Allein

Dann bin ich allein.

Tagelang rede ich nur ein paar Minuten am Tag mit Leuten am Telefon und verbringe den Rest meiner Zeit schweigend mit meinem Tagebuch, Solitaire-Kartenspielen oder im Internetcafe. Ich mag allein sein immer noch nicht. Es ist aber wohl eine gute Übung.

Solitaire

Solitaire

Was mir auffällt ist, wie sehr persönlich hier alles ist. Die Leute erinnern sich an mich. Die Bedienung im Café weiß, welches Bier ich trinke, die beim Bäcker kennt meine Lieblingsmarmelade, die ich in meinem Gogosi will. Und der Typ an der Supermarktkasse (!) fragt mich gleich auf Englisch, on ich eine Tüte brauche und lächelt dann „You see? I didn’t forget you.“ Darauf legen die Leute hier anscheinend Wert und ich finde es gleichzeitig schön und ein wenig unheimlich.

Fluchtpunkte

Fluchtpunkte

Gutes Essen und Abschiede

Marie kommt mit ihrer Familie aus Berlin zu Besuch. 3 Tage am Stück werden wir in die besten Restaurants der Stadt eingeladen. Dazu gibt es an einem Tag eine private Stadtführung und am nächsten können wir an einer rumänisch-orthodoxen Trauerfeier teilnehmen.

mit den Mädels

mit den Mädels

Im Restaurant gibt es außer gutem Essen auch gutes Trinken und der erste Abend an dem ich noch im „Ich trinke alles, was man mir anbietet“-Modus bin endet nach vielen Bieren und doppelten Jägermeistern ziemlich blau. Völlig außer übung kann ich nicht an Glanzleistungen anknüpfen, die mir einst im Abibuch die Auszeichnung als „größter Suffkopp“ eingebracht haben. Nein Mama, ich bin immer noch nicht stolz drauf. Am nächsten Morgen herrscht Filmriss, aber die Erzählungen der anderen reichen dafür, dass ich ab jetzt nur noch einen aus Höflichkeit mittrinke.

Im Restaurant

Im Restaurant

Am Samstag nehme ich auf unbestimmte Zeit Abschied von Julia und am folgenden Tag auch von Marie. So schön es war, die beiden gesehen zu haben, so traurig ist der Abschied. Hoffentlich ist das Wiedersehen nicht soo fern.

Sinaia

Nachdem wir die Hauptstadt, die Schwarzmeerküste und das Donaudelta gesehen haben, wollen Julia und ich das nächste landschaftliche Highlight erleben und fahren mit dem Zug in die Karpaten. Wieder schaffen wir es morgens nicht so früh wie gehofft und deshalb trudeln wir erst um 13:30 Uhr in Sinaia ein. Sinaia war früher die Sommerresidenz der Hohenzollernkönige und ist jetzt sommers beliebtes Ausflugsziel für Wanderer und geschichtlich interessierte und winters Skigebiet. Wir spazieren zürst durch die Stadt und heben uns die Hauptattraktion, die beiden Schlösser von König und Königin für später auf. Als wir dann zum Höhepunkt kommen wollen, haben wir den letzten Einlass in’s Schloss um wenige Minuten verpasst. Bitter. Immerhin ein guter Grund hier nochmal herzukommen, denn das Schloss von außen und der Bericht von ein paar Leuten, die drin waren, wirken schon sehr imposant. Auch die Draculaburg schreit nach einem Besuch und somit kann sich Transsilvanien auf mich gefasst machen – Ich komme wieder!

Back to Bukarest

Mit den freundlichen Schweizern geht es im Auto Richtung Osten. Ein Wetterumschwung meint uns genau jetzt richtig nerven zu müssen. Das Thermometer im Auto fällt innerhalb von 2 Stunden von 30°C auf 9°C. Keine guten Voraussetzungen für’s Zelten, weshalb wir unseren Plan ändern und es direkt zurück nach Bukarest in die warme und trockene Wohnung versuchen wollen. Wir können unser Glück nicht fassen, als uns der Erste, der anhält, uns anbietet in seinem Mercedes bis zum Flughafen Bukarest mitzunehmen. Ein über-300km-Lift! Leider haben wir uns zu früh gefreut: Anfangs versuchen wir noch seine Nachfragen, die auf Geld abzielen zu überhören, irgendwann wird aber überdeutlich, dass er uns das Stück nicht für lau mitnehmen möchte. Wir können ihm klarmachen, dass wir nichts zahlen können und wollen, woraufhin er uns sofort aussteigen lässt.

