänisch, Deutsch, Englisch, Spanisch, alles ist dabei. So können wir den Schaffnern klarmachen, dass wir nicht erneut für ein Ticket zahlen werden (zumal sich der Preis mittlerweile verdoppelt hat). Als wir an der nächsten Station irgendwo in der Walachei (stimmt fast im wörtlichen Sinne) aussteigen sollen, haben wir darauf nicht mehr so Bock. Ein Backsteinhäuschen im Nirgendwo und 5 Stunden auf den nächsten Zug warten, die Kombi ist jetzt nicht ultra-verlockend. Findet auch Chris und erklärt auf Spanisch, dass sich die Schaffner mit 20€ ein schönes Mittagessen gönnen könnten. „Me entiendes?“ Si claro: Zwicke zwischen die Fahrscheine gesteckt und die Schaffner gebeten, sich das Datum nochmal ganz genau anzuschauen.

Stempel drauf, weiterfahren. 1. aktive Bestechung: Check!

Wir nehmen den Bus in den Norden, zu den Stränden von Mamaia, eine Empfehlung, die uns Chris zusammen mit seiner Handynummer für Notfälle gegeben hat.

Meer

Licht und Schatten des Massentourismus fallen hier brutal auf uns herab. Die Strandpromenade mit ihren Cafés und Kiosken, mit ihren Restaurants und natürlich ihren hunderten Hotels einsnebendemandern, auf der sich während der Sommermonate bestimmt tausende Touris drängeln, ist einen Monat später wie leergefegt. Menschenleere Strände und Buchten bis zum Horizont, wo sich majestätisch der Industrie- und Ölhafen erhebt.

mehr Meer

mehr Meer

Wir chillen den Tag über auf den Liegen am Strand einer sich gerade noch im Bau befindlichen Bettenburg.

Da alle Restaurants geschlossen sind, geht’s zum 24/7 Minimarket, um Brot und Belag einzukaufen. Dieser hat sich perfekt an die Bedürfnisse seiner Kunde in dieser Saison angepasst: Die Atzen vom Bau. Eine 6-türige Glasfront gewährt Ausblick auf Unmengen an Bier in allen erdenklichen Formen, Größen und Farben. Die anderen Schränke, die nebenan minderwertige nichtalkoholische Getränke und Lebensmittel anbieten wirken kläglich und angestaubt.

Wir campen diese Nacht direkt auf dem Strand, wodurch wir mitternachts bei Vollmond in’s Meer rennen können.

Geil.

Morgen am Meer

Morgen am Meer

Bukarest

Die Zeit in Bukarest vergeht viel zu schnell. Julia kommt mich aus Berlin besuchen, tagsüber besichtigen wir die Altstadt. Gleich am ersten Tag lernen wir beim überdieStraßegehen Salem kennen. Der ist Franzose und zum Fürgeldstudierenweilabizuschlecht nach Rumänien gekommen.

Erstmal ein Eis, dann sehen wir weiter

Er wohnt also ganz frisch in Timisoara und muss in Bukarest sein Visa-Zeug klären. Nebenbei macht er Power-Sightseeing. In atemberaubender Geschwindigkeit schleift er uns durch die Stadt (die er schon ein wenig besser kennt), in der rechten Hand immer sein Fotohandy, mit dem er dank großer Speicherkarte „plein de photos“ machen kann. Natürlich on-the-go, Zeit ist immerhin Geld. Der einzige Ort, an dem wir länger bleiben, ist gleichzeitig sein Lieblingsort in jeder Stadt der Welt: Die überdimensionierte Shopping-mall, Paradies für fastfoodliebende Konsumopfer, Leute eben, die alles auf einmal brauchen. Eigentlich genau mein Profil, jedoch habe ich mittlerweile schon den Anspruch, auf meiner Reise ein wenig mehr zu erleben als Level 2 im Autorennsimulator oder Safari mit Stofftieren.

Level up

Salem ist der perfekte Repräsentant unserer Generation, wie sie sein müsste, damit unsere Eltern noch volle Rentenbezüge erhalten (da aber nicht alle so sind wird es eher so enden.): Arbeitsam, konsumierend und gnadenlos effizient.

