Eingelebt.

***Leider sind im Zuge eines Serverabsturzes die Bilder zu diesem Beitrag verloren gegangen. Vielleicht werde ich sie irgendwann wiederherstellen. Ansonsten Glück für alle, die sie rechtzeitig gesehen haben.***

Die stars and stripes habe ich mit Reißnägeln an der Wand befestigt, gegenüber hängt die Flagge Minnesotas. Die Heizung läuft, draußen ist es schließlich kalt geworden. Aus dem ersten Schnee habe ich einen Schaukelstuhl befreit und ihn dann vom Straßenrand bis hoch getragen. Quer über meinen Schreibtisch, eine Kommode und bis in ein Regal hinein verteilt liegen Zeugnisse meines ersten Semesters an der U of M: Sauber zusammen getackerte Paper, hastig hingekritzelte Skizzen, Ausdrucke von Präsentationsfoliensätzen und viele, viele Bücher. So oder so ähnlich könnt Ihr Euch mein Zimmer vorstellen, jetzt wo es auf die letzten Wochen eines interessanten und durchaus produktiven Semesters zugeht.

Was habe ich nicht alles erlebt inzwischen…Wenn ich mir mein Tagebuch so anschaue, müsste man denken, ich sei eigentlich ununterbrochen unterwegs gewesen:

Zum Beispiel im Bear Head Lake State Park zum Camping.
Der Park befindet sich nördlich von den twin cities im ruralen Minnesota. Mit einer großen Gruppe aus 12 internationals haben wir uns auf den Weg gemacht, die Herbstsonne zu nutzen und zu schauen, was es denn mit der Schönheit der 10.000 Seen nun wirklich auf sich hat. Zelte haben wir uns günstig beim Outdoor-Center der Uni ausgeliehen und als wir bei der Autovermietung dank Marios Verhandlungskünsten ein kostenloses Upgrade auf einen Wagen aus der V.I.P.-Sektion, ausgestattet mit allerlei Schnick-Schnack und vor allem einem fetten BOSE-Soundsystem, bekommen, sind wir für Camping fast schon over-dressed. Wir haben dank Nebensaison unseren eigenen Campingplatz inkl. flagpole und Seezugang. Ein schönes Wochenende lang atmen wir frische Wald- und Wiesenluft, grillen und lagerfeuern was das Zeug hält und kämpfen mit Ketchup. Ich friere nachts und erkälte mich ein bisschen, daher fällt das letzte Draußenschwimmen des Jahres für mich leider flach. (Macht nichts, ich hab kurz vor Abreise dafür nachts den Mississippi durchschwommen. War wohl nicht so gesund, sagte man mir hinterher.) Bären gibt’s im state park wie der Name sagt wohl auch, ich sehe keinen, die anderen vermelden einen kleinen Schwarzbären aus dem Auto. Auf dem Rückweg machen wir einen Schlenker durch die Hafenstadt Duluth, nichts Besonderes, aber der scenic drive am großen Lake Superior entlang hat was. Den Rest der Strecke fahren wir hauptsächlich Bob-Dylan-hörend den Highway 61 entlang.

Zum Beispiel auf Städtetrip in Chicago.
Zwei Tage lang sind wir in unserer Vierergruppe echt gut unterwegs, teils zu Fuß, teils mit Leihfahrrädern. Die Stadt ist verdammt cool. Wie erwartet groß und divers, hoch gebaut und hoch gestapelt, wenn auch niemals höher als New York, sonst wäre ja der Witz mit der “second city” dahin. Elektronische Musik soll hier geboren sein. Legendär das “warehouse” mit dem Urvater des Chicago-House Franky Nuckles. Das alte Warehouse steht zwar noch und ich bestehe auch darauf dort hin zu gehen, heute befindet sich darin jedoch eine Kanzlei. #gentrification ist nicht nur in Berlin ein Problem. Gute Musik gibt es zwar, die Headliner kommen ironischerweise aber aus Berlin. Monkey Safari im Primary machen trotzdem Laune. Außerdem gibt es einen Strand (!), was Sinn macht, da Chicago ja an einem der großen Seen liegt, mich aber total positiv überrascht, da ich das so nicht auf dem Schirm hatte. Das gute Wetter trägt seinen Teil dazu bei, dass es ein rundum vergnüglicher Trip wird.

Zum Beispiel Roadtrippin’ zum Mount Rushmore.
Nach mehreren Anläufen Planung verwerfen wir den ursprünglichen Plan, das Wochenende im sonnigen Florida zu verbringen und entscheiden uns für einen road trip ins benachbarte South Dakota. Der Schweizer Joel springt in letzter Sekunde noch auf den Zug auf und so kuscheln wir uns zu fünft stundenlang in ein diesmal nicht so üppiges Mietauto und fahren den “langweiligsten Highway Amerikas” runter. Immer geradeaus. Und weiter. Und weiter. Und weiter. Und so weiter. Wenigstens wird die Playlist nicht langweilig, Spotify ist mit über 400 Titeln aufgeladen. Dass sich der Trip dann wirklich lohnt und zu einem meiner Highlights bisher wird, liegt zum kleineren Teil am scho-au-mal-imma-au-mal beeindruckenden Anblick des Mount Rushmore – dessen Story sehr rühmlich übrigens nicht ist, wie wir spätestens erfahren, als wir eines Abends vor unserem Hotel in Rapid City einen Amerikaner mit indigenen Vorfahren treffen, der uns, vermutlich ein wenig angetrunken, unmissverständlich klar macht, dass er und vor allem seine Vorfahren es nicht so cool fanden, als die Regierung den Native Americans ihren heiligen Berg weggenommen hat, um darein die Köpfe vier weißer Dudes zu meißeln – zum größeren Teil aber an unverhofft schönen Höhen bei einer Wanderung auf den Harney Peak und am folgenden Tag durch die Badlands und nicht weniger faszinierenden Tiefen, als wir in die Jewel Cave, die aktuell drittgrößte entdeckte Höhle der Welt, hinabsteigen. Einige wilde Büffelherden und Erdmännchenfelder später ist dieser kurzweilige Ausflug dann auch schon wieder vorbei.

