Burning Man

[Dies ist ein sehr viel zu spät veröffentlichter Artikel zum Burning Man 2016.]

 

Disclaimer: Das Burning Man ist das wahrscheinlich abgedrehteste Festival der Welt. Wer wie ich zum ersten Mal dort ist, bekommt so viel Atmosphäre, Eindrücke, Erlebnisse, Erinnerungen, Farben, Formen, Klänge, Lichter, Liebe, Gespräche, Menschen, Musik, Staub, Grenzgänge und -überschreitungen, Lieder, Worte, Gefühle, Blicke, Berührungen und Erfahrungen auf Augen, Ohren, Nase, Mund, Hände, Herz, Nieren, Lunge und Leber geballert. Es ist mir schier unmöglich, selbst jetzt mit einigem Abstand, die 10 Tage in Black Rock City in Worten oder Bildern (oder auch irgendwie sonst) vollumfänglich wiederzugeben. Außerdem will ich aus verschiedensten Gründen auch vieles nicht wiedergeben. Was hier folgt, ist also nur ein ganz kleiner Ausschnitt, eine Kurzgeschichte, ein paar Spotlights, ein Mini-Erlebnisbericht und eine schöne Erinnerung für mich selbst. Sorry dafür, dass ich so viele Superlative benutzt habe, aber alles, was ich als „riesig“ bezeichnet habe, war auch wirklich riesig bis gigantomatisch, ich schwöre.

Das Festival öffnet um 0 Uhr am Sonntag seine Türen und von allen, mit denen wir vorher gesprochen haben, haben als größte Quälerei die ewig langen Schlangen bei An- und Abreise beschrieben. Wir haben ein gutes Timing, brechen am Samstag so aus Reno auf, dass wir auf der einspurigen Straße in Richtung Festival nicht in den Stau geraten und passieren die erste Greeterin um kurz nach 23 Uhr. Ein cleveres System sorgt hier dafür, dass alle fair reinkommen: Wer zu früh da ist, wird auf einem „Parkplatz“ abgestellt und dieser wird ab Gateöffnung in – Achtung, das ist der Clou – in umgekehrter Reihenfolge, also last-in-first-out, abgebaut und die Autos im Reißverschlusssystem mit in die Schlange der pünktlich ab 0 Uhr ankommenden Gäste eingefädelt. Wer also um 11.59 Uhr ankommt, ist wahrscheinlich das zweite Auto auf dem Gelände (Nach dem ersten, der nach 0 Uhr ankommt) und wer schon um 20 Uhr kommt, muss am längsten von allen Zufrühkommern warten. Zufällig sehen wir das Auto, welches in dieser Position wohl noch deutlich länger als wir wird warten müssen: Ein VW mit Deutschlandfahnen-Außenspiegelüberzügen. Deppen. Wir warten also insgesamt kaum eine Stunde und dürfen uns in dieser Zeit schon Mal auf die nächsten zehn Tage einstimmen, nämlich mit unserem ersten „Whiteout“, ein Sandsturm, der so viel Staub umherwirbelt, dass man die Hand vor Augen kaum noch sieht und mit dem Auto sowieso stehen bleiben müsste. Wir wussten, dass es staubig wird, mit dieser Menge Staub hat aber wirklich keiner von uns gerechnet! Zum Glück haben wir uns ja vorher gut ausgerüstet und so laufen wir die ersten Schritte auf der „Playa“, so wird das Wüstengelände hier gemeinhin genannt, eingepackt in Skibrillen, Staubmasken und Schals.

Wir bauen unser Zelt in den „Suburbs“ auf. Eine weitere Besonderheit des Burning Man besteht darin, dass die meisten Burner in Themen- oder Support-Camps organisiert sind und die meisten Flächen in der Stadt an diese vergeben werden. Wer keine Campzugehörigkeit hat, sucht sich – wie wir – einen Platz in den auf der Karte noch weißen Flecken zwischen den Camps. Wir finden trotzdem einen recht zentral und gut gelegenen Campingplatz und während wir unsere Zelte und Planen abspannen, treffen wir unsere zukünftigen Nachbarn, wie wir eine Vierergruppe und sehr wunderbare Menschen.

Der Sonntag besteht tagsüber darin, unser 8-Leute-Camp „Awesome Bahnhofs“ aufzubauen und Fahrräder zusammenzusetzen und zu schmücken. Die sind hier als Fortbewegungsmittel unerlässlich, muss man doch von einem Punkt der Stadt zu einem anderen öfter mal mehrere Kilometer zurücklegen. Im Gegensatz zu anderen Festivals, gibt es beim Burning Man keine getrennten Camping und Feierbereiche. Es gibt überhaupt keinen Feierbereich, da vom Festival weder Bühnen aufgebaut werden, noch DJs gebucht. Alles, also jedes Kunstwerk, jede Bühne, jedes Artcar und jedes Event sind von den Teilnehmenden des Festivals, die daher gar nicht mehr Teilnehmende im eigentlichen Sinne sind, organisiert. Es entsteht eine mehr oder weniger organisch gewachsene Stadt mit Angeboten und Camps an buchstäblich jeder Ecke. Ordnung wird nur so viel wie nötig reingebracht, indem die Straßen und Plätze abgesteckt werden und an strategischen Orten Toiletten aufgestellt. Der Aufbau der Stadt ist so einfach wie genial: Der „Man“, eine große Holzfigur, die am Samstag verbrannt wird (genau, daher der Name), steht in der Mitte. Drum herum bilden konzentrische Straßen Halbringe, deren Anfangsbuchstaben durchbuchstabiert sind. Diese werden geschnitten von radial vom Man ausgehenden Strahlen-Straßen, die je nach ihrer Lage nach einer Uhrzeit benannt sind. So erstreckt sich Black Rock City von A wie Arno bis L wie Lorenzo und von 2 Uhr bis 10 Uhr. Alles klar? Der „leere“ Platz zwischen 10 Uhr und 2 Uhr ist die sogenannte „Deep Playa“, hier stehen besonders große Kunstwerke und hier treffen sich die Fahrradfahrenden und Artcars. Wir campen bei 6:30 Uhr und H wie High Renaissance. Das Motto des Burning Man ist in diesem Jahr „Da Vinci’s Werkstatt“ und so sind die Straßennamen Verweise auf das Wirken Da Vincis und der Man ist diesmal eine 13 Meter hohe, komplizierte, drehbare, aus Holz konstruierte Statue in einem runden Rahmen, angelehnt an Da Vincis Proportionsstudien der menschlichen Anatomie. Am Man und den Straßen kann man sich immer ziemlich gut orientieren, wo in BRC man sich gerade befindet und wo es lang geht.

Am Sonntagabend ziehen wir dann endlich zum ersten Mal richtig gemeinsam los, um die Stadt zu erkunden. Die hat es in sich: Wir sind noch gar nicht weit gekommen, da stoßen wir auf eine große Rollschuhbahn, bestimmt 50m² aus Holz, mit einer im Dunkeln LED-rot leuchtenden Abbildung der Golden Gate Brücke im Hintergrund, komplett mit einer großen Auswahl an Leih-Rollerskates und typischer Rollschuhbahnmusik. Wir drehen ein paar Runden und zum ersten Mal in meinem Leben probiere ich die klassischen Rollschuhe mit 2 Rollen vorne und 2 hinten aus. Lenken ist damit viel schwieriger als mit den Inlinern, die ich von zuhause kenne. Zwischendurch genehmigen wir uns einen Drink an der Rollschuhbahnbar. Schmeckt fantastisch und wie alles ist der natürlich auch kostenlos. In Black Rock City hat Geld kaum einen Wert. Das einzige, was man hier davon kaufen kann, sind Eiswürfel für die Kühltruhen und das auch nur an 3 Stellen in der Stadt. Alles andere funktioniert nach dem zweiten der 10 Burning Man-Prinzipien: „Radical Gifting!“, es entwickelt sich eine Schenk-Wirtschaft. Jede/-r hier bringt etwas mit, das anderen ohne Gegenleistung geschenkt wird. Angefangen bei eiskalter Wassermelone (besonders an den letzten Tagen ein Genuss!) über ein Theaterstück bis hin zu den riesigen, fünfundsiebzigtausend Dollar teuren hölzernen Leuchttürmen, auf denen tagelang Menschen herumklettern und Sonnenauf- und –untergänge bewundern, bis auch dieses Kunstwerk am Samstag verbrannt wird. Alles wird von Burnern erdacht, die sich wie wir ganz normal ein Ticket für das Festival gekauft haben, finanziert, hier ins Nirgendwo transportiert und teilweise tage- oder wochenlang vorbereitet und aufgebaut. Einfach, um alle anderen glücklich zu machen. Das ist schon wirklich beeindruckend. Nach der Rollschuhbahn finden wir ein Camp, in dem man Mario-Tennis auf der Wii spielen kann, sich den Controller aber vorher untenrum umbinden muss und dann mit schwingender Hüfte und dem Controller-Pimmel Aufschläge und Returns schlagen kann. Zum Schluss fahren wir eine Runde mit auf einem der „Artcars“, nicht mehr straßentaugliche, zu fahrenden Kunstwerken umgebauten Autos, meistens mit ordentlich Wumms an Bord. Wir haben stundenlang Spaß gehabt und haben unsere 6:30 Uhr Straße dabei noch kaum verlassen. Irre. Mit vom Staub verstopften Nasenlöchern, aber glücklich gehen wir am Ende dieser Nacht ins Bett.