but it's home to me and I walk alone

but it’s home to me and I walk alone

Abermals kommen wir nur dank sehr hilfsbereiter Rumänen, die uns an Orte fahren, die nicht auf ihrem Weg liegen, zurück auf die Route nach Bukarest. Dort sammelt uns Adrian ein, der uns bis Ploiesti, die nächste grössere Stadt nördlich von Bukarest, mitnehmen kann. Das liegt zwar nicht 100%ig auf unserem Weg, doch bereün wir die Mitfahrt bei Adrian nicht. Er ist geschätzt fuffzich, gemütliche Figur, kurzes graues Haar und Pfeifenrauchgenießer. Adrian hat ein kleines Problem: In Rumänien bekommt man mit dem Führerschein ein Konto mit 15 Punkten. So wie Verkehrssünder bei uns in Flensburg Strafpunkte sammeln, bekommen sie in Rumänien von ebendiesen 15 Startpunkten je nach Vergehen Punkte abgezogen. Wer auf 0 fällt darf sich vom Führerschein verabschieden. Adrians Konto steht aktuell bei 2 Punkten. Weil man sich keine Pluspunkte verdienen kann, muss Adrian jetzt eigentlich richtig vorsichtig fahren. Will er aber eigentlich nicht. Kluger Mensch, wie er ist, hat Adrian sich folgende Lösung überlegt: Er hat sich ein Funkgerät in’s Auto eingebaut, das er auf LKW-Frequenz tunen kann. Und so fragt er gemütlich alle 10km einen Brummifahrer auf der Gegenspur, ob irgendwo „Probleme“ (Polizeistationen, Radarfallen, Kontrollen) zu erwarten wären. Weil alles frei ist, können wir entspannt mit bis zu 50 zu viel auf’m Tacho reisen.

Adrian kann auch noch mit anderen Qualitäten punkten. Beruflich macht er mehr oder weniger „mehr als lernen“ für Erwachsene, in seiner Freizeit shoppt er Pfeifen und Pfeifentabak und macht Fotos auf der ganzen Welt.

In Ploiesti angekommen sind wir vom Stadtbild des Schwerindustrie-Standorts positiv überrascht, es ist wirklich hübsch hier. Komischerweise gibt es aber keine Verbindung mit dem Bus nach Bukarest. Deshalb stehen an einer dafür bekannten Ecke Dutzende Menschen und lassen sich für ein wenig Geld von Leuten mit Auto nach Bukarest mitnehmen. Schlechte Voraussetzungen für den philosophiebewussten Tramper. Wir spazieren ein Stück weiter und werden dann von einem sehr netten Menschen bis nach Bukarest mitgenommen.

Nach insgesamt 10 Reisestunden kommen wir ausgepumt und glücklich in „unserer“ Bukarester Wohnung an.

Donaudelta

Mit dem Boot erkunden wir am nächsten Tag das Delta. Es ist eine kleine Tour mit 7 Passagieren, die 2 Spanier, eine schweizer Familie, die im gleichen Hotel wohnt, wie wir und wir. Die Vegetation ist hübsch anzusehen, leider sind die Flamingos und Pelikane aus den Tour-Werbefotos wohl vor allem im Frühling zu sehen, jetzt gehört das Delta den Fischern. Die Tour hat den Actionfaktor von einer Schlauchboottour durchs Tegeler Fließ. Mit den Schweizern quatschen wir so lange, bis sie und eine Mitfahrt Richtung Transsilvanien in ihrem Auto am nächsten Tag gewähren.

Süßwasser

Der nächste Tag beginnt mit Trampen: Angefangen bei einem ewig streitenden Pärchen und aufgehört bei Valentin, Laubenkieper am Razim-See neben dem Schwarzen Meer am unteren Ende des Donau-Deltas, landen wir an einer menschenverlassenen Stelle direkt am See, zu der uns Valentin noch 5km von seinem Ferienhaus entfernt über üble Schotterpisten fährt. Ob es hier ungefährlich ist zu campen, weiß er nicht so genau. Die  letzten Spuren menschlicher Zivilisation hier sind 2 Ruinenstädte auf den den See säumenden Felsen aus dem Mittelalter. Die nächsten bewohnten Häuser sieht man, wenn man auf den höchsten Punkt der Umgebung steigt, in der Ferne. Wir bauen unser Zelt auf und verchillen den Nachmittag, bis wir merken, dass uns nur noch einige Schluck Wasser bleiben. Die Rettung bringen am frühen Abend ein paar Touristen, die sich die Ruinen angucken und uns 2 Liter Wasser schenken.

auf der Felskante sitzen...mächtig

auf der Felskante sitzen…mächtig

Keine 20m von unserem Zelt entfernt grast ein Pferd. Wir gehen davon aus, dass es schon irgendjemand abholen kommen wird. Als wir schlafen gehen, ist das Pferd immer noch da und kommt unserem Zelt des öfteren gefährlich nahe. Da kann man es ruhig mal mit der Angst zu tun bekommen, ist ja nicht gerade schwach, so ein Pferd. Zu allem überfluss legen die Nacht über an unserem Privatstrand dubiose Gestalten in Motorbooten an. Hier ist nachts mehr los, als tagsüber.