Arc de Triomphe auf rumaenisch

Abends gönnen Julia und ich uns etwas Urlaubsgemütlichkeit, kochen zusammen und reden über Gott und die Welt.

im japanischen Garten

im japanischen Garten

Ein erstes Highlight unserer Touriaktivitäten wird die Tour durch den Chausescu-Palast, Monument des letzten europäischen Diktators für das seinerzeit 1/3 der Stadt plattgemacht und 40.000 Menschen superkurzfristig umgesiedelt wurden. Das Ding ist einfach nur fett, das zweitgrößte Gebäude der Welt eben, nur das Pentagon ist flächenmässig noch weiter vorn.

Da ist das Ding!

auf dem Balkon des Prunkpalastes

La Roumanie, c’est moi. Un jour peut-etre…

Schlaraffenland

Am Busbahnhof wartet George auf mich, ein Freund der Familie Gründel, in deren Wohnung ich in Bukarest wohnen darf. Zum Glück konnte ich den über SMS auf dem Laufenden halten und er hat nicht fünf Stunden, sondern nur rund eine warten müssen. George fährt mich mit dem Auto zu der Wohnung, unterwegs kommen wir an der Stadtmitte inklusive sozialisatscher Prachtstraßen und Chausescu-Palast vorbei.

Bukarest

In der Wohnung ist alles vorbereitet. Betten frisch bezogen, Handtücher gewaschen und nachdem George losgezogen ist sogar der Kühlschrank gefüllt. Außerdem bekomme ich mit Metro-Tickets, aufgeladenem Prepaid-Handy und einheimischer Währung ein Bukarest-Starter-Kit, welches Julia und mir später viel Geld und Stress erspart. Wie im Hotel hier, nur besser.

Waschmaschine gibt’s auch… geht aber leider nicht

Ich bin total froh, mich nach den ganzen Reisestrapazen einfach nur ausruhen zu können und danke in Gedanken Marie, ihrer Mutter Cristina, George und der Nachbarin, die hier innerhalb einer Nacht (so spät habe ich mich angekündigt) alles hergerichtet hat. Das soll nicht der letzte Dank an die alle gewesen sein. „I don’t want to father you“ betont George noch, bevor er loszieht, um sich um weitere Dinge für uns zu kümmern.

Die Räder vom Bus rollen dahin, rollen dahin, rollen dahin…

Ich verabschiede mich von Dean und Hare Krsna, nachdem ich ausgeschlafen habe. Wir beide bedauern, dass wir nicht mehr miteinander quatschen konnten. Ein Grund mehr, nach Istanbul zurückzukommen.

Bye Istanbul

Bye Istanbul

Ich fahre zum großen Busbahnhof und versuche mich zwischen über 100 Ticketbüros von jeweils verschiedenen Reiseveranstaltern zurechtzufinden. Alle haben hier tolle Angebote für mich! Kaum zu glauben, dass ich nirgendwo zuschlage, so wie die das hier anpreisen.
Ich finde tatsächlich ein Unternehmen, das auch in meine Richtung fährt. Als ich weiterlaufe, weil ich erstmal Preise vergleichen will, zerrt mich der Nächste in sein Büro und behauptet, der einzige Bus nach Bukarest würde mit seinem Unternehmen fahren. Ich zeige ihm die Karte von dem Menschen, der mir vor 2 Minuten das Gleiche erzählt hat. Er schimpft einen türkischen Wortschwall, der ungefähr „Wenn hier jemand nach Bukarest fährt, dann ja wohl mit meinem Bus!“ heißen muss und zerreißt das Kärtchen. Von so viel Aktionismus beeindruckt, buche ich bei ihm.
Zum Bezahlen muss ich an den Geldautomaten, der Mitarbeiter treibt mich zur Eile. Aber der Bus fährt doch erst in 20 Minuten? Ja stimmt, aber leider nicht hier, sondern woanders in der Stadt. Oh, na dann Beeilung! Der Typ bringt mich zur Metro, wir hetzen durch die Stadt und an irgendeiner Metrohaltestelle sammelt mich tatsächlich der Fernreisebus ein. Alle anderen Menschen sitzen schon drin, ich bin quasi VIP. Was fürn Service, komische Nummer.