Auf Sonntag folgen Montag, Dienstag, Mittwoch und der Crazy Ride geht genauso weiter, wie er begonnen hat. In vielen verschiedenen Camps wird zu bestimmten Zeiten Essen serviert und die Veranstaltungen haben meistens lustige Namen, bei „Meats and Beats“ legt ein DJ auf und dazu werden Briskets und Bratwürste verteilt, im Camp „Bubbles and Bass“ gibt es Champagner, es gibt grilled cheese, frozen bananas und überhaupt ist alles super lecker. Selbst wenn wir gar kein eigenes Essen mitgebracht hätten, wären wir hier super durchgefüttert worden. Ständig lernt man überall neue Leute kennen, alle sind super offen und viele sehen in ihren Kostümen unglaublich cool aus. Ich leihe mir von einem Mitte-Ende-fünfzigjährigen Pärchen ein Skateboard mit Benzinmotor aus und kann damit eine Weile über die Playa gleiten, Funfaktor 100.

Wir treffen die Jungs aus San Francisco in ihrem Camp wieder, Jim und Austin wohnen mit 100 anderen im Themencamp „Giraffes Family“, haben ihren geodesic dome aufgebaut und außerdem zwei lebensgroße, feuerspeiende Giraffen aus Metall, die das Eingangsportal des Camps bilden. Ihr weiteres Angebot an die Community besteht aus einem riesigen Klettergerüst für Erwachsene und einer an 3 Tagen geöffneten Craft-Beer-Bar. Jim hat mir den teuflischen Plan mit der Bar schon in San Francisco erklärt und der geht so: Es gibt kein Craft Beer. Auf einer 20 Biere umfassenden Bierkarte haben die Giraffen die am verhipstersten klingenden Craft Biere gesammelt und diese werden von den Barkeepern mit vollmundigen Beschreibungen angepriesen. „Circus Boy, 4,5% alc., 13 IBU“ zum Beispiel sei „ein kräftiges Hefe, gebraut in Vermont und isotononisch, also gesund.“ Oder „Yellow Snow IPA, 6,5% ABV“: „Ein recht helles lokales IPA, ein wenig hopfig im Abgang“ und so weiter… Wenn sich dann jemand eines dieser Biere bestellt, probieren die Bartender vergeblich, dieses Bier am Hahn zu zapfen und müssen sich dann entschuldigen, dieses Bier sei wohl gerade aus, man sollte doch aber unbedingt ein anderes probieren. Das andere gibt es natürlich auch nicht, „Oh, das muss gestern ausgetrunken worden sein, sorry!“ und so probieren die Anstehenden vergeblich, auch nur ein Bier von der Liste zu bestellen. Die Barkeeper fallen nicht aus ihrer Rolle, schütteln ungläubig den Kopf, fragen bei Campmitbewohnern nach, „Du sag mal, weißt Du ob es noch irgendwo ‚Copper Ale‘ gibt?“, „Hast DU vielleicht gesehen wo XY mit dem letzten Fass ‚Pliny The Elder‘ hin ist?“, laufen zum Lastwagen, kommen mit leeren Händen zurück, „Ne leider wirklich nichts mehr“ und empfehlen zwischendurch immer wieder wärmstens das „Daily Special“, welches auf einer Extra-Karte angepriesen wird und aus Bud light lime, dem wahrscheinlich uncraftiesten Bier aller Biere, besteht. Wer sich dann dazu überreden lässt, oder einfach den Überblick oder die Nerven verloren hat, bekommt eine Dose eiskaltes Limo-Bier davon. Bud light lime ist nämlich das einzige Bier, welches sie im Giraffencamp tatsächlich vorrätig haben.

Wir besuchen einen Workshop, in dem wir unsere Fahrräder ansprayen können, ich rolle fortan auf goldenen Reifen über die Playa. In einem indischen Zelt tanzen wir unter einer Sprinkleranlage, wirklich, sowas haben die Verrückten hier installiert und es ist eine bei der Mittagshitze (bis zu 40°C wird es hier tagsüber heiß, nachts aber auch wieder sehr kalt) so angenehme Erfrischung, dass wir gleich ein paar Stunden da bleiben. Fast jedes Camp hat ein paar interaktive Bereiche zum Mitmachen aufgebaut, es gibt unzählige Riesentrampoline, der Rückwärtssalto will mir leider nicht gelingen, den anderen dafür umso besser. Im Miki Beach Camp treffen wir eines Abends ein paar Hamburger, unter anderem freundet sich Floh mit einigen wirklich recht bekannten DJ-Größen aus der deutschen Szene an. Nachts zieht es uns meist raus in die Deep Playa. Die größten Artcars, „Robot Heart“ und der „Mayan Warrior“ sind auf riesige Bussen gebaut und tragen Boxen, mit denen man einen großen Berliner Club adäquat beschallen könnte. Die halbe Nacht fahren diese fahrenden Bühnen kreuz und quer über die Playa, eine Meute von einigen hundert Fahrradfahrern hinter sich herziehend. Zu einem bestimmten Zeitpunkt bleiben sie dann einfach irgendwo stehen, die Meute wirft ihre Fahrräder beiseite und innerhalb von 5 Minuten entsteht ein stattlicher Dancefloor, irgendwo in der Wüste, irgendwo im Nirgendwo. Meistens gesellen sich noch andere, kleinere Artcars dazu, steuern Lichteffekte und Chillmöglichkeiten bei. Einen besonders magischen Moment erleben wir, als diese beiden größten Artcars eines Nachts kurzerhand nebeneinander parken, sich mit einem dicken Kabel connecten und dann back to back, also immer jeweils einen Track abwechselnd, auflegen. Hat man so auch noch nicht gesehen oder gehört.

Immer wieder erleben wir fette Sandstürme, bleiben jedoch dicht zusammen und verlieren uns deswegen nie. Wir besuchen tagsüber den Tempel, ein riesiges Holzkunstwerk auf 12 Uhr in der Deep Playa. Ein sehr beeindruckendes Erlebnis, hier nehmen Burner Abschied von Verstorbenen oder begrüßen Neugeborene, alles Holz ist vollgeschrieben, mit Bildern und kleinen Gegenständen verhängt und viele Menschen sitzen andächtig in und um das Gebäude. Der Tempel brennt als letztes ab, am Sonntag, und entlässt alle Grüße, Wünsche, Entschuldigungen und Sehnsüchte, die hier ihre Manifestation gefunden haben, in den Himmel.

Gegen Ende der Woche habe ich Staub und Dreck an allen erreichbaren und unerreichbaren Stellen meines Körpers und würde wirklich gerne mal wieder duschen. Gemäß dem geflügelten Satz „The Playa provides“ bietet das Festival aber natürlich auch dafür eine Lösung. Floh und ich stellen uns beim Camp „Refoamation“ an und diese Refoamation wird dann das für mich wohl merk-würdigste (sic!) Erlebnis auf dem Burning Man: Nach langem Anstehen, das durch kleine Vorträge (Infoamation) zum Thema „Wie müssten wir Welt reformieren (bzw. refoamieren, das Wortspiel erklärt sich gleich), um sie für alle lebenswerter zu machen?“: Frauenrechte, Mitbestimmung, Legalisierung von Cannabis (mit Anschauungsmaterial) und so weiter und so fort, verkürzt wird, kommen wir in ein Zelt, in dessen Mitte ein großer Baum steht. Drumherum tanzen bestimmt 100 komplett nackte Menschen zu bouncy Tunes, die ein Hammer-DJ vom leicht erhöhten Rand auflegt. Dort am Rand, auf einem langen Podest, steht außerdem der berühmte Künstler (das habe ich erst im Nachhinein herausgefunden) Alex Grey mit seiner Frau Allyson, die einzigen, die hier leicht bekleidet sind, und zusammen malen sie live ein gigantisches Wandgemälde, auf dem tanzende Skelette mit neonfarbigen, LSD-mäßigen Liniennetzen an den Köpfen verbunden sind. Das eigentliche Highlight ist aber die Booth, eine aus Plexiglaswänden und –böden gebaute Zelle, in die auf Kommando je 30-40 Nackte strömen. In einer feierlichen Prozedur wird von 6 Menschen mit Gorillamasken, die auf einem Gerüst über der Zelle stehen, die Stimmung angeheizt, bevor sie literweise Schaum (daher all die Wortspiele mit „foam“) und Wasser aus dicken Schläuchen auf die hüpfende Menge verteilen, woraufhin sich alle Beteiligten laut kreischend gegenseitig ein- und abseifen und –spülen. Ein Segen für die geschundene Haut und den ganzen Körper, feels so fresh and so clean. Wer rauskommt, tanzt sich im Zelt trocken und wird wahlweise noch von guten Feen mit Kokosnussbutter eingerieben. Floh und ich haben Glück, die allerletzte Runde für dieses Jahr miterlebt zu haben, wir können noch eine Weile tanzen und dann wird die Refoamation bis 2017 geschlossen. Wir radeln nackt und erfrischt zum Camp zurück und erzählen begeistert Jona und Basti von der eben gemachten Erfahrung, die sich nun aber leider bis zum nächsten Mal Burning Man gedulden müssen, um das auch zu erleben.

