Tel Aviv, 22.-26.8.

Wir kommen auf die Minute genau in Tel Aviv an: Gerade, als wir in Mariellas Strasse einbiegen, beginnt leise heulend (wir waren uns auf Grund der geringen Lautstaerke echt nicht so sicher, ob wir das jetzt wirklich gehoert hatten) unser erster Raketenalarm. Wir huschen also schnell rein und treffen Mariella im Treppenhaus, wo man am besten vor Raketen geschuetzt sein soll. Dann 2-3 Explosionen der Abfangraketen des Iron Domes und der Alarm hoert auf. Zur Sicherheit bleiben wir noch ein paar Minuten stehen und es gibt tatsaechlich noch einen letzten dumpfen Knall. Dann geht das Leben weiter, als waere nichts passiert. Vom eingezogenen Mitbewohner hat man hier noch nichts gehoert, was aber auch logisch ist, da die Luftwaffe in einem streng geheimen Quartier stationiert ist. Da Telefone geortet werden koennten, besteht keinerlei Moeglichkeit zur Kontaktaufnahme.

Abends gehen wir in eine Bar und gucken uns zum ersten Mal das Nachtleben Tel Avivs an. Die Bar ist nett, die Bierpreise zum Weinen. Wer sich betrinkt wird arm, aber Bier ist ja eh nicht so unser Ding. Spass.

Als zwei weitere Freunde Mariellas aus der Uni ankommen, hole ich die beiden vom Flughafen ab, da Mariella arbeiten muss. Ich navigiere mit Dominic und Nico ziemlich sicher durch die Stadt, die mir jetzt schon vertraut vorkommt. Den Tag verbringen wir am Strand und mit Chillen und unserem frisch gegruendeten philosophischen Oktett, sehr zum Leidwesen Mariellas, die die Mama-Rolle dann zwar widerwillig aber doch liebevoll einnimmt.

Am Abend wird es in Mariellas WG zu eng, weshalb wir zu Gilad umziehen. Florian hatte sich vorher bei Couchsurfing umgehoert und Gilad hat (es mit) uns aufgenommen. Er hat eine fette Wohnung mit einer Klimaanlage, die bei den Temperaturen hier Gold wert ist. Er arbeitet in der Hi-Tech-Industrie und ist ein netter Kerl (Hobbydetektiv Lukas entlarvt ihn aufgrund dieser Merkmale als vermeintlichen Mossad-Agenten, worueber Gilad nur muede laechelt, sehr verdaechtig!). Wir residieren („wohnen“ waere untertrieben) jetzt also im schoenen Norden der Stadt und fuer eine Nacht kommt auch Lukas noch dazu. Gilad zeigt uns einige neue Orte in der Stadt, unter anderem den Hafen. Wir trinken viel Bier (aus Gilads Kuehlschrank ist es zum Glueck nicht so teuer) und schlagen uns 2 Naechte um die Ohren, was wiederum dazu fuehrt, das tagsueber ausser am Strand liegen nicht viel angesagt ist.

An unserem letzten Abend in Tel Aviv verabschieden wir Lukas, fuer ihn geht es nach langer Zeit zurueck nach Deutschland und in den Uni-Trott. Alles Gute dafuer!

Jerusalem, 20.-22.8.

Zum Fruehstueck gibt es Pita-Brot mit verschiedenen Hummus-Variationen und herzhaften Cremes. Essenstechnisch liegt dieses Land auf meiner Wellenlaenge, glaube ich. Wir nehmen einen fruehen Bus nach Jerusalem. Unterwegs fallen wieder die vielen Maschinengewehre ins Auge, die von Soldatinnen und Soldaten durch die Strassen getragen werden. Ein paradoxes Bild gibt ein junger Mann in farbenfrohem T-Shirt und bunter Badehose ab, der eine schwere Waffe umgehaengt hat, aber so laessig durch die Strasse schlendert, als wuerde er selbst das gar nicht mehr wissen.

Mariella hat uns ein Hostel empfohlen, in dem wir fuer 50 Schekel (vergleichsweise wirklich wenig) auf der Dachterasse pennen koennen, die gleichzeitig eine super Aussicht auf die Altstadt bietet. Wir machen direkt eine Stadtfuehrung mit, bei der uns unser jungscher Guide Aviv einen zweistuendigen Crashkurs in die 4 Altstadt-Viertel gibt: Das armenische, das christliche, das juedische und das islamische Viertel. Besonders beachtlich: Juden, die im islamischen Viertel leben, bekommen von der Regierung einen Kasten mit Bodyguard auf’s Dach gestellt.