Ich bin VIP

An der geliebten türkisch-bulgarischen Grenze brauchen wir wieder geschlagene 4 Stunden. 1 Stunde lang behaupten meine Mitfahrer noch, dass alles wie immer sei, aber dann wird’s auch denen anstrengend. ööööde. Ein bisschen Spannung kommt wenigstens auf, weil ich für ein paar Rumänen 2 Schachteln Kippen und einen Sack voll Parfum-Flacons, den mir der zweite Busfahrer lächelnd in den Rucksack stopft, über die Grenze schmuggel.

Als wir über die Grenze sind freuen sich alle, dass nur 3, 4 T-Shirts vom Zoll einkassiert wurden. Das ist unglücklicherweise aber nicht das Ende vom Lied: Die Grenzer an der Grenze Bulgarien-Rumänien haben anscheinend Lagenweile – Pech gehabt. Sie lassen den Bus nach kurzer (und bestimmt positiver) Gepäck-Stichprobenkontrolle in ein Spezialgebäude vom Zoll fahren und nehmen ihn dort im wahrsten Sinne des Wortes komplett auseinander. Huch, da sind ja 200kg adidas-Jacken „originalverpackt“ drin. Ein Paket nach dem andern wird aus dem Bus geholt, aufgeschnitten und zur Seite gepackt. Ich versuche genau aufzupassen, was passiert, es wird aber sehr strange, so dass ich hier nur Bruchstücke wiedergeben kann.

Anscheinend ist es die Buscrew selbst, die sich mit Schmuggel von Markenklamotten nach Europa ein Taschengeld dazuverdienen will. Die „normalen“ Passagiere werden in den Bus zurückgebeten. Der Bus fährt raus, die großen Schiebetüren gehen zu. Da drin läuft der Deal jetzt ab. Mein Sitznachbar Nico hat da anscheinend auch Eisen im Feür, er wird rausgerufen und zählt noch am Platz 5000€ in 500€-Scheinen in die Hand und gesellt sich zu den Verhandelnden. Mehrere Getränke und Stangen Zigaretten wandern nach draußen. Aus dem Fenster beobachte ich, wie 3 Pakete Shirts (Urspünglich waren das so 15) in’s Polizeiauto geladen werden, die 2 Wortführer der Crew müssen auch mit. Die Gepäcktür geht auf und es werden Dinge in den Bus zurückgeladen. Ich zähle 1 und 1 zusammen. Ist der Grenzpolizei doch irgendwie auch egal, ob sich europäische Kiddies mit echten oder falschen Markenshirts krass fühlen. Einzeln verpackte Klamotten und Paar Schuhe werden an bestimmte Personen im Bus durchgereicht. Dann warten wir noch 2 Stunden, bis alle Geiseln freigelassen werden und es weitergehen kann. Leider verstehe ich kein Wort von dem, was gesprochen wurde und durch den Bus gemurmelt wird, aber die Gestik von Nico sagt alles: „Diesmal wurden wir richtig gefickt!“

Ok, schlimmste Busfahrt meines Lebens. Aaaaber das ist noch nicht alles: Da wäre noch das Handy vom Polizeibeamten, das bei der Kontrolle irgendeiner von den Bekloppten um mich herum geklaut hat. Wir kommen 50km weiter, bis der das merkt und uns über Funk anhalten lässt. Halbe Stunde auf die warten, halbe Stunde diskutieren, Bakshish. Wieder ’ne Stunde rum. Da wir zwischendurch immer gut aufgeholt haben, liegt die aktülle Verspätung bei schlappen 4 Stunden.

Jetzt aber auf nach Bukarest. Ich zähle die Meilensteine. 30, 29, 28km. Wir halten an. Ich vermute das Schlimmste. Nur Klopause. 23, 22, 21km. Wir werden von der Verkehrspolizei angehalten. Routinekontrolle. Halbe Stunde und Bakshish weg. „Rumänische Verkehrskontrolle“ lacht Nico neben mir. Immerhin kann er noch lachen.