Frisch gesäubert geht es dann auch schon in die letzte Phase des Festivals, die Burns, bei denen viele der Projekte aus Holz auf wunderbare Weise verbrannt werden. Der größte Burn ist natürlich der des Mans, alle haben sich am Samstagabend hier versammelt. 70.000, die im Kreis auf die kreative Zerstörung warten. Im Außenkreis haben sich nahezu alle Artcars versammelt und zeigen noch einmal, was sie können. Der Man Burn ist spektakulär, ein großes Feuerwerk, mit großem Getöse rauschen die Flammen an den Extremitäten auf und ab, legen erst die Man Plaza, das Podest und dann den Man selbst in Schutt und Asche, begleitet vom friedlichen Wummern der Artcars und Anfeuerungsrufen aus dem Publikum; der am öftesten vernommene lautet „Let go!“. Danach tanzen die Menschen im Kreis ums Feuer, manche sammeln Nägel oder Asche wie heilige Artefakte nach einem Martyrium, manchen springen über die immer noch recht hoch lodernden Flammen und die meisten schauen einfach anmutig in die Glut.
Noch in der selben Nacht brennen auch die Leuchttürme der „Black Rock City Lighthouse Services“ ab, das größte Kunstwerk in diesem Jahr, die Flammen sind hier grün und gleißend weiß eingefärbt (Kupfer, Magnesium?) und damit fast noch beeindruckender als die beim Man. Außerdem sind viele schon abgereist und daher sitzen deutlich weniger Menschen ums Feuer, wir können aus erster Reihe zuschauen.

Am Sonntag herrscht große Aufbruchstimmung, wir helfen einigen sehr lieb gewonnenen Nachbarn beim Einpacken, ich treffe noch einmal die Giraffen in ihrem Camp und wir entdecken last minute, jetzt wo es weniger Angebot gibt, noch zwei neue saugeile Tanzzelte, den Cirque Gitane und das Camp Ibiza. Dort dancen wir noch ein wenig ab und begeben uns zum Tempel Burn, welcher eine ganz andere Stimmung als die voherigen Burns triggert. Hier ist alles ruhig, niemand applaudiert oder johlt, es wird wohl der Ereignisse gedacht, die vorher an den Tempelmauern niedergeschrieben wurden. Trotzdem brennt die Struktur wunderschön ab und dieser innige Moment bildet auch einen guten Schlusspunkt für dieses geile Festival.

Wir fahren am Dienstagmittag wieder vom Gelände runter, kurz bevor der Exit geschlossen wird und das war wohl wieder eine gute Idee, denn im Gegensatz zu anderen, die uns von Schlangen mit Wartezeiten bis zu 7 Stunden am Ausgang berichten, können wir wieder einfach rausfahren und müssen nirgends warten.
Das Burning Man Festival war ein riesiger Wahnsinn (bzw. Sahnwinn)! Es war so viel los, dass wir es nicht mal geschafft haben, zur halben Boeing 747, die auf der Playa zu einem Technoclub umfunktioniert wurde, zu gehen, obwohl wir dieses Projekt im Vorhinein am meisten gehyped hatten. Es war einfach nicht genug Zeit für alles da und das war auch gut so. Lange werde ich von den Erinnerungen an diese zehn Tage zehren, vieles mitnehmen und versuchen in andere Kontexte zu tragen. Ich nehme mir fürs nächste Mal einige Dinge vor – weniger Party, mehr Tagveranstaltungen besuchen, weniger Robot Heart, mehr kleine Artcars auschecken, den coolen Kaugummi-Rucksack nachbauen, den einer auf dem Rücken hatte, ein Riesentrampolin mit ins Camp nehmen, eine Schirmmütze mit dem Universum und einem Raptor auf dem Schirm basteln und solcherlei Zeugs – und lege mich damit schon fest: Ich komme auf jeden Fall wieder nach Black Rock City, sobald die Umstände es erlauben!

West Coast Teil 1 und Nationalparks

Die erste Großstadt in den USA liegt nah an der Grenze: Seattle, ehemals sehr und immer noch ein bisschen hippe heimliche Hauptstadt des Staates Washington. Berühmt und bestimmt in den 60ern noch krass, siehe z.B. die sogenannte „Space Needle“, damals wohl allermodernste Architektur, wirkt heute etwas aus der Zeit gefallen. Berühmt für Starbucks, der erste Starbucks-Laden ist aber wirklich unspektakulär, wir landen zufällig drinnen und kommen nur aufgrund der langen Schlange darauf, dass dies hier ein besonderes Café der Kette, die in Europa keine Steuern zahlt, ist. Berühmt weiterhin für Windows, aber nachdem mein Computer nach Update auf das unsägliche Windows 10 ohne Rückfahrschein nun nach jeder Eingabe so um die zehn Minuten rechnet, haben Gates‘ Mitarbeiter Glück, dass keiner von ihnen uns in Seattle begegnet. Wir schlendern stattdessen über den Markt, auf dem sich vor allem interessante Meerestiere in den eisbedeckten Auslagen stapeln, von denen ich manche noch nie gesehen habe. Und genau hier, auf dem Markt in der Stadt, die auf dieser Reise bis jetzt am weitesten von meiner Heimatstadt entfernt liegt, begegnen wir einem Deutschen – soweit nichts Besonderes, wie das eben so ist, man erkennt sich an der Muttersprache, ärgert sich ein bisschen darüber, dass „hier schon wieder alles voller Deutsche“ sei und begrüßt sich dann doch kurz freundlich, indem man zum Beispiel ungefragt bis ungelenk in die Konversation der anderen Deutschen mit einsteigt und dabei am besten gleich noch seine Ortskenntnis demonstriert – der uns fragt, was wir hier machten und natürlich woher wir kämen und so finden wir heraus, dass er nicht nur auch selbst Berliner ist, sondern eben auch noch aus Reinickendorf kommt und das ist dann, obwohl er bereits vor Jahren ausgewandert ist, schon ein lustiger Zufall, „kleine Welt“ und so. Als wir ihm erzählen, wo wir schon überall waren und wie viele Wochen wir schon unterwegs sind, erwidert er nur erstaunt „Na Ihr müsst ja reich sein!“. Er stammt ganz offensichtlich aus einer Generation, in der langes Reisen, so wie wir es machen, noch unmöglich für junge Menschen wie uns, oder jedenfalls noch sehr unerschwinglich bzw. unüblich war. Kurz fühle ich den Globalisierungsgewinner in mir sich irgendwo bedanken. Zum Abschluss versuchen wir noch das Phänomen der Kaugummi-Mauer zu ergründen, aber wir können leider nicht herausfinden, wer hier wann den Trend gestartet hat, angekaute Kaugummis an die Wand zu pappen, bis diese komplett hinter dem bunten Kauwerk verschwunden war. Cool sieht es aber allemal aus.

Wir sind mittlerweile auf dem berühmten Pazifikhighway unterwegs, der die gesamte Westküste der USA herunterführt und zum großen Teil Highway 1, in Kalifornien zum Teil 101, heißt. Und der ist wirklich schön. Unterwegs eine Stippvisite in Portland, eine Stadt mit irgendwie Europäischem Flair, dann aber auch wieder überhaupt nicht, mit sehr vielen Food Carts und gratis Livemusik auf einem zentralen Platz. Glücklicherweise genau heute und genau jetzt gibt es die „Tunes at Noon“ und bei dieser von IKEA gesponserten Veranstaltung zieht es viele wohl arbeitende Menschen aus den Büros auf den Platz, um hier ihr Foodcartmittagessen zu verzehren und den Klängen lokaler „Stars“ – in Amerika ist der Weg zum „Star“ nicht so weit, dafür kommen darüber allerdings noch „Super-, Mega- und Gigastars“ – zu lauschen.

Danach fahren wir gleich weiter zum Cape Kiwanda, wo man mit dem Auto über eine Düne bis ans Meer fahren kann. Blöd ist nur, dass der Sand dort so plötzlich so weich wird, dass wir nach kurzer Zeit drin stecken bleiben. Hilfe lässt aber nicht lange auf sich warten, kurz nachdem wir die missliche Lage erkannt haben, kommen schon drei hilfsbereite Burschen aus South Dakota herbeigerannt und mit einem freundlichen „Helping out Minnesotans is our pleasure!“ auf den Lippen schieben sie mit uns das Auto an, bis es wieder festen Boden unter den Rädern hat.

Die Oregon Coast besticht durch abwechselnd urwaldige und strandige Abschnitte. An einer Bucht, um die besonders viele Autos parken, steigen wir auch aus, denn die Erfahrung bis jetzt hat uns gelehrt, dass es dann auch meistens was zu sehen gibt. Tatsache: In der Bucht tummeln sich „hunchbacks“, Buckelwale! Diese zu sehen, ist am Anfang schwierig, da sie immer nur für ein, zwei Sekunden auftauchen, aber mit der Zeit haben wir den Dreh raus und bleiben noch lange genug, um so einige Wale auf- und abtauchen, prusten und mit der Schwanzflosse wedeln zu sehen.
So arbeiten wir uns langsam aber sicher weiter in Richtung Kalifornien vor. Man merkt leider, dass die Tage kürzer werden, je weiter wir südwärts reisen, außerdem schreitet das Jahr ja auch unerbittlich voran, und so müssen wir immer Teile der spektakulären Küstenstraße im Dunkeln fahren, obwohl wir gerne alles sehen würden. Wir kochen viel dieser Tage und weil es oft sehr windig ist, haben wir eine neue Technik entwickelt, bei der wir den Gaskocher im windgeschützten Auto betreiben. Alles safe, Julius hat das schließlich studiert. Wir kommen an einem Supermarkt vorbei, welcher eine bemerkenswert lächerliche Marketing-Strategie für sich entdeckt hat, nämlich als „Grocery Outlet“ zu den durchschnittlichen Preisen ihrer Ware völlig überhöhte „elsewhere:“-Fantasiepreise zu schreiben, um damit den Kauf günstiger anfühlen zu lassen. Mich würde interessieren, bei welchen Menschen das im Kopf funktioniert. Wir kommen außerdem mit dem Schrecken davon, als uns des nachts ein Reh vor das Auto rennt. Glück gehabt, nicht erwischt.

