Wieder unterwegs!

Endlich bin ich wieder unterwegs!

Bewaffnet wie gehabt mit einem blanco-Tagebuch (18$ am Flughafen, die spinnen!) und einer großen Portion Abenteuerlust bin ich unterwegs ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Amerika! MERICA! DAYUM! Diesmal wird es auch kein Quickie und eigentlich auch gar keine Reise im eigentlichen Sinne. Ich werde dieses Mal ein ganzes Jahr über den Teich hüpfen – für ein Studium an der University of Minnesota in der als „twin cities“ bekannten Metropolregion von Minneapolis/Saint Paul, Minnesota.
Vielen Dank an dieser Stelle an alle, die mich ermutigt und unterstützt haben, das auch tatsächlich durchzuziehen!

Schon der Hinweg bietet spannende „insights“. Zuerst stechen mir die großflächigen Plakate ins Auge, welche am Flughafen Newark Werbung für die Notrufnummer 9-1-1 machen. Der Spruch darauf lautet relativ catchy „If you SEE something SAY something“, das eigentlich Spannende ist aber, dass dahinter ein fettes „TM“ prangt. Sogar Werbesprüche für Notrufnummern werden hier also patentiert, das kann ja heiter werden.

Nach einer Nacht im Bett meines kleinen Bruders, acht Stunden Flug von Berlin und guten vier Stunden Wartezeit bis zum Anschlussflug bleibt das vorerst meine einzige dokumentierte Erkenntnis, jedenfalls findet sonst nichts Teilenswertes den Weg in mein Tagebuch. Als ich mich relativ knülle ins Anschlussflugzeug setze, geht mein Plan, für die letzten Minütchen bis zur Ankunft in meiner neuen Heimat einen Powernap einzulegen, sofort auf. Als ich nach einer Stunde aufwache, stehen wir auf dem Rollfeld. Schon da? Leider nein, leider gar nicht. Im Gegenteil: Wir sind noch nicht mal losgeflogen. Im nächsten Moment werden wir auch in freundlichem Flugbegleiterinnen-Englisch gebeten uns kurz noch mal in das Terminal zu begeben. Schlechte Wetterbedingungen – angeblich. Das erzählt uns um 19:00 Uhr Ortszeit (ich hätte gerade im Abholservice vom Flughafen MSP zur Uni sitzen sollen, den ich reserviert habe) auch der Typ am United Airlines Customer Service-Schalter, auf den wir 1 Stunde in der Schlange gewartet haben. Leider müssten wir daher auf einen Flug um 6:30 am nächsten Morgen umgebucht werden. Das Hotel kann er uns zeigen aber leider nicht bezahlen, es läge ja schließlich an höherer Gewalt, dass unser Flug ausfiel. Alle anderen Flüge gehen selbstverständlich raus. Wie war das mit der Servicewüste?

Zum Glück habe ich in der Warteschlange schon Eva und Matze aus Süddeutschland (ich formuliere das mal diplomatisch) kennengelernt, die das gleiche Problem haben wie ich. Ich kann die beiden davon begeistern, uns die zu teure Hotelübernachtung zu schenken und stattdessen nach NYC reinzufahren. Matze kennt die Stadt einigermaßen und macht mit uns das Express-Touri-Programm: Einmal zum neonleuchtenden Times Square und dann mit der U-Bahn zur Brooklyn Bridge, wo wir vor lauter Aussicht ein paar Fotos machen. Natürlich darf dazu ein zünftiger Bacon-Cheeseburger „all the way“ von five guys nicht fehlen. Pervers ist, dass es hier draußen sogar bei Nacht super heiß ist, durch die Abluft der zu hoch eingestellten Klimaanlagen wird die Stadtluft unnötig aufgeheizt, nur damit es drinnen dann unnötig und unangenehm kalt ist. (Energie ist hier kein Problem. Fracking passiert ja woanders.)
So hat mir der Flugstorno schließlich gleich einen kleinen Stadttrip beschert. Guter Start in mein Amerika-Abenteuer.