Um 9:30 Uhr rollen wir tatsächlich im Bukarester Busbahnhof ein. Ich hätte es bald nicht mehr für möglich gehalten. 5 Stunden Verspätung und Horrortrip erfolgreich hinter mich gebracht.

Hallo Bukarest

Hallo Bukarest

 

Ciao Felix!

Wir gönnen uns heute eine grasse-matinee. Nach dem Frühstück steige ich mit Heiner und Petra auf den Galata-Turm und habe zum letzten Mal eine atemberaubende Aussicht auf die einzige Stadt, die auf 2 Kontinenten liegt.

Wo sich Bosporus und Goldenes Horn treffen

Wo sich Bosporus und Goldenes Horn treffen

Auf dem Galata-Turm mit Heiner und Petra

Auf dem Galata-Turm mit Heiner und Petra

Felix entscheidet, über Griechenland heimzureisen. Unsere Wege trennen sich also morgen früh. Zum feierlichen Abschluss besiegen wir die Computergegner von AOEII noch ein paar Mal. Der Typ im Internetcafe begrüßt uns mittlerweile mit Handschlag, wir bekommen Gratis-Tee und dürfen von seinem Kebap abbeissen.

Danke Dir Felix für die tollen Tage, die wir zusammen hatten! Wer weiß wie es bei uns weitergeht, Du warst ein super Reisegefährte und wir haben Dinge erlebt, die mir allein auf keinen Fall passiert wären. Das war bestimmt nicht unsere letzte gemeinsame Tour, also: Viel Spaß Dir und bis zum nächsten Mal!

Bis(s) zum naechsten Mal!

Bis(s) zum naechsten Mal!

Prinzeninseln

Wir schlafen im Tempel nicht besonders gut und werden nachts von mehreren Plagen heimgesucht.

Das indische Kulturzentrum

Das indische Kulturzentrum alias Sektentempel

Für 5 Türkische Lira fahren wir mit dem Schiff auf die Prinzeninseln, die ein paar Kilometer vor der asiatischen Stadtküste liegen. Wir schlendern über die größte der 4 Inseln. Hier fahren keine Autos, nur Fahrräder, Elektroscooter und Kutschen, was ein lustiges Straßenverkehrsbild produziert. Besonders interessant finde ich die Säcke, die hinter den Pferden aufgespannt sind, damit sie während des Laufens kacken können. Da war wohl ein BWLer am Werk, nur noch eine Frage der Zeit, bis das auch für Menschen rauskommt.

Leider ist der komplette Strand hier privatisiert und man kommt gar nicht oder nur für zu viel Geld drauf.
Die Kohle sparen wir uns lieber, um heute nightlife-technisch mal richtig in die Vollen zu gehen: Wir zocken bis 4 Uhr morgens Age of Empires im benachbarten Internetcafe.

Familiengeschichten

Bevor wir heute Abend im Hare-Krsna-Tempel einziehen, wollen wir noch ein wenig sightseen. Der Topkapi-Palast ist dienstags (weiß der Geier warum) geschlossen, deshalb ziehen wir weiter zur Hagia Sophia, eine ursprünglich christliche Kirche, die unter den Osmanen in eine Moschee und unter einem späteren türkischen Präsidenten in ein Museum umfunktioniert wurde.

Die Hagia Sophia von draussen

Die Hagia Sophia von draussen

Als wir in der Schlange ob des unheimlich teuren Eintritts kurz zögern reinzugehen, entdecke ich keine 50m entfernt meinen Großcousin Heiner mit seiner Frau Petra. „Zufälle gibt’s“ denke ich und denken wohl auch die beiden, als ich sie von der Seite johlend anspringe. Wir verabreden uns auf einen Abendspaziergang und Felix und ich entscheiden uns den Eintritt zu latzen, es ist ja immerhin eines der wichtigsten Gotteshäuser der Menschheit. Wir sind einigermaßen enttäuscht vom Interieur, nach 1 Runde Penis-Spiel (Felix hat echt gar keine Scham!) und ein paar Tourifotos läuft uns zu allem Überfluss noch eine Lehrerin meiner Schule über den Weg, die mich glücklicherweise aber nicht erkennt.