Kurz vor San Francisco schauen wir uns im Nationalpark die mächtigen Redwoods an, die wahrscheinlich größten Bäume der Welt. In San Francisco angekommen, herrscht dort die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag so ein Nebel, dass wir die Hand vor Augen kaum erkennen können, geschweige denn die Golden Gate Bridge (selbst während wir drüber fahren) oder die hübsche Downtown-Skyline an der Bay. In San Francisco haben wir endlich mal wieder die Chance, uns nachts auszustrecken. Hier dürfen wir nämlich bei Jim, Paris und Austin im Wohnzimmer übernachten, welche Freunde von Alex Laskaris sind. Die drei haben eine supergeile Wohnung in einem der bunt angestrichenen viktorianischen Häuser am Alamo Square, den sogenannten „painted ladies“, die eine der Attraktionen des Stadtbilds darstellen. Wir haben eine super Zeit dort, kochen zusammen, hören aus Jims Plattensammlung, was er gerade so rauszieht, unter anderem Chinesische Opern und deutsche Weihnachtslieder. Besonders freue ich mich, als ich herausfinde, dass Austin und Jim wie ich auch zum Burning Man Festival fahren. Die beiden haben sich mit zwei Freunden ein größeres Projekt vorgenommen und werkeln im Box Shop an ihrem „geodesic dome“, einer aus sehr vielen Stangen und Brettern zusammengeschraubten, riesigen Kuppel, in der sie in Hängematten schlafen wollen. Wir besuchen Jim in der Werkstatt und sehen, wie hier für das Festival in 3 Wochen von vielen kleinen Teams so richtig was wegvorbereitet wird. Eine Metallkonstruktion überragt die andere und an allen Ecken und Enden wird geschweißt, gesägt, gebohrt und zusammengesetzt. Dies steigert meine Freude auf das Festival nochmal, weil ich nun die ganze Crazyness dieses Festivals, vorher nur von Bildern und aus Berichten bekannt, zum ersten Mal zum Greifen nah erlebe.
Außerdem treffen wir in San Francisco Raika, unsere Freundin und (mittlerweile leider ehemalige) Mitbewohnerin aus Berlin, spazieren zusammen durch den Golden Gate Park und Land’s End und essen in Chinatown zum Mittag. Wir gehen im mittlerweile gentrifizierten Mission District shoppen und ich zeige Julius bei einer kleinen Tour den Bezirk Castro. Am Ende unseres viertägigen Aufenthaltes haben wir also alles von San Francisco gesehen, bis auf die Golden Gate Bridge, welche sich – saisonbedingt, wie wir immerhin mittlerweile erfahren haben, das tröstet ein wenig – immer noch geheimnisvoll in Nebel hüllt.

Nach diesem Städtetrip wartet nur einige Meilen die Küste hinunter nun wieder ein Abenteuer ganz anderer Art auf uns: Big Sur, das meiner Meinung nach schönste Stück Küste der Welt. Es ist schön wieder hier zu sein, die Stimmung ist jedoch etwas gedrückter als beim letzten Mal, da gerade Waldbrände wüten und viele Menschen ihr Zuhause verloren haben. Das sieht man sofort an den vielen – teils professionell gedruckten, teils handgebastelten – „Thanks Firefighters!“-Schildern an den Ortseingängen. Das sieht man auch am Rauch, der von mehreren Brandherden die Abhänge zur Küste herunterweht. Und an den vielen für Besucherverkehr gesperrten Parkplätzen direkt am Küstenhighway, die zugeparkt sind mit Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr, auf denen kleine Trupps von gelb gekleideten firefighters ihre Meetings und Briefings abhalten. Man riecht es sogar: Obwohl meine Nase seit mehr als einer Woche verschnupft und verstopft ist und ich beim Essen kaum noch etwas schmecke, kommt dieser Geruch den Rezeptoren noch alarmierend genug vor, um im Gehirn „Gefahr“ zu signalisieren. Durch die große Präsenz der Feuerwehr sieht es aus, als wäre das Feuer einigermaßen eingedämmt, tatsächlich sind wohl aber erst 6% der brennenden Fläche unter Kontrolle. Eines Nachts können wir den glimmenden Wald sogar von der Straße beobachten. Trotzdem enttäuschen die Henry Miller-Gedenkbibliothek, die Sonnenuntergänge und vor allem die Ausblicke auch diesmal nicht. In Carmel-by-the-Sea bekommt man erfahrungsgemäß besonders schöne Sonnenuntergänge zu sehen und so sind wir erst einmal etwas enttäuscht, als wir an einem bewölkten Strand stehen und von der Sonne so gar nichts zu sehen ist. Diese Enttäuschung verfliegt aber schnell, als statt der Sonne ein paar Delfine auftauchen und ihre Abendschwimmrunden in der Bucht drehen. Mit der Übung, die wir bei den Buckelwalen einige Tage vorher gesammelt haben, können wir die Tiere ganz gut aufspüren und eine Weile lang beobachten.

Dann kommen wir in L.A. an. Irgendwie bin ich gerne hier. Es gibt so viele verschiedene L.A.s, ein bisschen wie in Berlin, viele Kieze, nur mit noch viel größeren Unterschieden zwischen diesen Bezirken als zuhause. Wir ziehen kurz auf den Walk of Fame und an den Strand und bald darauf müssen wir dann auch schon zum LAX (Sprich: Lachs), um Sebastian abzuholen. Puh, da haben wir es doch noch rechtzeitig geschafft. Dass wir am Flughafen dann doch noch stundenlang auf Basti warten müssen, da dieser im Hinterzimmer von Officer Fernandez verhört wird, ist eine andere Geschichte. Basti hat sie auf seinem Blog erzählt.

Als wir den von einer durchfeierten Nacht, einem langen Flug und einem Spezialverhör sichtlich gezeichneten Atzen hinten ins Auto laden, pennt uns der sofort weg. In der Ruhe der Nacht rollen wir dann direkt wieder raus aus der Stadt und rein in den Yosemite Nationalpark. Dort gibt es viele große Steine, für Kletterer muss es ein Paradies sein, und einen hübschen See. Nett anzusehen, aber mir dann doch etwas zu abgekultet und Yosemite kann vor allem gegen die anderen, gigantischen Nationalparks der USA nicht anstinken. Das Schlafen im Auto zu dritt klappt einigermaßen okay, wenn wir Kopf an Fuß liegen (der falsch herum liegende Mittelplatz wird in der ersten Nacht per Sching-Schang-Schong vergeben und fortan jede Nacht rotiert), eng ist es aber allemal. Damit wir keine Campingplatzgebühren bezahlen müssen, quetschen wir uns aber trotzdem einfach zu dritt ins Bett und stellen das Auto auf einem Parkplatz ab. Am ersten Morgen im Yosemite erwache ich um kurz nach 6, mein Bett bewegt sich und das ganze Auto dazu. Ein kurzer Blick verrät mir, dass sich Basti hinters Steuer geklemmt hat und Julius und mich einfach im Bett liegend auf einen anderen Stellplatz umparkt, weil wir von Forstarbeitern verscheucht wurden, die ihm erklärt hätten, dass wir leider mitten in der zukünftigen Baustelle geparkt hätten. Basti ist dank Jetlag schon wach und setzt dann einfach kurzerhand um – ein Mann der Tat!

Weil wir Raika in L.A. noch einmal treffen wollen, war der Yosemite roundtrip aber eh nur ein Abstecher und nach 3 Tagen sind wir schon wieder zurück in der Stadt der Engel. Diesmal können wir aber coolerweise direkt mit in ihrem Hotel schlafen und so bekommen unsere Rücken mal für zwei Nächte wohltuende Marriot-Matratzen zu spüren und man kann sich in den großen Betten auch mal umdrehen, ohne gleich die gesamte Mannschaft aufzuwecken. Wir verleben zwei tolle Tage voller Strand und Essen und Olympia gucken und gucken uns, nicht mehr alle von uns komplett nüchtern, die Kunst im Getty Center und das Center an sich, sehr schön auf einem Hügel gelegen und nur mit einer kleinen Tram zu erreichen, an.

Ein Highlight jagt im Moment das andere und da ist es ganz gut, dass unser nächster Stopp Las Vegas mal auf ganzer Linie enttäuscht. Wobei „enttäuscht“ irgendwie auch wieder das falsche Wort ist, dazu müsste man ja Erwartungen gehabt haben. Es ist einfach ziemlich uncool hier. Wir tigern zwei Tage lang über den Strip, es ist viel zu heiß und alles viel zu teuer. Ständig bekommen wir als Gruppe von drei Jungs Drogen und Titten feilgeboten, das Ablehnen und Abwimmeln nervt nach einiger Zeit erheblich. Zudem versuchen wir zuerst, im Parkhaus des Bellagio im Auto zu übernachten, was sich bei 45°C aber als dumme bis sehr dumme Idee entpuppt, woraufhin wir auch noch gut angeknallt einmal durch die Stadt umparken müssen und in der anschließenden „Nacht“, die eigentlich längst Tag ist, Motor und Klimaanlage auf höchster Stufe laufen lassen müssen, was die Tankfüllung um mehr als ein Drittel dezimiert. Wir machen noch die Standard-Tourimoves, ich setze beim Roulette den Mindesteinsatz auf Schwarz (danke Merlin für den Tipp), gewinne und verspiele den Gewinn danach in 3 weiteren Partien sofort wieder. Außerdem noch ein schnelles Foto vor dem „Welcome to fabulous…“-und-so-Schild, weil wir besonders kreativ sind und uns die Schlange(!) schenken wollen, aber einfach mal von der Rückseite, die sich da liest „Drive carefully – come back soon“. Nein danke, weder noch.