Endlich angekommen wohne ich temporär in einem Studiwohnheim. Da darf ich aber nur maximal 10 Tage bleiben, also geht’s relativ unvermittelt auf zur Wohnungssuche. Zum Glück ist das hier anders als zuhause, WGs sind oft eher zweckmäßig und es gibt ein paar mehr freie Zimmer/Kopf, daher gibt es keine Massencastings oder -besichtigungen. Mieten sind jedoch teuer, um etwas Günstiges zu finden, gucke ich mir tagelang echt schlimme Zimmer an. Kellerraum, fensterlos, mit einem Vorhang vom Waschkeller getrennt, 450$/Monat ist so ungefähr das Portfolio, wenn man nicht am Arsch der Welt wohnen möchte. Das bringt in den ersten Tagen und mit steigendem Zeitdruck erstmal viel Frust. Am Ende sage ich einer WG zu und in letzter Minute wieder ab, da ich doch noch ein bezahlbares, helles Zimmer in dinkytown, der Studi-Szene-Gegend finde. Damit verknüpft sind allerdings 3 Umzüge und 10 weitere Tage in vorübergehenden Zimmern, da mein Zimmer noch nicht bezugsfertig ist und mich der Vermieter immer dahin steckt, wo gerade Platz ist. Na zum Glück bin ich rechtzeitig angereist! In meinem Zimmer bin ich nun, 2 Wochen später, echt glücklich, die Lage entschädigt für Küche und Bad, die in Sachen Ausstattung und Sauberkeit Erinnerungen an Südamerika wecken. Außerdem ist der Preis echt fair, immer wenn andere internationals hören, dass sie das Doppelte bezahlen und im weiter weg gelegenen University Village wohnen, muss ich mich beneiden lassen. Lisbeth aus Dänemark fasst sich als Einzige noch vor der ersten fälligen Miete ein Herz und zieht aus dem UV in mein Haus, nun sind wir Nachbarn.

Ansonsten bin ich in diesen ersten Tagen einigermaßen einsam und hauptsächlich damit beschäftigt, mein Leben einzurichten: Handykarte, Fahrrad, state ID und Poster für mein Zimmer besorge ich mir schnellstmöglich. Später kommt noch Kochgeschirr dazu, denn wer hier täglich auswärts isst, wird garantiert fett bei 1000+ kcal-Portionen (arm hingegen nicht, das Preis/Fett-Verhältnis ist außergewöhnlich).
So laufe ich also tagelang durch die Stadt und erkunde dabei den Campus und Minneapolis: Eine äußerst amerikanische Stadt, fast klischeehafte Wolkenkratzer, dazu aber relativ viel Grün, insgesamt eine gesunde Mischung. Der Campus der Uni ist irre: Alles ist huuuge, sieht ein bisschen gleich aus und wie im Computerspiel SIMS gebaut. Anfangs ist noch alles menschenleer, das soll sich in den folgenden Wochen aber ändern. Mein Highlight ist der Weg über die unieigene Brücke, die den hier schon mächtigen Mississippi überspannt und den großen Campus auf der east bank mit dem kleineren Bruder auf der west bank verbindet.

Das anfängliche Alleinsein fällt mir als sozialem Wesen erwartungsgemäß schwer und manchmal frage ich mich, warum das so unglaublich fantastische Jahr mit den so vielen neuen tollen Leuten denn noch nicht angefangen hat – am besten mit voller Wucht und von ganz allein. Ich bin es einfach nicht gewohnt, nur eine Verabredung am Tag zu haben und dann total traurig, als diese ein Mal auch noch absagt. Ein schlechtes Gefühl auch, dass so simple Dinge wie das Besorgen von Möbeln zum Problem werden können, wenn man niemanden kennt, der einem ein Auto leihen würde. Schon komisch. Und das, obwohl ich hier sehr willkommen bin, genug Geld dabei habe und die Sprache ausreichend spreche. Da frage ich mich täglich zur Tagesschau (um 13 Uhr Ortszeit) dann logischerweise, wie es erst Menschen gehen muss, bei denen diese Umstände teilweise oder gänzlich nicht erfüllt sind. Die Nachrichten zur „Flüchtlingskrise“ stimmen mich regelmäßig traurig. #deutschlanddumiesesstückscheisse. Wahrscheinlich mussten die, die da gegen Geflüchtete hetzen, noch nie aufbrechen und dabei ihre Komfortzone zuhause lassen. Schon gar nicht allein.

Das Trübsalblasen hat ein Ende, als ich beim Kick-Off-Event der O-Woche Ram und Tom kennenlerne. Ich bin ein bisschen spät dran und setze mich auf den einzigen freien Stuhl. Und weil es irgendwie sein sollte, habe ich dabei 2 coole Menschen kennen gelernt. Ram ist schon in seinem zweiten Studienjahr hier. Zur Veranstaltung ist er nur wegen des free foods gekommen und weil er eh nichts Besseres zu tun hatte. Tom ist wie ich ein exchange student und kommt aus Manchester. Wir chillen tagelang in Rams fraternity house, wo wieder ein Klischee nach dem anderen bestätigt wird, z.B. wenn wir beer pong in rote Plastikbecher spielen oder Pizza aus der Pizzeria in Sichtweite per Lieferservice bestellen. Fraternities sind zum Glück ziemlich anders als Studentenverbindungen/Burschenschaften in D. Es geht in erster Linie um den Atzenfaktor und da kann ich dann ohne schlechtes Gewissen mitmachen. Außerdem gibt es genau so viele sororities und auch das fühlt sich irgendwie besser an (keine #sexistischenaihrwisstschon).