Die Hagia Sophia von innen

Die Hagia Sophia von innen

Wir bewerten die Preis-Leistung als insgesamt zu dünne und bevor wir rausgehen xxxxx wir wenigstens noch xxxxx xxxxxxxxxxx xxxxx xx xxx xxxx. (Dieser Schabernack musste hier im öffentlichen Bereich zensiert werden. Wer ahnt, welches Unheil wir vollbracht haben, kann mir eine Nachricht mit seiner Vermutung und seiner Adresse zukommen lassen. Bei richtiger Antwort gibt’s eine Postkarte aus der nächsten Stadt, in der ich bin. Nur so lange der Vorrat reicht!)

Der Galata-Turm

Der Galata-Turm

Am Abend laden mich Heiner und Petra auf sündhaft teures Bier ein, während wir am Fuße des Galata-Turms ein Pläuschen halten. Danke an dieser Stelle dafür.

İstanbul

Wir stehen auf und werden nach kurzer Zeit von einem Dutzend türkischer Jungs belagert, mit denen wir uns eine Quallenschlacht liefern und die zeigen, wie man einfach türkisch tanzen kann.

Als wir mit dem ÖPNV nach Istanbul-Harem (der Busbahnhof auf der asiatischen Seite) reinfahren, denken wir alle 5 Minuten, dass wir doch jetzt mal da sein müssten. Riesige Wolkenkratzer, Hauptstraßen und Prunkgebäude lassen immer wieder das Stadtzentrum a la Potsdamer Platz vermuten. Trotzdem brauchen wir noch über eineinhalb Stunden um im Zentrum der kleineren (!) Seite anzukommen.

Level 1: Ankommen. Level 2: Straße überqueren.

Level 1: Ankommen. Level 2: Straße überqueren.

Am Busbahnhof treffen wir Ugur, der uns bereitwillig erklärt, wie wir am günstigsten wo hin kommen und uns auch gleich noch zu sich nach Hause einläd. Dort könnten wir auch schlafen, wenn wir ihn nur um 22 Uhr zu seinem Feierabend wieder abholten. Die Zeit bis dahin verbringen wir damit Üşküdar zu erkunden. Rechtzeitig wollen wir aufbrechen, bis ich um 21:50 GMT+3h merke, dass ich meine Uhr seit der Zeitzonengrenze noch nicht umgestellt habe. Felix hat eh noch nie eine besessen. Im Sauseschritt mit den „fat ladies“ (wie wir die Rucksäcke liebevoll getauft haben) auf dem Rücken kommen wir schweißgebadet zu spät in Harem an – Ugur ist schon weg.

Jetzt muss schnell Plan B her. Der sieht vor, in ein Hostel einzuchecken. Die gibt es allerdings fast ausschließlich auf europäischer Seite. Als wir das letzte Boot rüber nehmen wollen, ist dieses bereits voll. Und zwar nicht voll im Sinne von „die von Statistikern berechnete maximale Belastung ist erreicht“ sondern voll im Sinne von „nicht mal Lobosch hält es für eine gute Idee, da noch draufzuklettern“, die Leute hängen an der Reeling.

Europa

Europa

Das gleiche Problem haben zwei türkische Mädels auch und wir trauen ihnen eher als uns zu, heute noch einen Weg nach Europa zu finden. Ohne Nachfragen setzen wir uns ins Taxi, rasen nach Üşküdar zurück und steigen dort in einen kleinen Kahn um.

Mit Europa unter den Füßen glauben wir wieder an eine accomodation und tatsächlich: Mit Hilfe eines offenen W-LANs und vieler netter Menschen, die für uns den Weg zeigen, uns begleiten oder für uns telefonieren finden wir zum EastWestHostel in einer Nebenstraße der Istiklal, der Partymeile İstanbuls.