Weiter, immer weiter, nun endlich wollen wir mal diese ganzen Naturwunder sehen, für die die Landschaft Amerikas so berühmt ist und die ein Hauptgrund für mich waren, überhaupt herzukommen. Auf dem Weg zum Zion Canyon liest Julius aus dem Lonely Planet vor: „Juli und August sind normalerweise die regenreichsten Monate“ und kaum hat er den Satz fertig gelesen, fängt es an zu schütten und wir finden uns mitten in einer Sturmflut wieder, welche die Straße in einen, aufgrund des roten Bodens rot-braunen, Fluss verwandelt. Wir können uns auf einen halbwegs trockenen Parkplatz flüchten und das Ende des Schauspiels abwarten. Der Zion Nationalpark ist supergeil. Mit einem Shuttlebus fahren wir bis zum Angel’s landing Wanderweg, hier klettern wir an Ketten auf einem schmalen Grat in schwindelerregenden Höhen, bis zu der Stelle, wo in irgendjemandes Fantasie die Engel gelandet sind. Leider setze ich noch meine blöde Idee durch, unseren fliegenden Ring von oben auf die 300m tiefer liegende Straße herunter zu werfen, beziehungsweise dies zu versuchen, denn natürlich scheitere ich kläglich, der Wind erfasst das Fluggerät nach wenigen Metern und es verabschiedet sich auf Nimmerwiedersehen in die Weiten des Canyons. Keine Chance, den jemals wieder zu finden. Dann müssen wir ab jetzt halt Football spielen.

Auf den Zion folgt der Bryce Canyon und der ist landschaftlich auf jeden Fall mit das Verrückteste, was ich in meinem Leben je zu Gesicht bekommen habe. Am „inspiration point“ breitet sich vor dem (auf jeden Fall inspirierten) Zuschauer ein natürliches Amphitheater mit hunderten von „hoodoos“, dünne, schmale aber hoch aufschießende Felsen, die ein wenig an Finger erinnern, neben- und voreinander aus. Gerne würde ich diesen Eindruck mit noch viel mehr Worten würdigen, aber sowas fällt mir ganz schwer zu beschreiben, außerdem ist dieser Park meiner Meinung nach etwas, das jeder Mensch mal gesehen und gefühlt haben sollte. Schaut Euch die Bilder an, um einen Eindruck zu bekommen, aber besucht auf jeden Fall einmal im Leben den Bryce Canyon. Muss man gesehen haben!
Abends sneaken wir ins Monument Valley, das „MV Arizonas“, nur dass hier keine grauen Hochhäuser dicht gedrängt stehen, sondern rote Felsen in einer roten Wüste. Die sind aber fast genauso hoch. Wir erkunden den Park der Native Americans hauptsächlich autofahrend auf einem 17 Meilen langen „scenic drive“ über eine Sandpiste, die für unseren Dodge van wahrscheinlich eine üble Zumutung ist. Ständig finden wir durch den Sucher der Kamera neue Felsformationen und Porno-ramas (so bezeichnet Basti ein Panorama, welches in der Lage ist, spontane Orgasmen beim Betrachtenden hervorzurufen). Immer wenn man denkt, dass man jetzt wirklich das ultimative Bild hat, kommt um die Ecke ein noch beeindruckenderes. Kein Wunder, dass hier viele Western gedreht wurden, die Landschaft bildet DIE Westernkulisse schlechthin.

Der Grand Canyon ist, wie der Name schon suggeriert, vor allem: groß. Da wir nicht mit ausreichend Zeit und vor allem Ausrüstung ausgestattet sind, entscheiden wir uns gegen eine Wanderung bis ins Tal. Diese würde mindestens zwei Tage in Anspruch nehmen, eine Übernachtung im Canyon erfordern und abgesehen davon auch bei den weiter unten herrschenden Temperaturen von bis zu 50°C ganz schön an die Substanz gehen. So wandern wir auf der schöneren der beiden Wanderrouten, die an der south rim (der Südkante des Canyons) starten, bis zum Skeleton Point, in welchem die auf der Karte gelb dargestellte Subkomfortzone langsam in die rote Gefahrenzone übergeht. Der Canyon in seiner schieren Riesigkeit und mit den hübschen Farben ist auf jeden Fall beeindruckend, nach drei anderen Nationalparks in der letzten Woche aber nicht mehr so überwältigend, wie er vielleicht für jemanden ist, der nur oder zuerst hier her kommt. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich sagen, dass mich der Bryce Canyon am meisten beeindruckt hat.

Lange überlegen wir, ob wir überhaupt zum „Four Corners Monument“ fahren sollen. Laut Rezensionen aus dem Netz werden die $5 Eintritt durch nichts gerechtfertigt. Unser Kompromiss besteht dann schließlich darin, dass wir Julius auf der Rückbank unter einem Haufen Decken und Rucksäcken verbuddeln und an der drive-through Kasse mit unterdrücktem Lachen für zwei bezahlen. Das Monument lässt unser schlechtes Gewisse auch schnell wieder abklingen, es kann, wie zu erwarten war, nicht viel. An der einzigen Stelle der Welt, an der 4 Staaten in einem Punkt aufeinandertreffen, ist in den Boden eine Platte eingelassen, die die Grenze nachzeichnet und beschreibt wo die Territorien von Utah, Arizona, New Mexico und Colorado verlaufen, dahinter sind die entsprechenden Flaggen gehisst. Wir spielen eine Runde Twister („linker Fuß auf Colorado…“) und hauen wieder ab. Auf dem Weg in Richtung Grand Canyon finden wir noch einen Stand der Navajo, die an der Straße selbst geerntetes Obst und Gemüse verkaufen und kleine Gerichte kochen, die billig sind und lecker.

Nach den ganzen Wanderungen und dem Bestaunen von so viel Natur, sind wir froh in Prescott, Arizona bei Lydia, einer alten Freundin meiner Großtante Hannelore übernachten zu dürfen. Hier können wir mal einen Tag und eine Nacht richtig ausspannen. Zudem zeigt uns Lydia ihre Wahlheimat, ein gut erhaltenes Western-Städtchen mit Saloons und allem Drum und Dran. Wir gehen ins Sharlot Hall Museum, welches in restaurierten Originalgebäuden, dem ehemaligen Wohnsitz des Governors, Zeugnis über die Zeit des Goldrausches und der „Kolonialisierung“ dieser Ecke hier ablegt.


Auf der Weiterreise streikt meine VISA-Karte plötzlich. Als ich bei der Bank anrufe, um zu fragen was da los ist, fragen die mich, ob ich denn wirklich in den letzten Wochen in den folgenden (es wird aufgezählt) 15 Staaten plus Kanada eingekauft hätte. Dem Algorithmus war mein Gebaren wohl etwas suspekt und so hat er kurzerhand meine Karte gesperrt. Ich erkläre, dass das alles schon so seine Richtigkeit hat und gebe, als ich gefragt werde, in welchen Staaten ich mich denn vor hätte demnächst aufzuhalten, großspurig an: „Alle“. Danke und weiter.

Schon müssen wir wieder nach Los Angeles, diesmal, um Julius zu verabschieden. Einen Tag lang checken wir noch kurz die Hood in Compton ab, genießen noch ein bisschen den Strand und packen seinen Koffer. Netterweise nimmt Julius eine ordentliche Menge Zeug von mir mit nach Hause, da ich mittlerweile wohl mindestens 2,5 Stück Aufgabegepäckfüllungen gesammelt habe. Am LAX, wo wir vor gut zwei Wochen Basti empfangen haben – Gott ist das alles schon wieder eeeewig lange her – schicken wir nun Julius mit den besten Wünschen heim nach Berlin. Julius war der beste Reisekumpel, den ich mir für den Start dieses Abenteuers hätte wünschen können. Wahnsinn, was wir alles zusammen erlebt haben. Julius, wenn du das liest: Ich hab Dich ganz doll lieb (und dein Geld bekommst Du auch wieder, ich schwöre)!