Das Pferd

Das Pferd

So richtig viel können wir bei dem Trubel nicht schlafen.

Sonnenuntergangsgemälde by Mutter Natur

Sonnenuntergangsgemälde by Mutter Natur

Als wir am nächsten Morgen mit einem Fischer, der zum Glück mit dem Auto genau an unseren Strand gefahren kommt, ins nächste Dorf mitfahren wollen, kommt Valentin mit einem Kumpel vorbei, er wollte gucken, ob wir die Nacht gut überstanden haben. Was für ein netter Mensch.

bosslike Steine flippen am Privatstrand

bosslike Steine flippen am Privatstrand

Wir wollen weiter ins Donau-Delta rein, über kleine Straßen und Dörfer trampen wir nach Tulcea. Das läuft super: Es gibt hier zwar wenig Verkehr und die Autos fahren nur kurze Strecken. Dafür hält ungefähr jedes dritte Auto an, um uns mitzunehmen.

In der Stadt angekommen, lernen wir Sara & Jorge kennen, zwei junge Spanier, mit denen wir uns für eine Bootstour am nächsten Tag verabreden. Wir übernachten im günstigsten Hotel.

Endlich Meer

Wir entscheiden, mit dem Zug nach Constanta zu fahren und kaufen uns Tickets für den nächsten Morgen kurz nach 8. Wie töricht. Natürlich wachen wir nach 9 auf, ohne eine Ahnung, was mit dem Wecker war. Der teuflische Plan besteht daraufhin darin, einfach den gleichen Zug am nächsten Morgen zu nehmen und die „Ich bin ein deutscher Touri und verstehe nichts“-Nummer zu spielen, falls es brenzlig wird.

deutsche Touris

Gesagt, getan, am nächsten Morgen steigen wir in aller Herrgottsfrühe in den Zug.

Die „Ich bin ein deutscher Touri und verstehe nichts“-Nummer zieht leider überhaupt nicht, die Kontrolleure weigern sich beharrlich, unser Ticket zu stempeln. Englisch ist, na klar, nur sehr begrenzt und so sind wir wieder mal auf mittelschwere Wunder angewiesen. Das kommt in Gestalt von Christian daher: Seineszeichens schwuler Psychologe für rumänische Drönabhängige und gerade vor allem interessant, weil er uns gegenüber sitzt. Erst wird mithilfe seiner Mutter am Telefon wie wild hin&her gedolmetscht: Rumänisch, Deutsch, Englisch, Spanisch, alles ist dabei. So können wir den Schaffnern klarmachen, dass wir nicht erneut für ein Ticket zahlen werden (zumal sich der Preis mittlerweile verdoppelt hat). Als wir an der nächsten Station irgendwo in der Walachei (stimmt fast im wörtlichen Sinne) aussteigen sollen, haben wir darauf nicht mehr so Bock. Ein Backsteinhäuschen im Nirgendwo und 5 Stunden auf den nächsten Zug warten, die Kombi ist jetzt nicht ultra-verlockend. Findet auch Chris und erklärt auf Spanisch, dass sich die Schaffner mit 20€ ein schönes Mittagessen gönnen könnten. „Me entiendes?“ Si claro: Zwicke zwischen die Fahrscheine gesteckt und die Schaffner gebeten, sich das Datum nochmal ganz genau anzuschauen.

Stempel drauf, weiterfahren. 1. aktive Bestechung: Check!

Wir nehmen den Bus in den Norden, zu den Stränden von Mamaia, eine Empfehlung, die uns Chris zusammen mit seiner Handynummer für Notfälle gegeben hat.

Meer

Licht und Schatten des Massentourismus fallen hier brutal auf uns herab. Die Strandpromenade mit ihren Cafés und Kiosken, mit ihren Restaurants und natürlich ihren hunderten Hotels einsnebendemandern, auf der sich während der Sommermonate bestimmt tausende Touris drängeln, ist einen Monat später wie leergefegt. Menschenleere Strände und Buchten bis zum Horizont, wo sich majestätisch der Industrie- und Ölhafen erhebt.

mehr Meer

mehr Meer

Wir chillen den Tag über auf den Liegen am Strand einer sich gerade noch im Bau befindlichen Bettenburg.