Zum Beispiel zu Thanksgiving nach Wisconsin.
Thanksgiving ist für viele amerikanische Familien ein beinahe so bedeutendes Event wie Weihnachten und auch vom Brauchtum ähnlich angelegt: Die Familie kommt zusammen und dann wird tagelang zu viel gegessen und relaxt, unterbrochen nur von einer kurzen Shopping-Hysterie am Black Friday. Mit dem näherrückenden langen Wochenende (Donnerstag Thanksgiving, Freitag Brückentag und Montag für manche auch noch, quasi ein “Steg-Tag”) lichten sich langsam aber sicher die Reihen in der Uni und spätestens Mittwoch lassen eigentlich alle Profs den Unterricht ausfallen. Ich freue mich schon lange darauf, denn ich darf mein erstes Thanksgiving ganz traditionell in einer amerikanischen Familie erleben. Mitnehmen tut mich nämlich Emily, eine Freundin, die ich am Anfang des Semesters kennengelernt habe. Mit ihr und Lukas fahre ich zu ihren Eltern nach Whitewater, Wisconsin. Wir machen uns es sehr gemütlich, spielen Brettspiele und gucken Footballspiele (die “unsere” Teams leider alle klar und deutlich verlieren), hängen im Whirpool ab, spazieren des Tags und bei Nacht durch das Örtchen und die Nachbarschaft und essen Truthahn, wie sich das gehört. Tausend Dank an Familie G. für die Einladung und Gastfreundschaft! Eine tolle Erfahrung und auf jeden Fall realer (sprich: riː.əler), als für das Wochenende nach Miami zu jetten :)

Was mir sonst so aufgefallen ist seit meinem letzten Post:
Vieles deutet darauf hin, dass ich mich hier im Exil politisiere. Um mich näher dran zu fühlen an zuhaus verbringe ich nämlich wöchentlich viele Stunden damit, Nachrichten zu lesen. Das führt ganz automatisch dazu, dass ich zu mehr Themen eine Meinung habe und auch meinen Senf abgebe. Alle Menschen, mit denen ich auf Facebook befreundet bin, wissen, wovon ich rede. Je weniger ich hier in diesem Blog geschrieben habe, desto mehr bei Facebook. Es fällt mir auch nicht leicht, bei allem was gerade in Europa passiert, “weg” zu sein. Natürlich muss man Facebook mit Vorsicht genießen, das ist aber leichter gesagt als getan, wenn es so ziemlich der wichtigste Kanal nach Hause ist. Als wir in South Dakota vom Wandern in den Bergen wiederkommen, laufen auf dem Hotelfernseher gerade alle Kanäle heiß und zeigen Live-Bilder aus Paris. Facebook zeigt mir kurz darauf an, dass sich 16 meiner Freunde in Paris “in Sicherheit” befänden. Die restlichen am nächsten Morgen dann zum Glück auch. Facebook zeigt mir auch an, dass Hillary Clinton 1,5 Mio. “gefällt” und Donald Trump 4 Mio. Schlimm, schlimm…

Ein Leben im Hier und Jetzt und unter der Woche gibt es natürlich auch noch. Dazu gibt es aber nicht viel mehr zu sagen, als im ersten Absatz kurz angerissen: Es läuft so ohne weitere Vorkommnisse. Die englische Sprache verbessert sich bei mir zwar mit jedem gelesenen Text und jedem geschriebenen Paper und ich habe auch jeden Tag eine neue Vokabel im Wortschatz. Frustrierenderweise geht es aber bei Weitem nicht mehr so schnell in Kopf und Herz über, wie damals Französisch. (Jaja, das Alter.)
Überraschende Momente sind nun nicht mehr alltäglich, treten in kleinerer Form aber ab und zu in der Uni oder zuhause in Erscheinung: In Form von Lehrbüchern, welche 200$ und mehr kosten, in Form von einem kleinen sozialwissenschaftlichen Kurs, welcher mir zu 25 Jahren deutscher Einheit gratuliert, in Form der Gehälter, welche die Uni ausbezahlt – ich erfahre, dass der Präsident der University of Minnesota deutlich mehr verdient, als der Präsident der Vereinigten Staaten, was allein schon spannend genug wäre, witzig ist aber, dass dieses Gehalt noch um ein Dreifaches von dem des Football-headcoaches übertroffen wird – in Form von meinem Mitbewohner Anjie, der mir eines Tages eine Viertelmelone in die Hand drückt, weil meine Mangelernährung bei ihm Mitleid ausgelöst hat oder in Form eines schrägen Deals, den mein Vermieter mir anbietet (siehe Foto).