Das Frühstück am nächsten Morgen bringt Ernüchterung und Erleichterung zugleich: Fast jeder hier im Hostel spricht deutsch. Wir haben uns mit Robin und Maria verabredet, zwei Studienkolleg_innen (pra!), die an ein Europaprojekt in 4 Städten noch ein bisschen Istanbul-Urlaub gehängt haben. Als wir uns über den großen Basar und durch schiere Menschenmassen drängeln, halten wir es für ein schwieriges Unterfangen in dieser Stadt überhaupt irgendwann irgendwen zu treffen.

Türkischer Basar

Türkischer Basar

Die ganzen Eindrücke überfordern mich und ich glaube, man muss İstanbul selber gesehen, gespürt, gerochen und gefühlt haben, um zu wissen, was ich meine. Jedenfalls kann ich es an dieser Stelle nicht adäquat in Worte fassen.

vor der blauen Moschee

vor der blauen Moschee

Wir treffen Maria und Robin in der blauen Moschee, die mich aber nach meiner Erfahrung in Sarajevonicht mehr so flasht. Im Anschluß erstehen wir gemeinsam Postkarten und lange, zermürbende und blutig geführte Verhandlungen darum, wer welche Karte an wen schicken darf, beginnen. Wenn also jemand von uns eine Karte mit 2 oder mehr unterschiedlichen Handschriften, oder leicht eingerissenen Seiten bekommt, weiß er Bescheid, woher es kommt.

Wenn drei sich streiten...

Wenn drei sich streiten…

Am Abend können wir uns für keine der vielen Bars entscheiden (manche von uns haben ein Problem mit den Leuten hier, anderen ist da die Musik zu schlecht) und verbringen die meiste Zeit flanierend auf der Straße. Dabei lernen wir den Straßenhändler Dschingis kennen, der in Deutschland studiert hat und jetzt in İstanbul mal Gedichte, mal Luftballons und mal (wie heute Abend) Muscheln verkauft (für politisch unkorrekte Stimmungsmusik hier klicken.). Dschingis bietet uns an, uns eine Unterkunft für die Hälfte vom Hostelpreis klarzumachen. Als wir uns interessiert zeigen, führt er uns in ein indisches Kulturzentrum, welches von seinem Kumpel Dean geleitet wird. Dean versucht eine türkische Hare Krishna-Gemeinde aufzubauen, er ist Inder und kommt aus London. Wir verabreden die Schlüsselübergabe für den nächsten Tag und schlafen nochmal im Hostel.

Staatsmacht und Gastfreundschaft

Wir brauchen 4 Stunden durch den Stau der Stadt. Um kurz nach 3 Uhr bitten wir Levan uns rauszulasssen, wir haben das Gefühl, hier einen exklusiven Campingplatz zu finden. Es vergeht eine Stunde in der wir von der Autobahn herunterlaufen, mit waghalsigen Kletter- und Sprungaktionen das Ufer erreichen, nur um es für felsig und ungeeignet zu befinden, wieder zurückzugehen, über die Autobahn und eine Schnellstraße klettern, einen Hügel hinaufstapfen, bis wir ein Schild mit einem dreieckigen Campingplatzsymbol erreichen (es köntte jedenfalls Campingplatz bedeuten).

Als wir zum Torbogen, der den Eingang des eingezäunten Geländes markiert, kommen, können wir darauf „JANDARMA“ lesen. Ich behaupte, dass das Polizei heißen muss, werde aber eines Besseren belehrt, als der Typ am Eingang uns auf Türkisch anbrüllt und seine M16 auf uns richtet. Leider wissen wir nicht, ob er „Kommt mit erhobenen Händen näher!“ oder „Ich zähle bis 3, dann schieße ich. 1,2…“ oder „Lang lebe Erdogan!“ brüllt. Der Köter, der kläffend zwischen und steht, macht die Kommunikation über 150m nicht gerade einfacher. Wir trauen uns keinen Schritt näher heran und so warten wir, bis der Wachmann seinen General aus der Kaserne geholt hat. Der winkt uns rein, guckt, ob in Felix‘ Gitarrentasche nicht eine Waffe drin sein könnte, kassiert unsere Pässe und läd uns im Aufenthaltsraum ab.