Da alle Restaurants geschlossen sind, geht’s zum 24/7 Minimarket, um Brot und Belag einzukaufen. Dieser hat sich perfekt an die Bedürfnisse seiner Kunde in dieser Saison angepasst: Die Atzen vom Bau. Eine 6-türige Glasfront gewährt Ausblick auf Unmengen an Bier in allen erdenklichen Formen, Größen und Farben. Die anderen Schränke, die nebenan minderwertige nichtalkoholische Getränke und Lebensmittel anbieten wirken kläglich und angestaubt.

Wir campen diese Nacht direkt auf dem Strand, wodurch wir mitternachts bei Vollmond in’s Meer rennen können.

Geil.

Morgen am Meer

Morgen am Meer

Bukarest

Die Zeit in Bukarest vergeht viel zu schnell. Julia kommt mich aus Berlin besuchen, tagsüber besichtigen wir die Altstadt. Gleich am ersten Tag lernen wir beim überdieStraßegehen Salem kennen. Der ist Franzose und zum Fürgeldstudierenweilabizuschlecht nach Rumänien gekommen.

Erstmal ein Eis, dann sehen wir weiter

Er wohnt also ganz frisch in Timisoara und muss in Bukarest sein Visa-Zeug klären. Nebenbei macht er Power-Sightseeing. In atemberaubender Geschwindigkeit schleift er uns durch die Stadt (die er schon ein wenig besser kennt), in der rechten Hand immer sein Fotohandy, mit dem er dank großer Speicherkarte „plein de photos“ machen kann. Natürlich on-the-go, Zeit ist immerhin Geld. Der einzige Ort, an dem wir länger bleiben, ist gleichzeitig sein Lieblingsort in jeder Stadt der Welt: Die überdimensionierte Shopping-mall, Paradies für fastfoodliebende Konsumopfer, Leute eben, die alles auf einmal brauchen. Eigentlich genau mein Profil, jedoch habe ich mittlerweile schon den Anspruch, auf meiner Reise ein wenig mehr zu erleben als Level 2 im Autorennsimulator oder Safari mit Stofftieren.

Level up

Salem ist der perfekte Repräsentant unserer Generation, wie sie sein müsste, damit unsere Eltern noch volle Rentenbezüge erhalten (da aber nicht alle so sind wird es eher so enden.): Arbeitsam, konsumierend und gnadenlos effizient.

Arc de Triomphe auf rumaenisch

Abends gönnen Julia und ich uns etwas Urlaubsgemütlichkeit, kochen zusammen und reden über Gott und die Welt.

im japanischen Garten

im japanischen Garten

Ein erstes Highlight unserer Touriaktivitäten wird die Tour durch den Chausescu-Palast, Monument des letzten europäischen Diktators für das seinerzeit 1/3 der Stadt plattgemacht und 40.000 Menschen superkurzfristig umgesiedelt wurden. Das Ding ist einfach nur fett, das zweitgrößte Gebäude der Welt eben, nur das Pentagon ist flächenmässig noch weiter vorn.

Da ist das Ding!

auf dem Balkon des Prunkpalastes

La Roumanie, c’est moi. Un jour peut-etre…

Schlaraffenland

Am Busbahnhof wartet George auf mich, ein Freund der Familie Gründel, in deren Wohnung ich in Bukarest wohnen darf. Zum Glück konnte ich den über SMS auf dem Laufenden halten und er hat nicht fünf Stunden, sondern nur rund eine warten müssen. George fährt mich mit dem Auto zu der Wohnung, unterwegs kommen wir an der Stadtmitte inklusive sozialisatscher Prachtstraßen und Chausescu-Palast vorbei.

Bukarest

In der Wohnung ist alles vorbereitet. Betten frisch bezogen, Handtücher gewaschen und nachdem George losgezogen ist sogar der Kühlschrank gefüllt. Außerdem bekomme ich mit Metro-Tickets, aufgeladenem Prepaid-Handy und einheimischer Währung ein Bukarest-Starter-Kit, welches Julia und mir später viel Geld und Stress erspart. Wie im Hotel hier, nur besser.

Waschmaschine gibt’s auch… geht aber leider nicht

Ich bin total froh, mich nach den ganzen Reisestrapazen einfach nur ausruhen zu können und danke in Gedanken Marie, ihrer Mutter Cristina, George und der Nachbarin, die hier innerhalb einer Nacht (so spät habe ich mich angekündigt) alles hergerichtet hat. Das soll nicht der letzte Dank an die alle gewesen sein. „I don’t want to father you“ betont George noch, bevor er loszieht, um sich um weitere Dinge für uns zu kümmern.