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So viel von mir. Ich stürze mich jetzt in 2 Wochen Klausurenphase, um dann rechtzeitig zu Weihnachten Minnesota hinter mir zu lassen und in Richtung der kalifornischen Wärme zu flüchten.

Bis zum nächsten Mal!

Wieder unterwegs!

Endlich bin ich wieder unterwegs!

Bewaffnet wie gehabt mit einem blanco-Tagebuch (18$ am Flughafen, die spinnen!) und einer großen Portion Abenteuerlust bin ich unterwegs ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Amerika! MERICA! DAYUM! Diesmal wird es auch kein Quickie und eigentlich auch gar keine Reise im eigentlichen Sinne. Ich werde dieses Mal ein ganzes Jahr über den Teich hüpfen – für ein Studium an der University of Minnesota in der als „twin cities“ bekannten Metropolregion von Minneapolis/Saint Paul, Minnesota.
Vielen Dank an dieser Stelle an alle, die mich ermutigt und unterstützt haben, das auch tatsächlich durchzuziehen!

Schon der Hinweg bietet spannende „insights“. Zuerst stechen mir die großflächigen Plakate ins Auge, welche am Flughafen Newark Werbung für die Notrufnummer 9-1-1 machen. Der Spruch darauf lautet relativ catchy „If you SEE something SAY something“, das eigentlich Spannende ist aber, dass dahinter ein fettes „TM“ prangt. Sogar Werbesprüche für Notrufnummern werden hier also patentiert, das kann ja heiter werden.

Nach einer Nacht im Bett meines kleinen Bruders, acht Stunden Flug von Berlin und guten vier Stunden Wartezeit bis zum Anschlussflug bleibt das vorerst meine einzige dokumentierte Erkenntnis, jedenfalls findet sonst nichts Teilenswertes den Weg in mein Tagebuch. Als ich mich relativ knülle ins Anschlussflugzeug setze, geht mein Plan, für die letzten Minütchen bis zur Ankunft in meiner neuen Heimat einen Powernap einzulegen, sofort auf. Als ich nach einer Stunde aufwache, stehen wir auf dem Rollfeld. Schon da? Leider nein, leider gar nicht. Im Gegenteil: Wir sind noch nicht mal losgeflogen. Im nächsten Moment werden wir auch in freundlichem Flugbegleiterinnen-Englisch gebeten uns kurz noch mal in das Terminal zu begeben. Schlechte Wetterbedingungen – angeblich. Das erzählt uns um 19:00 Uhr Ortszeit (ich hätte gerade im Abholservice vom Flughafen MSP zur Uni sitzen sollen, den ich reserviert habe) auch der Typ am United Airlines Customer Service-Schalter, auf den wir 1 Stunde in der Schlange gewartet haben. Leider müssten wir daher auf einen Flug um 6:30 am nächsten Morgen umgebucht werden. Das Hotel kann er uns zeigen aber leider nicht bezahlen, es läge ja schließlich an höherer Gewalt, dass unser Flug ausfiel. Alle anderen Flüge gehen selbstverständlich raus. Wie war das mit der Servicewüste?

Zum Glück habe ich in der Warteschlange schon Eva und Matze aus Süddeutschland (ich formuliere das mal diplomatisch) kennengelernt, die das gleiche Problem haben wie ich. Ich kann die beiden davon begeistern, uns die zu teure Hotelübernachtung zu schenken und stattdessen nach NYC reinzufahren. Matze kennt die Stadt einigermaßen und macht mit uns das Express-Touri-Programm: Einmal zum neonleuchtenden Times Square und dann mit der U-Bahn zur Brooklyn Bridge, wo wir vor lauter Aussicht ein paar Fotos machen. Natürlich darf dazu ein zünftiger Bacon-Cheeseburger „all the way“ von five guys nicht fehlen. Pervers ist, dass es hier draußen sogar bei Nacht super heiß ist, durch die Abluft der zu hoch eingestellten Klimaanlagen wird die Stadtluft unnötig aufgeheizt, nur damit es drinnen dann unnötig und unangenehm kalt ist. (Energie ist hier kein Problem. Fracking passiert ja woanders.)
So hat mir der Flugstorno schließlich gleich einen kleinen Stadttrip beschert. Guter Start in mein Amerika-Abenteuer.

Endlich angekommen wohne ich temporär in einem Studiwohnheim. Da darf ich aber nur maximal 10 Tage bleiben, also geht’s relativ unvermittelt auf zur Wohnungssuche. Zum Glück ist das hier anders als zuhause, WGs sind oft eher zweckmäßig und es gibt ein paar mehr freie Zimmer/Kopf, daher gibt es keine Massencastings oder -besichtigungen. Mieten sind jedoch teuer, um etwas Günstiges zu finden, gucke ich mir tagelang echt schlimme Zimmer an. Kellerraum, fensterlos, mit einem Vorhang vom Waschkeller getrennt, 450$/Monat ist so ungefähr das Portfolio, wenn man nicht am Arsch der Welt wohnen möchte. Das bringt in den ersten Tagen und mit steigendem Zeitdruck erstmal viel Frust. Am Ende sage ich einer WG zu und in letzter Minute wieder ab, da ich doch noch ein bezahlbares, helles Zimmer in dinkytown, der Studi-Szene-Gegend finde. Damit verknüpft sind allerdings 3 Umzüge und 10 weitere Tage in vorübergehenden Zimmern, da mein Zimmer noch nicht bezugsfertig ist und mich der Vermieter immer dahin steckt, wo gerade Platz ist. Na zum Glück bin ich rechtzeitig angereist! In meinem Zimmer bin ich nun, 2 Wochen später, echt glücklich, die Lage entschädigt für Küche und Bad, die in Sachen Ausstattung und Sauberkeit Erinnerungen an Südamerika wecken. Außerdem ist der Preis echt fair, immer wenn andere internationals hören, dass sie das Doppelte bezahlen und im weiter weg gelegenen University Village wohnen, muss ich mich beneiden lassen. Lisbeth aus Dänemark fasst sich als Einzige noch vor der ersten fälligen Miete ein Herz und zieht aus dem UV in mein Haus, nun sind wir Nachbarn.