Nach und nach kommt die halbe Belegschaft rein, Soldaten in unserem Alter, die meisten in Jogginganzügen, weil natürlich längst Nachtruhe war. Alle sprechen nur türkisch und unsere Konversationen mit jedem einzelnen gehen ungefähr gleich: wir zeigen auf uns und sagen „Almanya, Berlin“. Sie sagen „Ahh, Almanya. Futbol? Bayern Münih?“ Wir sagen “ Jaja, futbol. Galatasaray, Fenerbahce, Beşiktaş.“ und natürlich „Mesut Özil“. Dann freuen wir uns alle und lachen uns an. Danke, Mesut, den Integrations-Bambi hast Du Dir echt verdient. Dann lässt der General jemanden wecken, der Englisch spricht. Ferhad kommt völlig verpennt aus seiner Koje und muss während seines 5-monatigen Wehrdienstes für irgendwelche Spinner den Übersetzer spielen. Der General kommt alle Nase lang rein und stellt ein paar Fragen, vor allem will er wissen, wie wir in dieser gottverlassenen Gegend gelandet sind und wo wir denn jetzt gedenkten hinzugehen. Wir erklären mehrmals, dass wir uns eigentlich nur auf’s Ohr hauen wollen und ein Plätzchen für unsere Zelte suchen. Es vergeht eine Stunde im Warteraum, ein Kollege hat mittlerweile die Aufzeichnung von Barça vs. Granda auf dem Plasma-Fernseher aufgelegt und uns wurden Wasser und Obst angereicht. Ferhad erklärt uns jetzt den Weg zur nächsten Wiese: Die Autobahn Richtung Istanbul 5km runter und da dann am Ufer. „Any questions?“ Nö. Da jetzt noch hinzulaufen haben wir aber 0 Bock.

Thank you, Ferhad!

Thank you, Ferhad!

Wir gehen raus und Ferhad lacht und betont, dass man auf die türkische Gastfreundschaft noch etwas geben könne, sie fahren uns hin. Und so cruisen wir im Feldjägerbus mit 5 Mann Eskorte dahin. Der Wachmann der Kaserne entschuldigt sich noch, als wir vorbeikommen, er hatte wohl genauso viel Schiss wie wir vorhin.

Wir werden an einer Wiese direkt am Meer abgeladen und grillen im Morgengrauen noch unser bulgarisches Fleisch.

Türkiye

Als wir aufstehen, wissen wir nicht, wie spät es ist. Alle elektronischen Geräte, die es uns verraten könnten sind out of battery. Wir packen langsam zusammen, gehen kurz im Fluss schwimmen und laufen in die Stadt.

BeachboyZ

BeachboyZ

Der erste Mensch, dem wir begegnen, behauptet, es wäre 17 Uhr. Das wollen wir erst nicht glauben, als die Uhren der anderen Passanten aber das selbe behaupten, müssen wir einsehen, dass wir todesspät dran sind, wenn wir heute noch die 300km nach Istanbul schaffen wollen.

Goin' to İstanbul

Goin‘ to İstanbul

Wir latschen bis zur Autobahnauffahrt, die ein ziemlich bescheidener Spot ist, da wenig Autos vorbeikommen. Gerade packen wir wieder zusammen und wollen und auf die Autobahn drauf wagen, da hält der nächste an. Anscheinend will uns da oben irgendjemand ärgern, zum wiederholten Male hält genau dann erst jemand, wenn man fast aufgegeben hat. Und was für ein jemand: Ein schwarzer Porsche Cayenne S. Drinnen sitzt Levan, ein Georgier, der in der Nähe von Potsdam lebt, gerade in Köln für einen Kumpel aus Russland das Auto gekauft hat und auf dem Weg zu seinen Eltern nach Tiflis ist. Er spricht perfekt deutsch und bietet uns an, uns bis nach Georgien mitzunehmen. Wenn das mal kein 3fach Jackpot ist. Hinzu kommt, dass Levan als Jugendlicher im Krieg (’92/’93 gegen Russland) gekämpft hat und viel Interessantes, wenn auch Grausames aus der Zeit erzählen kann.