Viel Zeit, Julius nachzutrauern bleibt allerdings nicht, denn auf direktem Weg fahren wir vom Flughafen nach San Francisco, wo Jona und Floh bereits seit 2 Tagen auf uns warten. Direkter Weg bedeutet nicht die schöne Küstenstraße hoch, sondern den I-5 und auf dem staut es sich mal wieder stundenlang. Obwohl wir pünktlich um 17 Uhr in L.A. losfahren, dauert es so bis 5:30 Uhr am Morgen, dass wir die halb erfrierenden Atzen an einer Bushaltestelle einsammeln und im Auto auf Betriebstemperatur erwärmen können. Aus dem Hotel Capitán haben die beiden zum jetzigen Zeitpunkt bereits ausgecheckt, da wir ja eigentlich am Abend ankommen wollten. Wir pennen an der Golden Gate Bridge und zwar, neuer Rekord, zu viert im Auto. Dazu quetschen wir uns oben wieder zu dritt und räumen dazu einen der unteren beiden Stauräume komplett aus, in den sich Jona auf einer Isomatte kauert. Wenigstens zeigt sich die Brücke am nächsten Morgen und der Nebel, der mich mit Julius noch verfolgt hatte, hat sich etwas gelichtet.
Wir vier brauchen mehrere volle Tage, um uns auf das Burning Man Festival, der Hauptgrund für das Dazustoßen der beiden neuen Mitreisenden, vorzubereiten. Wir kaufen und verkaufen Fahrräder und Fahrradgepäckträger, Schutzbrillen, Staubmasken, Einhörner, Lichter und Tütüs. Das zieht sich, wir müssen durch die gesamte Bay Area gurken, um Craigslist-Menschen zu treffen und im Internet immer wieder gegenchecken. Am Ende haben wir uns eine Strategie und das Grundmaterial zurechtgelegt, mit dem wir die Wüste überleben werden. Hoffentlich. Dann haben wir endlich nochmal Zeit für etwas Urlaub vom Urlaub, fahren schon wieder kurz nach Big Sur und zum wunderschönen Sorona-Pass, wo wir am Morgen von Armee-Kolonnen geweckt werden, die hier natürlich genau heute ihr großes Sommermanöver starten müssen.

Am Samstag fahren wir zum Burning Man.

Kanada: Unendliche Weiten

Die Niagara Fälle sind die wohl mächtigsten Wasserfälle der Erde und damit nicht nur ein Land sich damit schmücken kann, liegen sie genau an der Grenze zwischen den USA und Kanada. Die bessere Aussicht soll man laut Lonely Planet und persönlichen Erfahrungen von Freunden von der kanadischen Seite aus haben und so machen wir direkt rüber, was auch ganz einfach funktioniert, die Rückeinreise in die USA wird vermutlich nicht so schnell gehen. Der Anblick ist schon sehr gewaltig, die stürzenden Wassermassen werden auf einem 200° umspannenden Halbkreis aus Felsvorsprüngen förmlich eingesaugt, nach unten, in ein Wasser fressendes Loch. Natürlich müssen wir uns diesen Anblick mit 2794 anderen Menschen teilen, aber zum Glück ist ja genug Wasser für alle da. Außerdem werden wir uns vielleicht noch nach Menschenmengen zurücksehnen, sobald wir durch die menschenleeren Bundesstaaten in der Mitte Kanadas gereist sein werden.

Und dann geht es in die unendlichen Weiten Kanadas. Wir haben an der Ostküste länger verweilt als im groben ursprünglichen Plan vorgesehen war, und daher müssen wir uns jetzt langsam mal ein bisschen beeilen, um noch etwas von der Westküste sehen zu können. Schon in 20 Tagen müssen wir Basti in L.A. abholen. An einigen Tagen fahren wir also so lange, wie es eben geht. Bis zu 1000km reißen wir an den intensivsten Tagen runter. Naiverweise hatte ich vor ein paar Wochen allein auf dem Weg von Minnesota nach NYC noch angenommen, dass ich mit Julius ja zu zweit am Steuer wechseln könnte und daher doppelt so viel Strecke machen könnte, wie meine 600km am Tag. Diese Rechnung geht natürlich nicht auf, 1000km täglich ist irgendwie das kräftemäßige Maximum.
Eines Nachts werden wir erst längere Zeit von einem Polizeiauto verfolgt, bis es schließlich an uns vorbeizieht, vor uns zum Stehen kommt und uns somit auch zum Anhalten zwingt. Ob wir das Licht nicht gesehen hätten, fragt der Polizist und bereits recht unwirsch. Wir fragen nach, um sicherzugehen: Welches? Daraufhin kommt sich der Cop endgültig verarscht vor: „Was meinst Du welches? Das, was wie ein blinkender Weihnachtsbaum leuchtet!“ Achso, die Sirene. Ja war uns schon aufgefallen, wir haben aber anscheinend die falschen Schlüsse gezogen und sind einfach schön langsam und geradeaus weitergefahren. Hier in Kanada muss man jedenfalls anhalten, wenn hinter einem die Polizei das Blinklicht einschaltet. „Das ist zuhause bei uns ganz anders!“ können wir glaubhaft vermitteln, bei uns würden die Polizeiautos eine Leuchtschrift mit „Anhalten“ durchlaufen lassen. Stimmt das überhaupt? Wie auch immer, wir kommen nach Vorzeigen unserer Papiere ungeschoren davon.

Als wir am nächsten Tag an einem Schild vorbeifahren, welches den longitudinalen Mittelpunkt Kanadas anzeigt, erschrecke ich etwas. Wir sind ja lange nicht am östlichen Ende des Landes losgefahren und nach 2 Tagen brutalen Meilenmachens sind wir noch nicht einmal auf halbem Weg Richtung Vancouver? Das wird wohl noch einige Tage so weitergehen müssen. Zwischendurch kommen wir an so lahmen bis sehr lahmen Orten wie Winnipeg vorbei. Immerhin greifen wir bei einer Kennenlern- oder Abschlussfeier eines Unijahrganges einen Fusi ab. Und weiter auf dem Trans-Canadian Highway…

…111, 112, 113. So viele Waggons hat der Zug, der gerade an uns vorbeifährt. So lang sind die alle!
Mit Calgary erreichen wir nach langer Zeit im Flachland wieder eine vergleichsweise spannende Stadt. Wir kommen auch genau zur rechten Zeit, denn es ist das letzte Wochenende der „greatest outdoor show on earth“, die Calgary Stampede. Dort gibt es neben allerlei Standard-Rummel- und –fressbuden einige witzige Cowboy-Shows. Den Höhepunkt bildet das Rodeoturnier, welches dann doch und ein kleines bisschen wider Willen (ist das schon Tierquälerei?) faszinierend anzusehen ist. Hier wird auf Pferden und Bullen geritten, teilweise ohne Sattel, und es werden Stiere in Rekordzeit mit dem Lasso eingefangen. Leider fängt es nach der Hälfte so stark an zu regnen, dass wir die Finals nicht mehr anschauen können.
Von Calgary ist es nicht mehr weit, bis wir den eigentlichen Grund unseres „Abstechers“ nach Kanada erreichen. Die Rocky Mountains kündigen sich mit ein paar Hügelketten sanft an, verschwinden kurz wieder vollkommen, nur um schlussendlich in ihrer ganzen rauen Schönheit und Steilheit wie eine Wand vor dem Horizont aufzutauchen. Wir fahren in den Banff Nationalpark. Das Schild am Eingang mahnt, die Bären dürfen nicht gefüttert werden. In und um Banff gibt es wunderschöne, sehr blaue Seen zu sehen. Wir ärgern uns über die zahlreichen Selfie-Touristen, welche um diese Jahreszeit die Ufer des Lake Louise bevölkern, bevor wir selber ein Selfie machen. Es gibt im ganzen Park viele Wanderwege unterschiedlichster Länge und Schwierigkeitsgrade. Wir entscheiden uns für einen Halbtagesaufstieg, welcher hinter dem Lake Louise zu einem Gletscher hochführt. Auf dem Rückweg zum Campingplatz gibt es einen kleinen Grizzly-Bären zu bestaunen. Dieser wandert gemütlich ganz nah an der Straße entlang und verursacht dann auch gleich den im Reiseführer beschriebenen „bear jam“, einen Stau, der entsteht, weil alle Selfie-Touristen ein Foto vom Bären schießen wollen und ihr Auto einfach irgendwo am Straßenrand abstellen, so wie wir, oder noch besser gar nicht erst von der Straße herunterfahren, sondern anhalten und den Bären aus ihrem Auto fotografieren, ohne sich daran zu stören, dass sich hinter ihnen der Verkehr bis an den Horizont staut.
Im Auto schläft es sich weiterhin ganz gut, wir finden immer entweder Campingplätze oder sogar Parkplätze, auf denen wir kostenlos übernachten können. Wie das allerdings funktionieren soll, sobald wir mit Basti noch eine dritte Person unterbringen müssen, darüber zerbrechen wir uns ein wenig den Kopf, kommen jedoch noch zu keiner Lösung. Das Zelt, welches wir zum Auto dazubekommen haben, ist leider kaputt.
Im Jasper Nationalpark gibt es endlich etwas weniger Menschen. So konnten wir z.B. noch einen Platz auf dem „richtigen“ Campingplatz ergattern und nicht auf dem sog. „overflow“, den alle Campingplätze hier im Sommer öffnen.
Heute haben wir übrigens den Zählerstand von 5555.5 Meilen gerissen und erreich kurz darauf Vancouver.
Vancouver ist auf jeden Fall die schönste Stadt in Kanada. Wir hängen mit ein paar lokalen Druffis im Park ab und gönnen uns gutes und ein bisschen verrücktes Essen, so wie z.B. Japadogs, eine Fusion aus fernöstlicher und nordamerikanischer Küche.