Ansonsten bin ich in diesen ersten Tagen einigermaßen einsam und hauptsächlich damit beschäftigt, mein Leben einzurichten: Handykarte, Fahrrad, state ID und Poster für mein Zimmer besorge ich mir schnellstmöglich. Später kommt noch Kochgeschirr dazu, denn wer hier täglich auswärts isst, wird garantiert fett bei 1000+ kcal-Portionen (arm hingegen nicht, das Preis/Fett-Verhältnis ist außergewöhnlich).
So laufe ich also tagelang durch die Stadt und erkunde dabei den Campus und Minneapolis: Eine äußerst amerikanische Stadt, fast klischeehafte Wolkenkratzer, dazu aber relativ viel Grün, insgesamt eine gesunde Mischung. Der Campus der Uni ist irre: Alles ist huuuge, sieht ein bisschen gleich aus und wie im Computerspiel SIMS gebaut. Anfangs ist noch alles menschenleer, das soll sich in den folgenden Wochen aber ändern. Mein Highlight ist der Weg über die unieigene Brücke, die den hier schon mächtigen Mississippi überspannt und den großen Campus auf der east bank mit dem kleineren Bruder auf der west bank verbindet.

Das anfängliche Alleinsein fällt mir als sozialem Wesen erwartungsgemäß schwer und manchmal frage ich mich, warum das so unglaublich fantastische Jahr mit den so vielen neuen tollen Leuten denn noch nicht angefangen hat – am besten mit voller Wucht und von ganz allein. Ich bin es einfach nicht gewohnt, nur eine Verabredung am Tag zu haben und dann total traurig, als diese ein Mal auch noch absagt. Ein schlechtes Gefühl auch, dass so simple Dinge wie das Besorgen von Möbeln zum Problem werden können, wenn man niemanden kennt, der einem ein Auto leihen würde. Schon komisch. Und das, obwohl ich hier sehr willkommen bin, genug Geld dabei habe und die Sprache ausreichend spreche. Da frage ich mich täglich zur Tagesschau (um 13 Uhr Ortszeit) dann logischerweise, wie es erst Menschen gehen muss, bei denen diese Umstände teilweise oder gänzlich nicht erfüllt sind. Die Nachrichten zur „Flüchtlingskrise“ stimmen mich regelmäßig traurig. #deutschlanddumiesesstückscheisse. Wahrscheinlich mussten die, die da gegen Geflüchtete hetzen, noch nie aufbrechen und dabei ihre Komfortzone zuhause lassen. Schon gar nicht allein.

Das Trübsalblasen hat ein Ende, als ich beim Kick-Off-Event der O-Woche Ram und Tom kennenlerne. Ich bin ein bisschen spät dran und setze mich auf den einzigen freien Stuhl. Und weil es irgendwie sein sollte, habe ich dabei 2 coole Menschen kennen gelernt. Ram ist schon in seinem zweiten Studienjahr hier. Zur Veranstaltung ist er nur wegen des free foods gekommen und weil er eh nichts Besseres zu tun hatte. Tom ist wie ich ein exchange student und kommt aus Manchester. Wir chillen tagelang in Rams fraternity house, wo wieder ein Klischee nach dem anderen bestätigt wird, z.B. wenn wir beer pong in rote Plastikbecher spielen oder Pizza aus der Pizzeria in Sichtweite per Lieferservice bestellen. Fraternities sind zum Glück ziemlich anders als Studentenverbindungen/Burschenschaften in D. Es geht in erster Linie um den Atzenfaktor und da kann ich dann ohne schlechtes Gewissen mitmachen. Außerdem gibt es genau so viele sororities und auch das fühlt sich irgendwie besser an (keine #sexistischenaihrwisstschon).