Dann kommt die bulgarisch-türkische und damit die EU-NichtEU oder auch Zivilisation-NichtZivilisation-Grenze (in Wirklichtkeit ist es umgekehrt: Auf türkischer Seite supermoderne Shoppingmalls, in Bulgarien verfallene und verlassene Häuser). Levan hat keinen deutschen Pass, nur einen georgischen und wird dementsprechend schikaniert. 3 Mal müssen wir unsere Ausweise zeigen, ewig warten, bis die kontrolliert sind und dannwird noch 2 Mal das Auto durchgecheckt. Die EU hat wohl Angst, dass man ihre teuren Autos klaut. Ihr Waffe dagegen ist Frontex-Frank. Frontex-Frank ist ein deutscher Polizeibeamter, der sich freiwillig für 7 Monate an die Grenze begeben hat, mit der einzigen Aufgabe, jedes teuer aussehende Auto (die mit Menschen aus dem NichtEU-Ausland hinter dem Steuer natürlich erst recht) 17 mal zu kontrollieren, damit auchgar kein reicher Europäer eins weniger hat. Und so muss alles her: Fahrzeugpapiere, Kaufvertrag, Nummer vom Händler in Deutschland, Nummer vom Nummernschild, Fertigungsnummer, Infos über Kaufpreis, Kaufort, Ziel, für wen das Auto ist, Ladung, Gepäck, Passagiere usw. usf. Selbst dann dauert es noch fast eine Stunde, bis Frontex-Frank mit seinen bulgarischen Kollegen wieder aus der Baracke kommt, in die er verschwunden ist. Frontex-Frank ist aber eigentlich ein ganz Lieber, anders als das Logo des europäischen Grenzschutzes auf seinem Ärmel vermuten lässt (das sind doch die, die öfter mal Boote mit afrikanischen Flüchtlingen versenken). Frontex-Frank hat wenigstens die Bundesliga-Ergebnisse parat. Was Dortmund unterliegt HSV? Dafür dann bitte Torregen gegen Real und ManCity.

Endlich können wir einreisen, sogar ohne bestechen zu müssen. Levan erzählt, wie er mit seinem Pass an der einen oder anderen Grenze nur mit Hilfe eines kleinen Bakshish rüberkommt. Nach Serbien durfte er gar nicht einreisen und musste einen Umweg über Rumänien fahren. Bei dem Thema muss ich an meine Semester-Hausarbeit über Staaten, Weltstaat, Grenzen denken. Status: 0 Seiten.

In der Türkei sind wir mit Levan schon so dicke, dass er uns russische Schimpfwörter beibringt. Auf der Autobahn fahren wir die ganze Zeit höchstens 100 um Sprit zu sparen. Levans Autokumpel wird’s freuen, er zahlt immerhin schon Levans Rückflug. Aber als wir Istanbul erreichen müssen wir’s doch mal wissen. Fesnter auf, PowerSound mit türkischem Elektro (ziemlich geile Mukke eigentlich – Radio Adrenalin als absolute Empfehlung, wenn ihr da seid!) und dann raufgestiegen auf’s 350 PS-Gaspedal. Der Spaß ist leider von kurzer Dauer, in der Megastadt herrscht auch um 23 Uhr noch Verkehrsinfarkt.

Geschäftsmann mıt Leib und Seele: Wasserverkäufer AUF der Autobahn

Geschäftsmann mıt Leib und Seele: Wasserverkäufer AUF der Autobahn

[3 Stunden lege ich mein Tagebuch in den Fußraum, dann schreibe ich weiter]

Jeder Scheißlaster, der in die Türkei fährt muss durch Istanbul und damit über diese Scheißautobahn! Die haben einen Arsch voll Einnahmen und 14 Millionen Einwohner hier. Wieso zur Hölle kann man keine Autobahn bauen, die dem wenigstens annähernd gewachsen ist? Ich hasse Istanbul, bevor ich ein einziges Mal in der Stadt war. Wie die Bekloppten. Hier werden 4 Fahrspuren gewechselt, ohne 1 Meter vorwärts zu fahren!