Mit der Fähre verschiffen wir uns plus Auto auf Vancouver Island. Sobald man es hier aus der Provinzhauptstadt Victoria heraus geschafft hat, gibt es vor allem ganz viel Urwald. Wir fahren in den südlichen Teil der Insel, biegen kurz vor dem touristenvollen Ort Tofino ab ins beschaulichere Ucluelet und spazieren dort den wunderschönen Wild Pacific Trail entlang. Außerdem finden wir hier am zweiten Tag den wohl bisher coolsten, wilden Campingplatz indem wir nur unweit der Straße einfach mal in einen Schotterweg einbiegen und auch weiterfahren, als es sehr eng und rumpelig wird, bis wir an einer kleinen Lichtung direkt am Wasser landen.
Morgens erfrischen wir uns noch kurz in dem eiskalten Gebirgsfluss und begeben uns zurück in die Stadt. Unser Kanada-Abenteuer endet in der Nacht des selben Tages bei der US-Grenzbeamtin Garfield, die es gar nicht so gut findet, dass ich mit meinem J-1 Visum wieder einreisen möchte. Nachdem wir ihr in halbstündiger mühevoller Kleinarbeit erklären können, dass in der heutigen Arbeitswelt manche Menschen nicht mehr jeden Tag in ein Büro gehen müssen, um Arbeit erledigen zu können und das deswegen mit meinem Arbeitsvisum alles schon so seine Richtigkeit hat, lässt sie uns schließlich wieder rein ins gelobte Land, „in dem sich Menschen für billigste Elektronik erschießen“.

So, jetzt tut mir meine Hand weh. Händisches Schreiben ins Tagebuch macht mir keinen Spaß mehr, spätestens seit an der U.S.-Uni alles, sogar die Essays in den Klausuren, am Computer geschrieben wurde. Handarbeit nur noch beim MC-Ankreuzen. Bis zum nächsten Mal!

East Coast

Nachdem ich den zweitschlimmsten persönlichen Verkehrsinfarkt meines Lebens überstanden habe – an den erstschlimmsten in Istanbul kam dann auch diese Erfahrung nicht ganz heran – freue ich mich ungemein, im Halbdunkel endlich vor dem Haus von Alex und Moira in Brooklyn anzukommen und ganz leicht einen Parkplatz zu finden. Geht doch! Die beiden sind so unglaublich liebe, entspannte und freundliche Menschen, dass es mir sofort ganz gemütlich wird. Beide kommen ursprünglich aus Minnesota und sind dann für Job bzw. Masterstudium in den großen Apfel gezogen. Alex zeigt mir den besten Pizzaladen in der insgesamt sehr hippen Nachbarschaft. Auf dem Rückweg kommen wir am Auto vorbei und „dödümm“, natürlich war der Parkplatz von vorhin ein wenig zu einfach zu finden gewesen. Ein grauer Hydrant hat sich geschickt getarnt neben mein Auto auf den Bürgersteig geschlichen und ich soll jetzt $115 bezahlen, weil die Feuerwehr, wenn sie denn kommen müsste, kein kaltes klares Wasser mehr zapfen könnte, ohne die Karre vorher wegzumachen.
Am nächsten Tag fahre ich aufgeregt zum Flughafen, um Julius abzuholen und fortan meinen Trip nicht mehr allein bestreiten zu müssen. Ein schöner Moment, als wir uns nach fast einem Jahr plötzlich am JFK wiedersehen! Gemeinsam verbringen wir die nächsten Tage radelnd durch Manhattan und Brooklyn und oh my gosh, gibt es hier viel zu sehen, hören, riechen, erfahren. Wir finden eine ganz gute Mischung aus Touriprogramm und etwas weniger Standard-Kram. Natürlich fahren wir per Fähre an der Freiheitsstatue vorbei und erklimmen per Fahrstuhl das One World Trade Center, um die Vogelperspektive auf die Stadt selbst zu erleben. Wir besuchen das MoMA und erkunden Chinatown & Little Italy, Williamsburg und das Ukrainian Village, kehren in einige Bars und Restaurants ein, finden einen versteckten Garten mitten in der Stadt und erobern uns so Viertel für Viertel dieser unglaublich großen Stadt.
Vor allem aber versuchen wir, an jeder Ecke den spirit der Stadt einzusaugen. Ich behaupte mal, mir gelingt das ganz gut und ich verliebe mich in die Stadt. Natürlich muss man aufpassen, nicht verloren zu gehen zwischen hupenden Taxifahrern, riesigen Wall-Street-Türmen und rauchenden Gullyschächten. Wenn man aber weiß, was man möchte, dann bekommt man das in NYC auch. Bei Resident Advisor stoßen wir zufällig auf eine halbprivate rooftop party, gleich um die Ecke unserer Wohnung. Julius schneidet mir noch schnell auf dem Brooklyner Bürgersteig die Haare und dann schleifen wir Alex und Moira mit und können so den Sonnenuntergang über der Stadt vom Dach zu endlich mal guten elektronischen Klängen bestaunen. Der nächste Katermorgen eignet sich wunderbar, um unter praller Sonne in der Schlange für die Gratis-Tickets für das beliebte Schauspiel „Shakespeare in the Park“ erst den Rausch auszuschlafen und dann Frühstück delivery zu bestellen. Koordinierend wirkt hierbei Charlotte, eine gute Freundin aus Minnesota, New Yorkerin die wir hier noch 2-3 mal getroffen haben, schön sie noch einmal gesehen zu haben. Das eigentliche Stück am Abend, „the taming oft he shrew“ performt von einer rein weiblichen Crew, ist dann ganz cool anzuschauen aber auch nicht das aller-merk-würdigste Erlebnis.
Mehrere Tage lang entschließen wir uns, „noch einen“ weiteren Tag in dieser Stadt zu bleiben, die uns in ihren Bann gezogen hat und so verlängern wir nächteweise unser Schlafsofa bei Alex und Moira, ohne dass diese sich über die mangelnde Privatsphäre beklagen würden. Am Wochenende kommt sogar noch Alex‘ Bruder Perry zu Besuch und dann gibt es in der gesamten Wohnung endgültig kein Fußbreit freien Boden mehr. Am Ende haben wir nach über einer Woche Alex‘ und Moira’s Gastfreundschaft wirklich arg strapaziert. Tausend Dank ihr beiden, dass ihr uns so nett aufgenommen habt!

Von NYC fahren wir nach Philadelphia, Pennsylvania. Unser erstes Mal „im Auto schlafen“ ist einigermaßen malerisch in einem State Forest gelegen und fühlt sich nach großer Freiheit an. Weniger komfortable Nächte sollen folgen. Wir verstehen in Philly kurz und knackig die U.S.-amerikanische Unabhängigkeit indem wir einige Museen und ganz doll wichtige Artefakte besichtigen und wandern unter brennender Sonne durch die Innenstadt. Ohne ein einziges Cheesesteak gegessen zu haben, sind wir satt von Philly und machen wieder los.
Wir kommen in Washington D.C. pünktlich am 3. Juli, also einen Tag vor dem Nationalfeiertag 4th of July an. Leider kommt mit uns auch und ebenso pünktlich der Regen in Strömen in die Stadt. Die National Mall gleicht einem Regenwasserbaufeld am Nil. So hangeln wir uns von Unterstand zu Unterstand, können aber wenigstens ein paar Monumente – regelrechte Schreine – besichtigen, die hier für Amerikas ganz Große, also Washington, Lincoln und Co., erbaut wurden. Das Weiße Haus ist architektonisch ganz nett, mehr kann man dazu mangels Betrachtung aus der Nähe eigentlich nicht sagen. Als wir in der Nacht in einem National Park innerhalb der Stadtgrenze übernachten wollen, werden wir mitten in der Nacht nett aber bestimmt von einem Polizisten geweckt und verscheucht und müssen auf den nächsten Walmart-Parkplatz ausweichen. Am großen Datum 7/4 treffen wir mit Zack Laskaris den dritten Bruder dieser so unglaublich großzügigen und hilfreichen Familie. Zack ist bei Freunden Daniayla und Michael aus seiner College-Zeit einquartiert und nachdem wir uns von ebendiesen zu leckerem Essen haben führen lassen und zusammen das Feuerwerk, leider nur im Fernsehen, da die Rooftop-Bar doch keine gute Sicht auf das Spektakel bot, bestaunt haben, nehmen sie uns kurzerhand mit zu sich nach Hause und wir haben mal wieder für eine Nacht ein richtiges Bett.
Unsere Zwei-Mann-Karawane zieht nun wieder nordwärts und nach einem ersten längeren Autotag erreichen wir die Universitätsstadt New Haven. Hier arbeitet Julius‘ Hockey-Kumpel Bruno mit den Yale-Medizinern an einem Forschungsprojekt zur automatischen Tumorerkennung durch einen Computer-Algorithmus. Ziemlich verrückt, sehr spannend und natürlich vor allem total „cutting edge“. Wir hängen ein paar Tage bei Bruno ab, der uns die mächtige Uni zeigt, eine der Bibliotheken auf dem Campus hat etliche eingelegte Gehirne im Keller!, uns zum Squash mit in die Uni-Sporthalle schmuggelt, und uns vor allem vielen weiteren coolen Menschen vorstellt. Eines Abends lernen wir bei einem Umtrunk bei Bruno so auch Beatriz und Gonzalo kennen, die uns wiederum in Boston beherbergen werden. New Haven war insgesamt ein fantastischer Stop, mit dem kleinen Wermutstropfen des Ausscheidens der DFB-Jungs gegen Frankreich, welches wir in einer Kneipe in der Nachbarschaft mit einer überraschend großen deutschen Community betrauern.
Nahtlos weiter geht es mit wunderbaren Menschen und Erfahrungen, als wir weiter nach Boston fahren. Die vorher bei Bruno kennengelernten Spanier Bea und Gonzalo bereiten uns ein Lager in ihrer hübschen Wohnung gelegen in Cambridge, ziemlich genau auf halber Strecke zwischen den Campus von MIT und Harvard. Gleich am ersten Abend haben wir das Glück, mitgenommen zu werden in einen portugiesischen Club, in dem wöchentlich so wie an diesem Freitagabend fantastisches Essen von Meeresfrüchten bis Steak zu günstigen Preisen serviert wird. Ein echter Insidertipp also und mit der 10-köpfigen, bunt gemischten und wiederum sehr interessanten Gruppe wäre der Abend auch ohne die 8 Flaschen Wein super geworden. Mit natürlich auch. In der Altstadt von Boston dreht sich alles um Freedom und so laufen wir logischerweise den Freedom Trail entlang, der an viel zu vielen historischen Orten im Zusammenhang mit der U.S.-Revolution hält, um sie alle an einem Tag zu besichtigen. Besonders freue ich mich, Martha wiederzusehen, die ich auch noch von der U of Minnesota kenne. Außerdem schauen wir uns die Unis Harvard und MIT an, wobei es vor lauter Freaks auf der Suche nach Pokémon, es ist der erste Tag des Hypes und ja auch ich gehöre ein bisschen dazu, schwer ist, die Altehrwürdigkeit dieser Orte zu erfahren. Zum PhD-Studium würde ich trotzdem herkommen, wenn es sich ergibt.