Tagelang jagt eine Einführungsveranstaltung die nächste Einführungsveranstaltung, die unterschiedlichen Welcome-Programme und -Veranstaltungen (organisiert von der Uni, von der Carlson School of Management, meiner Fakultät, und eins von so ziemlich jedem student club und davon gibt es zig). Wir dürfen dem Präsidenten und seiner Frau fürs Foto die Hand schütteln, wenn wir uns vorher brav angestellt haben. Wir posieren mit GoldyGopher, dem Maskottchen der Uni, der den hier überall rumhüpfenden Erdhörnchen nachempfunden ist.
Die internationals@Carlson sind eine erfrischende Truppe, bunt gemischt aus allen erdenklichen Herkunftsländern und altersmäßig alle zwischen 19 und 34 Jahre.
Zusammen besuchen wir die Minnesota state fair, eine Mischung aus Messe, Volxfest, bäuerlichem Markt und Streichelzoo. Und natürlich huuuge. Hier gibt es original amerikanische Kulinarik und Kultur, vor allem frittierte Snickers-Riegel, frittierter Käse, frittierter Kuchen, frittiertes Eis usw. usf.
Außerdem gehen wir zu einem Baseball-Spiel der heimischen Profis. Gähn…, das Ding dauert fast 4 Stunden und bei 54 Versuchen (3 pro Team in jedem der 9 innings) steht es am Ende 3:0. Naja muss man mögen, HotDogs gab’s dafür für 1 Dollar.
American football ist dagegen ganz anders. Noch vor dem ersten Spiel entscheide ich mich, mir eine Dauerkarte für die Golden Gophers, das College-Football-Team zu kaufen. Mit meiner riesigen Erfahrung aus den letzten 4 SuperBowls erscheint mir das eine rationale Entscheidung. Beim ersten Spiel werde ich nicht enttäuscht: Das Stadion ist mit ~50.000 Zuschauenden ausverkauft und die Stimmung ist amazing. Man weiß bei all dem Event gar nicht, wohin man den Blick richten soll. Cheerleading hier, marching band dort, GoldyGopher läuft mit seiner T-Shirt-Kanone rum, wir müssen uns ständig zuprosten, ich lasse mir von einem bekennenden Republikaner (davon gibt es hier doch mehr als gedacht) „This is MERICA, FUCK YEAH!“ ins Gesicht brüllen und dann gibt es ja auch noch dieses Spiel. Wir verlieren am Ende knapp, was aber okay ist, denn die Jungs der anderen Mannschaft aus Texas sind die zweitbesten in ganz Amerika.
An einem besonders sonnigen und warmen Tag unternehmen wir einen Fahrradausflug zum stadtnächsten See, dem Lake Calhoun. Mein aktueller Seen-Besuchs-Count in Minnesota steht nun auf 1/10.000.
Außerdem besuchen wir die Mall of America, das ehemalst größte Einkaufszentrum der Welt mit hauseigenem Freizeitpark. Als wir für eine Achterbahn eine Stunde lang anstehen, beschließen wir, dass eine Achterbahnfahrt reichen muss.

Eigentlich bin ich ja zum Studieren gekommen. Daher möchte ich zum Schluss auch noch schnell 2 Worte zum Unterricht hier verlieren: Es gibt Kurse, die sind genau wie zuhause voll und langweilig. Es gibt aber auch richtig gute Kurse, in denen nur 15 Leute sitzen, in denen der Professor richtig Bock auf Unterrichten hat und die mir bestimmt einiges abverlangen werden (Englisch als Drittsprache ist hier kaum eine Ausrede oder ein überzeugendes Argument für Extrawürste, schließlich sind super viele Internationale hier und auch alle anderen irgendwie mal vor nicht allzu langer Zeit eingewandert.). Einen Professor mag ich besonders, mit seinem american style of teaching erzählt er die ganze Vorlesung lang stories und lässt dabei geschickt die Theorie aus dem Lehrbuch mit einfließen. Außerdem glaubt er an den American Dream und erzählt besonders gerne von Karrieren, die ganz unten begonnen haben und er versucht, jede/-n Einzelne/-n in dem Kurs (und das bei einem größeren Kurs mit ca. 60 Studis) zu motivieren, wir müssen ständig unsere Stärken und Erfolge benennen, weil Selbstbewusstsein eben auch zum leadership dazugehört. Recht hat er, finde ich und so kann ich mir meine Komiliton/-innen hier tatsächlich als zukünftige Manager/-innen vorstellen, was an der FU in „Management“ bei Prof. Bresser nun wirklich nicht der Fall war.
Ich bin gespannt, wie gut ich es hier schaffe, den Anschluss zu halten. Besonders das viele Lesen in englischer Sprache wird kein Klacks.

Insgesamt geht es mir hier mehr als gut, macht Euch keine Sorgen. Trotzdem freue ich mich natürlich, ab und zu von Euch zu hören!

#iphoneswelcome

Bis zum nächsten Mal!

Tel Aviv, 22.-26.8.

Wir kommen auf die Minute genau in Tel Aviv an: Gerade, als wir in Mariellas Strasse einbiegen, beginnt leise heulend (wir waren uns auf Grund der geringen Lautstaerke echt nicht so sicher, ob wir das jetzt wirklich gehoert hatten) unser erster Raketenalarm. Wir huschen also schnell rein und treffen Mariella im Treppenhaus, wo man am besten vor Raketen geschuetzt sein soll. Dann 2-3 Explosionen der Abfangraketen des Iron Domes und der Alarm hoert auf. Zur Sicherheit bleiben wir noch ein paar Minuten stehen und es gibt tatsaechlich noch einen letzten dumpfen Knall. Dann geht das Leben weiter, als waere nichts passiert. Vom eingezogenen Mitbewohner hat man hier noch nichts gehoert, was aber auch logisch ist, da die Luftwaffe in einem streng geheimen Quartier stationiert ist. Da Telefone geortet werden koennten, besteht keinerlei Moeglichkeit zur Kontaktaufnahme.

Abends gehen wir in eine Bar und gucken uns zum ersten Mal das Nachtleben Tel Avivs an. Die Bar ist nett, die Bierpreise zum Weinen. Wer sich betrinkt wird arm, aber Bier ist ja eh nicht so unser Ding. Spass.