Jeder Ort hier ist heilig: Keine Kirche in der Jesus nicht wenigstens einmal gebetet oder gegessen hat, kein Berg auf dem nicht irgendeine Prophezeihung eingetreten ist oder eintreten wird (bestimmt!). Am Nachmittag treffen wir meinen alten Freund Lukas, der zufaelligereise auch gerade in Israel herumreist und in Jerusalem am Start ist. Mit seinem Kumpel Andreas kommen sie gerade von einer Quer-durchs-Land-Tour wieder und haben einige witzige und unglaubliche Geschichten im Gepaeck. Wir stromern erzaehlend bzw. zuhoerend durch die Altstadt und enden in einer Bar mit weiteren Freunden, die sie unterwegs kennengelernt haben. Am Ende ihrer lebhaften Erzaehlungen beschliessen wir, den jordanischen Ort Petra von unserer Reiseroute zu streichen, da hier anscheinend jeder versucht, Touristen um ihr Geld zu bescheissen.

In einem interessanten Geapraech mit dem US-amerikanischen Juden Jeff versuche ich einmal, mir die juedische Position zum Nahost-Konflikt klar zu machen. Seiner Meinug nach kann es nur eine 2-Staaten-Loesung geben, da es einen juedischen Staat, in dem man sich sicher fuehlen kann, geben muesse. In Deutschland hatte ich im Vorfeld in Gespraechen mit Israelis eher herausgehoert, dass das Projekt 2 Staaten doch eh schon gescheitert sei und ein einziger Staat mit gleichen Rechten fuer alle die einzige Loesung sein koennte. Es ist ganz interessant aber auch total ernuechternd zu beobachten, dass sich hier wirklich niemand mit niemandem einig ist. Jeff glaubt fruehestens in „20 bis 30 Jahren“ an eine stabilen Frieden. Aber wenigstens glaubt er daran.

Am naechsten Tag besichtigen wir die Klagemauer. Diese ist der letzte Ueberrest des sogennanten zweiten Tempels und eine der heiligsten Staetten fuer die Juden. Das Beste ist meiner Meinung nach, dass man sich etwas wuenschen kann, indem man einen Wunschzettel in einen Spalt der Mauer stopft. Einmal im Monat werden die Zettel dann abgheholt und auf dem Oelberg vergraben. Danach geht’s zum Tempelberg. Waehrend man hier sonst sehr lange anstehen muss, bevor man hochgelasen wird, gibt es zur Zeit so wenig Touristen, dass wir easy hochlaufen koennen. Der Felsendom ist imposant, die anderen Gebaeude eher unspannend. Auf dem oberen Plateau laufen erstmals keine israelischen Soldaten oder Polizisten herum, dafuer kontrollieren sie schwer bewaffnet alle Eingaenge und laufen unten Patrouille. Der Tempelberg ist eigentlich das Sinnbild fuer den Nahost-Konflikt und den Konflikt der Religionen. Allen (Juden, Muslimen und Christen) ist er heilig und keiner moechte ein Stueck Kontrolle darueber abgeben. Aviv hatte gestern gesagt: „Der ganze Nahost-Konflikt liesse sich inerhalb weniger Sekunden loesen. Bis auf den Jerusalem-Konflikt. Der wird sich wohl nie loesen lassen.“ Im Moment wird der Berg von einer muslimischen Stiftung verwaltet, die militaerische Kontrolle hat aber hauptsaechlich Israel. Wegen des ganzen Stresses, der sich oft hier entlaedt, werden Juden oft nur beaufsichtigt und in kleinen Gruppen hereingelassen und auch fuer Muslime werden immer wieder Beschraenkungen verhaengt. Eine kleine Kostprobe bekommen wir, als nach dem Mittagsgebet rund um den Felsendom „Allahu Akbar“-Rufe laut werden. Die kann man je nach Windrichtung auch unten an der Klagemauer sehr gut hoeren, was das Rufen in diese Richtung fuer einige Stoerenfriede besonders attraktiv macht.

Wir entscheiden uns heute Abend bewusst gegen Feierei mit Lukas und Andreas, sehr zu deren Bedauern, da der Donnerstagabend hier aequivalent zu unserem Freitagabend ist. Dafuer koennen wir frueh nach Sonnenaufgang auf den Oelberg wandern und unterwegs und obendrauf wichtige Orte des Wirken Jesu besuchen. In den meisten Kirchen und Staetten sind wir voellig allein, auch eine Folge des aktuellen Kriegs. Nach muehevollem Aufstieg auf den Glockenturm der Himmelfahrtskirche, die Kaiser Wilhelm II hier errichten liess, werden wir mit einer 360-Grad-Aussicht auf Jerusalem, das Westjordanland, die Mauer („Sperranlage“,“Terrorabwehrzaun“), die beide seit 2003 trennt und vermutlich sogar die jordanische Wueste.

In einem stimmungsmaessigen Hoch ob der ganzen Entdeckungen machen wir uns auf den Rueckweg nach Tel Aviv.