Am frühen Morgen des folgenden Montages brechen wir auf nach Kanada.

Und los: Down to the East coast

Mit zwei lachenden Augen verabschiede ich mich am Morgen des Anfangs vom Vagabundenleben von Nancy und George. Eins lacht, weil ich hier eine tolle Familie gefunden habe und ich weiß, dass ich diese wunderbaren Menschen ganz sicher nicht zum letzten Mal gesehen haben werde. Das andere lacht, weil der Tag, auf den alles in den letzten Wochen irgendwie hin lief, endlich da ist. Das Auto ist komplett gepackt und startbereit, ich habe sogar schon eine Nacht darin Probe geschlafen, auf Nancy und George’s Basketballfeld hinten im Garten, und meine ersten 3 Stops sind dank der unschätzbar wertvollen Hilfe meiner American Mum and Dad durchgeplant. Ich muss also nur noch fahren, für alles andere ist gesorgt. Das ist natürlich schneller gesagt als getan, die Fahrt wird lang und –weilig.
Ich habe mir die Route nach New York City in drei ungefähr gleich große Teile eingeteilt und so muss ich jeden Tag mutterseelenallein zwischen sechs und acht Stunden über Highway-Asphalt rollen. Im Auto bleibt immerhin viel Zeit zum Nachdenken und Wach-Träumen und so male ich mir den bevorstehenden Trip schon mal in den schillerndsten Farben aus: Zuerst würde ich jetzt nach NYC runterfahren, um dort Julius einzusammeln. Mit diesem ginge es dann die komplette Ostküste der Staaten runter und wieder rauf. Nach Boston wollen wir nach Westen abbiegen und über die Grenze nach Kanada fahren. Von dort dann im Zickzack die schönsten Nationalparks einschließend coast-to-coast an die Westküste. Bei Seattle zurück in die USA, und den Highway 1 die Westküste runter bis L.A., wo wir Basti einsammeln würden. Von dort dann einige Tage ins Landesinnere, um die beeindruckenden Naturphänomene zu genießen, zurück nach L.A., Julius wegbringen, hoch nach San Francisco, Jonathan und Florian abholen, mit der Meute aufs Burning Man-Festival gehen und danach noch mal eben mit Basti durch den ganzen U.S.-amerikanischen Süden touren, um schließlich Mitte Oktober aus Florida zurück nach Deutschland zu fliegen. Man kann sich die Form der Route also wie ein riesiges C vorstellen, eine große öffnende Klammer, welche die USA umschließt. „Na, wenn das mal alles so hinhaut“ denke ich, als ich nach Chicago einrolle. Noch habe ich ein funktionierendes Auto, genug Reserven auf dem Konto und bin frohen Mutes. Wäre fast ein Wunder, wenn all das für immer so bliebe.
Im Norden Chicagos darf ich bei Sabine und Andrew übernachten. Er ist ein ehemaliger Student von George an der U, sie eine Deutsche auf Auslandsstation in ihrem Trainee-Programm. Kennengelernt haben sich beide in ihrer Ausbildung bei einem deutschen internationalen Unternehmen. Dieses Unternehmen bezahlt auch Sabines 2-Bedroom-Apartment mit einem ungenutzten Zimmer und so komme ich, wohl zum letzten Mal für ganz lange Zeit, sogar in den Luxus eines eigenen Zimmers für eine Nacht. Zu Abend essen wir beim örtlichen „Portillos“ – wieder genau so lecker, wie ich es aus meinem ersten Trip nach Chicago in Erinnerung habe. Danach gibt es noch NBA und das Staffelfinale von Game of Thrones auf die Augen und ich kann erst ins Bett gehen, nachdem ich mich ein wenig beruhigt habe.

Die Etappe des nächsten Tages führt mich durch Cleveland. Das trifft sich ganz gut, denn gerade am Vorabend haben die Cavaliers um LeBron James zum ersten Mal in der Geschichte der NBA die Finalserie gegen die Golden State Warriors um Steph Curry nach 3 Niederlagen aus 4 Spielen noch gedreht und sind die Basketball-Champions geworden. Das Herzschlagfinale hatten Sabine, Drew und ich gestern Abend auf der Couch verfolgt. Und so nehme ich einen, durch die vielen jubelnden Fans, die die Straßen verstopfen, mit fast 2 Stunden deutlich länger als gedachten Umweg in Kauf und fahre zur Heimarena der Cavs. Die offizielle Party findet erst in zwei Tagen statt, aber auch jetzt kann ich ein bisschen Gewinnerstimmung tanken, in dieser Stadt, in der seit den 60er Jahren kein großer Titel mehr gewonnen wurde. Den Rest des Tages bestimmen langgezogene Highways durchs Flachland und das blödeste Mautsystem aller Zeiten in Illinois – nur Du hast noch die Chance, das evtl. noch zu toppen, Alex D. – und ich bin glücklich, dass ich mir eine 400 Songs umfassende Spotify-Playlist mit dem Titel „Riding Flyover Country“ erstellt habe.
Sobald ich mich New York State nähere, ist es wenigstens mit der landschaftlichen Langeweile vorbei. Alles ist so grün hier, ein paar Hügel gibt es auch und vor allem hat Upstate New York nichts, aber auch gar nichts mit NYC gemein. Kurz nachdem ich vom Highway abfahre entdecke ich außerdem eine große Siedlung einer Amish community und kann mir einmal vorstellen, wie hier alle Menschen gelebt haben müssen, damals, als Amerika noch Sehnsuchtsort vieler Europäer war und sie hier mit dem Schiff und Hoffnung auf eine bessere Zukunft gelandet sind. Beth, George’s Schwester, ihr Ehemann Ron und sein Bruder Gary empfangen mich mit frischen Hamburgern vom Grill zum Abendessen. Ihr Grundstück ist bewaldet und mit 14 ha sehr weitläufig, es erinnert mich an das eines Freundes meines Papas in der Uckermark, das wir früher immer sehr gerne zum Urlaub mit der Familie genutzt haben. Als ich mir ein Glas des in dieser Gegend doch bestimmt sauberen Leitungswassers abfülle, gibt mir Beth stattdessen eine kleine Plastikflasche und erklärt mir, dass ein paar Unternehmen hier vor 15 Jahren mit dem Fracking begonnen hatten und man das Grundwasser hier seitdem lieber nicht mehr trinken soll. Na jut. Ron hat vor dem Grundstück ein großes Plakat aufgehängt, auf dem die Erhaltung des „second amendment“ beschworen wird, also das zur Verfassung hinzugefügte Recht eines jeden Amerikaners, eine Waffe zu besitzen. Ron, selber Vietnam-Kriegsveteran, macht von diesem Recht auch selber gleich in mehrfacher Ausführung Gebrauch. Nicht ohne Stolz zeigt er mir Teile seiner Waffensammlung und nicht ohne Ehrfurcht begutachte ich und probiere aus. Mit einer Kaliber .22 auf Dosen zu schießen mag ja noch ganz spaßig sein, aber spätestens als ich seine neue Knarre, eine Pistole zur – wie Ron es sagt – „Selbstverteidigung“ (vllt eine Glock oder Sig, hab ich vergessen) abfeuere, den Rückstoß spüre und vom Knall einen ordentlichen und lange andauernden Tinni bekomme, merke ich, dass solche Waffen für mich doch eher nichts sind und auch bitte für niemanden ohne entsprechendes Training etwas sein sollten. Am späten Abend stoßen wir zu einer kleinen Geburtstagsfeier einer Nachbarin hinzu und genießen Lagerfeuer und Vollmond.
Früh am nächsten Morgen mache ich mich auf meine letzte Pre-brotrip-Etappe durch den schönen Empire State. Es geht bis zur Stadtgrenze von NYC recht zügig voran, aber ab dort beginnt der Albtraum: Für die letzten 5 Meilen durch den Big Apple, brauche ich über eine Stunde, da ich ganz Manhattan zur rush hour durchqueren muss, um die Wohnung des Laskaris-Sohnes Alex in Brooklyn zu erreichen.