Als zwei weitere Freunde Mariellas aus der Uni ankommen, hole ich die beiden vom Flughafen ab, da Mariella arbeiten muss. Ich navigiere mit Dominic und Nico ziemlich sicher durch die Stadt, die mir jetzt schon vertraut vorkommt. Den Tag verbringen wir am Strand und mit Chillen und unserem frisch gegruendeten philosophischen Oktett, sehr zum Leidwesen Mariellas, die die Mama-Rolle dann zwar widerwillig aber doch liebevoll einnimmt.

Am Abend wird es in Mariellas WG zu eng, weshalb wir zu Gilad umziehen. Florian hatte sich vorher bei Couchsurfing umgehoert und Gilad hat (es mit) uns aufgenommen. Er hat eine fette Wohnung mit einer Klimaanlage, die bei den Temperaturen hier Gold wert ist. Er arbeitet in der Hi-Tech-Industrie und ist ein netter Kerl (Hobbydetektiv Lukas entlarvt ihn aufgrund dieser Merkmale als vermeintlichen Mossad-Agenten, worueber Gilad nur muede laechelt, sehr verdaechtig!). Wir residieren („wohnen“ waere untertrieben) jetzt also im schoenen Norden der Stadt und fuer eine Nacht kommt auch Lukas noch dazu. Gilad zeigt uns einige neue Orte in der Stadt, unter anderem den Hafen. Wir trinken viel Bier (aus Gilads Kuehlschrank ist es zum Glueck nicht so teuer) und schlagen uns 2 Naechte um die Ohren, was wiederum dazu fuehrt, das tagsueber ausser am Strand liegen nicht viel angesagt ist.

An unserem letzten Abend in Tel Aviv verabschieden wir Lukas, fuer ihn geht es nach langer Zeit zurueck nach Deutschland und in den Uni-Trott. Alles Gute dafuer!

Jerusalem, 20.-22.8.

Zum Fruehstueck gibt es Pita-Brot mit verschiedenen Hummus-Variationen und herzhaften Cremes. Essenstechnisch liegt dieses Land auf meiner Wellenlaenge, glaube ich. Wir nehmen einen fruehen Bus nach Jerusalem. Unterwegs fallen wieder die vielen Maschinengewehre ins Auge, die von Soldatinnen und Soldaten durch die Strassen getragen werden. Ein paradoxes Bild gibt ein junger Mann in farbenfrohem T-Shirt und bunter Badehose ab, der eine schwere Waffe umgehaengt hat, aber so laessig durch die Strasse schlendert, als wuerde er selbst das gar nicht mehr wissen.

Mariella hat uns ein Hostel empfohlen, in dem wir fuer 50 Schekel (vergleichsweise wirklich wenig) auf der Dachterasse pennen koennen, die gleichzeitig eine super Aussicht auf die Altstadt bietet. Wir machen direkt eine Stadtfuehrung mit, bei der uns unser jungscher Guide Aviv einen zweistuendigen Crashkurs in die 4 Altstadt-Viertel gibt: Das armenische, das christliche, das juedische und das islamische Viertel. Besonders beachtlich: Juden, die im islamischen Viertel leben, bekommen von der Regierung einen Kasten mit Bodyguard auf’s Dach gestellt.

Jeder Ort hier ist heilig: Keine Kirche in der Jesus nicht wenigstens einmal gebetet oder gegessen hat, kein Berg auf dem nicht irgendeine Prophezeihung eingetreten ist oder eintreten wird (bestimmt!). Am Nachmittag treffen wir meinen alten Freund Lukas, der zufaelligereise auch gerade in Israel herumreist und in Jerusalem am Start ist. Mit seinem Kumpel Andreas kommen sie gerade von einer Quer-durchs-Land-Tour wieder und haben einige witzige und unglaubliche Geschichten im Gepaeck. Wir stromern erzaehlend bzw. zuhoerend durch die Altstadt und enden in einer Bar mit weiteren Freunden, die sie unterwegs kennengelernt haben. Am Ende ihrer lebhaften Erzaehlungen beschliessen wir, den jordanischen Ort Petra von unserer Reiseroute zu streichen, da hier anscheinend jeder versucht, Touristen um ihr Geld zu bescheissen.

In einem interessanten Geapraech mit dem US-amerikanischen Juden Jeff versuche ich einmal, mir die juedische Position zum Nahost-Konflikt klar zu machen. Seiner Meinug nach kann es nur eine 2-Staaten-Loesung geben, da es einen juedischen Staat, in dem man sich sicher fuehlen kann, geben muesse. In Deutschland hatte ich im Vorfeld in Gespraechen mit Israelis eher herausgehoert, dass das Projekt 2 Staaten doch eh schon gescheitert sei und ein einziger Staat mit gleichen Rechten fuer alle die einzige Loesung sein koennte. Es ist ganz interessant aber auch total ernuechternd zu beobachten, dass sich hier wirklich niemand mit niemandem einig ist. Jeff glaubt fruehestens in „20 bis 30 Jahren“ an eine stabilen Frieden. Aber wenigstens glaubt er daran.