Tagelang jagt eine Einführungsveranstaltung die nächste Einführungsveranstaltung, die unterschiedlichen Welcome-Programme und -Veranstaltungen (organisiert von der Uni, von der Carlson School of Management, meiner Fakultät, und eins von so ziemlich jedem student club und davon gibt es zig). Wir dürfen dem Präsidenten und seiner Frau fürs Foto die Hand schütteln, wenn wir uns vorher brav angestellt haben. Wir posieren mit GoldyGopher, dem Maskottchen der Uni, der den hier überall rumhüpfenden Erdhörnchen nachempfunden ist.
Die internationals@Carlson sind eine erfrischende Truppe, bunt gemischt aus allen erdenklichen Herkunftsländern und altersmäßig alle zwischen 19 und 34 Jahre.
Zusammen besuchen wir die Minnesota state fair, eine Mischung aus Messe, Volxfest, bäuerlichem Markt und Streichelzoo. Und natürlich huuuge. Hier gibt es original amerikanische Kulinarik und Kultur, vor allem frittierte Snickers-Riegel, frittierter Käse, frittierter Kuchen, frittiertes Eis usw. usf.
Außerdem gehen wir zu einem Baseball-Spiel der heimischen Profis. Gähn…, das Ding dauert fast 4 Stunden und bei 54 Versuchen (3 pro Team in jedem der 9 innings) steht es am Ende 3:0. Naja muss man mögen, HotDogs gab’s dafür für 1 Dollar.
American football ist dagegen ganz anders. Noch vor dem ersten Spiel entscheide ich mich, mir eine Dauerkarte für die Golden Gophers, das College-Football-Team zu kaufen. Mit meiner riesigen Erfahrung aus den letzten 4 SuperBowls erscheint mir das eine rationale Entscheidung. Beim ersten Spiel werde ich nicht enttäuscht: Das Stadion ist mit ~50.000 Zuschauenden ausverkauft und die Stimmung ist amazing. Man weiß bei all dem Event gar nicht, wohin man den Blick richten soll. Cheerleading hier, marching band dort, GoldyGopher läuft mit seiner T-Shirt-Kanone rum, wir müssen uns ständig zuprosten, ich lasse mir von einem bekennenden Republikaner (davon gibt es hier doch mehr als gedacht) „This is MERICA, FUCK YEAH!“ ins Gesicht brüllen und dann gibt es ja auch noch dieses Spiel. Wir verlieren am Ende knapp, was aber okay ist, denn die Jungs der anderen Mannschaft aus Texas sind die zweitbesten in ganz Amerika.
An einem besonders sonnigen und warmen Tag unternehmen wir einen Fahrradausflug zum stadtnächsten See, dem Lake Calhoun. Mein aktueller Seen-Besuchs-Count in Minnesota steht nun auf 1/10.000.
Außerdem besuchen wir die Mall of America, das ehemalst größte Einkaufszentrum der Welt mit hauseigenem Freizeitpark. Als wir für eine Achterbahn eine Stunde lang anstehen, beschließen wir, dass eine Achterbahnfahrt reichen muss.

Eigentlich bin ich ja zum Studieren gekommen. Daher möchte ich zum Schluss auch noch schnell 2 Worte zum Unterricht hier verlieren: Es gibt Kurse, die sind genau wie zuhause voll und langweilig. Es gibt aber auch richtig gute Kurse, in denen nur 15 Leute sitzen, in denen der Professor richtig Bock auf Unterrichten hat und die mir bestimmt einiges abverlangen werden (Englisch als Drittsprache ist hier kaum eine Ausrede oder ein überzeugendes Argument für Extrawürste, schließlich sind super viele Internationale hier und auch alle anderen irgendwie mal vor nicht allzu langer Zeit eingewandert.). Einen Professor mag ich besonders, mit seinem american style of teaching erzählt er die ganze Vorlesung lang stories und lässt dabei geschickt die Theorie aus dem Lehrbuch mit einfließen. Außerdem glaubt er an den American Dream und erzählt besonders gerne von Karrieren, die ganz unten begonnen haben und er versucht, jede/-n Einzelne/-n in dem Kurs (und das bei einem größeren Kurs mit ca. 60 Studis) zu motivieren, wir müssen ständig unsere Stärken und Erfolge benennen, weil Selbstbewusstsein eben auch zum leadership dazugehört. Recht hat er, finde ich und so kann ich mir meine Komiliton/-innen hier tatsächlich als zukünftige Manager/-innen vorstellen, was an der FU in „Management“ bei Prof. Bresser nun wirklich nicht der Fall war.
Ich bin gespannt, wie gut ich es hier schaffe, den Anschluss zu halten. Besonders das viele Lesen in englischer Sprache wird kein Klacks.

Insgesamt geht es mir hier mehr als gut, macht Euch keine Sorgen. Trotzdem freue ich mich natürlich, ab und zu von Euch zu hören!

#iphoneswelcome

Bis zum nächsten Mal!