Am naechsten Tag besichtigen wir die Klagemauer. Diese ist der letzte Ueberrest des sogennanten zweiten Tempels und eine der heiligsten Staetten fuer die Juden. Das Beste ist meiner Meinung nach, dass man sich etwas wuenschen kann, indem man einen Wunschzettel in einen Spalt der Mauer stopft. Einmal im Monat werden die Zettel dann abgheholt und auf dem Oelberg vergraben. Danach geht’s zum Tempelberg. Waehrend man hier sonst sehr lange anstehen muss, bevor man hochgelasen wird, gibt es zur Zeit so wenig Touristen, dass wir easy hochlaufen koennen. Der Felsendom ist imposant, die anderen Gebaeude eher unspannend. Auf dem oberen Plateau laufen erstmals keine israelischen Soldaten oder Polizisten herum, dafuer kontrollieren sie schwer bewaffnet alle Eingaenge und laufen unten Patrouille. Der Tempelberg ist eigentlich das Sinnbild fuer den Nahost-Konflikt und den Konflikt der Religionen. Allen (Juden, Muslimen und Christen) ist er heilig und keiner moechte ein Stueck Kontrolle darueber abgeben. Aviv hatte gestern gesagt: „Der ganze Nahost-Konflikt liesse sich inerhalb weniger Sekunden loesen. Bis auf den Jerusalem-Konflikt. Der wird sich wohl nie loesen lassen.“ Im Moment wird der Berg von einer muslimischen Stiftung verwaltet, die militaerische Kontrolle hat aber hauptsaechlich Israel. Wegen des ganzen Stresses, der sich oft hier entlaedt, werden Juden oft nur beaufsichtigt und in kleinen Gruppen hereingelassen und auch fuer Muslime werden immer wieder Beschraenkungen verhaengt. Eine kleine Kostprobe bekommen wir, als nach dem Mittagsgebet rund um den Felsendom „Allahu Akbar“-Rufe laut werden. Die kann man je nach Windrichtung auch unten an der Klagemauer sehr gut hoeren, was das Rufen in diese Richtung fuer einige Stoerenfriede besonders attraktiv macht.

Wir entscheiden uns heute Abend bewusst gegen Feierei mit Lukas und Andreas, sehr zu deren Bedauern, da der Donnerstagabend hier aequivalent zu unserem Freitagabend ist. Dafuer koennen wir frueh nach Sonnenaufgang auf den Oelberg wandern und unterwegs und obendrauf wichtige Orte des Wirken Jesu besuchen. In den meisten Kirchen und Staetten sind wir voellig allein, auch eine Folge des aktuellen Kriegs. Nach muehevollem Aufstieg auf den Glockenturm der Himmelfahrtskirche, die Kaiser Wilhelm II hier errichten liess, werden wir mit einer 360-Grad-Aussicht auf Jerusalem, das Westjordanland, die Mauer („Sperranlage“,“Terrorabwehrzaun“), die beide seit 2003 trennt und vermutlich sogar die jordanische Wueste.

In einem stimmungsmaessigen Hoch ob der ganzen Entdeckungen machen wir uns auf den Rueckweg nach Tel Aviv.

Tel Aviv, 19.8.

Am Dienstag fruehmorgens steigen wir in unsere Maschine von easyjet. Ich habe die Nachte vorher ohne schlafen gespielt und schlafe sogleich bis Tel Aviv durch. Die befuerchtete strenge Kontrolle Einreisender bleibt uns erspart (anscheinend vor allem auf Fluegen mit El Al oder anderen israelischen Airlines ueblich) und so wird es ein entspanntes Ankommen. Aus dem kuehlen Berlin in Israel landend erdrueckt uns erstmal die Hitze wie eine Wand. Also schnell hinter dem Gepaeckband versteckt und wieder in Sommerklamotten umgezogen, da taucht auch schon Mariella auf, die uns netterweise am Flughafen abholt. Mariella studierte mit uns an der Uni und hat macht gerade ein Praktikum in Tel Aviv. Sie kennt sich deshalb gut in der Stadt aus und fuehrt uns nacheinander zu ihr nach Hause, wo wir ein paar Naechte wohnen werden, zum Handyshop wo wir uns mit einer israelischen SIM-Karte viele praktische Freiheiten kaufen und zu ihrem Stamm-Falafelladen – lecker!

In den Strassen ist der aktuelle Gazakrieg insofern angekommen, als dass wir sehr vielen Uniformen begegnen, in denen Maenner und Frauen (die hier 3 bzw. 2 Jahre Wehrdienst leisten muessen), teilweise schwer bewaffnet, stecken und entweder Ein- und Ausgaenge verschiedener Gebaeude kontrollieren oder selbst auf dem Weg Richtung Sueden und der Grenze zu Gaza sind.

Am Abend unseres ersten Tages spazieren wir zum naechsten Strand, wo sich das Mittelmeer heute rau und wellig zeigt. Das Badeverbot schockt hier niemanden so richtig und so tun wir es den Einheimischen gleich und stuerzen uns in die Fluten.

Zurueck in der WG sind wir schnell zurueck auf dem Boden der Tatsachen. Erst erzaehlt uns ein Kumpel, der zu Besuch kommt, dass er letzte Woche einen guten Freund verloren hat, der im Krieg gestorben ist. Dann macht er mit Mariellas Mitbewohner eine Weile lang Musik, bis dieser einen Anruf erhaelt. Das Hauskonzert bricht abrupt ab und als er auflegt, wirkt er erst veraergert, dann richtig wuetend, schlaegt gegen die Wand und boxt in ein Kissen. Wir verstehen, als uns erklaert wird, dass der Anruf von der IDF, also der israelischen Armee, kommt. Mariellas Mitbewohner hat jetzt eine Stunde Zeit, um vom Musiker zum Offizier zu werden, als der er 3 Jahre lang ausgebildet wurde. Dann wird er von der Armee abgeholt und eingezogen. Er wird die naechsten Tage 200 Soldaten in der Naehe von Gaza befehligen. Das ist schon schlimm mitanzusehen, zumal er uns erzaehlt, dass er gerade erst seit 5 Tagen von seinem letzten, 36 Tage dauernden Einsatz zurueck ist. Bis zum Alter von 46 Jahren kann es hier jeden treffen, immer. Ich weiss nicht, wie ich es aushalten koennte, jahrelang in solcher Unsicherheit zu leben und ich frage mich vor allem, was eine solche Militarisierung mit einer Gesellschaft anstellt. Waehrend ich darueber nachdenke, sind draussen nacheinander 3 dumpfe Explosionen zu hoeren. Eilig checken wir den Nachrichtenticker, hier das uebliche Medium, um sich schnell zu informieren, was los ist und wo es gerade gefaehrlich wird. Es ist die Rede von einer abgefagenen Rakete im „Raum Tel Aviv“, insgesamt hat die Hamas gerade 50 Raketen abgeschossen und Israel antwortet direkt mit Bombardements im Gazastreifen. Damit ist die vielversprechende Waffenruhe dahin und der Krieg kommt uns ganz schnell viel naeher, als uns lieb ist.

Wir versuchen, uns nicht die Laune verderben zu lassen.

FAQ

Fahrt Ihr wirklich nach Israel?

Ja.

Glaubt Ihr, dass das jetzt eine gute Zeit ist, um nach Israel zu fahren?

Einerseits nein. Es sterben dort Menschen. Andererseits ja, die Touri-Orte sind bestimmt nicht so überlaufen wie sonst. Im Endeffekt haben wir beide immer mal wieder überlegt, umzubuchen. Weil der jeweils andere aber doch überzeugt war, dass wir fahren sollten, machen wir das jetzt. Und wir freuen uns riesig drauf.

Wo fahrt Ihr genau hin?

Wir landen in Tel Aviv und wollen uns von dort Richtung Norden auf eine Rundreise begeben. Wir haben ein paar semi-feste Stationen. Vielleicht kommt aber doch alles anders als gedacht…

Habt Ihr keine Angst vor Raketen?

Nein.

Wisst Ihr, wie man sich bei Raketenalarm verhält?

Hürtgi weiß Bescheid. Er brieft mich dann, wenn es so weit ist.

Wieviele Raketen hat die Hamas abgeschossen, seit ihr vor Ort seid?

123. 268. 477. 525. Jetzt kommen ungluecklicherweise ein paar aus Syrien dazu, dabei wollten wir gerade in die Golanhoehen.

 

Copacabana und Schluss

Als wir den ganzen Scheiss hinter uns haben, können wir endlich befreit den Titicacasee begrüssen. Wir chartern uns ein Boot inkl. Kapitän für uns beiden und lassen uns auf die schwimmenden Inseln bringen, eine Touristenattraktion angelehnt an die schwimmenden Inseln der mittlerweile ausgestorbenen Uros, die hier aber nie gelebt haben. Darauf ist ein kleines Restaurant aus Schilf gebaut, wo Forellen frisch aus der Aquakultur zubereitet werden. Lecker! Ausserdem fahren wir am „Hauptquartier“ der bolivianischen Marine vorbei. Da die Bolivianer ihren Zugang zum Meer ja verloren haben (vgl. La Paz), steht hier die einzige Basis und die 22 Soldaten und 3 Schiffe, die die Marine bilden, trainieren hier.

In der Nacht bekomme ich Todeskopfschmerzen, so dass ich kein Auge zutun kann. Die Höhenkrankheit lässt schmerzlich grüssen. Das Ganze bleibt auch trotz teurer Tabletten den gesamten nächsten Tag so schlimm, dass wir in der Nacht abreisen, ohne die „Hauptinseln“ Isla del Sol y de la Luna gesehen zu haben.

Der Bus nach unten ist meine letzte Hoffnung auf rasche Linderung und tatsächlich: beim 5000m-Pass sterbe ich nochmal 1000 Tode, als es ab La Paz aber stetig abwärts geht, geht es mit mir aufwärts.

Wir fahren nach Cochabamba und können unsere Reise quasi dort beenden, wo wir sie begonnen haben. Martine beherbergt uns ganz lieb und wir haben noch ein paar tolle Abende hier.

Dann geht es weiter nach Santa Cruz und dort ins Flugzeug und weiter über Miami nach good old Berlin.

Das war’s dann! Meine erste richtig lange Reise ausserhalb Europas ist schon wieder vorbei. Schön war’s gewesen! Sicherlich komme ich nach Südamerika noch einmal zurück. So viel, was noch gesehen und erlebt werden will. So viele Eindrücke werden in Deutschland sicherlich noch eine Weile in mir arbeiten, während ich brav BWL („tada!“ für alle, die es noch nicht wussten) studiere.

Danke an alle, die mich auf dieser Reise unterstützt haben, mit denen ich kleinere oder grössere Etappen gemeinsam verbracht habe, an Julia, ohne die ich überhaupt nicht losgefahren und einige Male anders abgebogen wäre und ohne die ich niemals so eine tolle Reise gehabt hätte. Und danke an alle, die hier ab und zu lesen und mal einen Kommentar da lassen und mir damit die Motivation geben, diesen Blog als Erinnerung für mich und andere zu schreiben.

Bis zum nächsten Mal!

Grenze Peru-Bolivien

Wir fahren gefühlt Tage lang Bus. Als wir zurück nach Bolivien möchten, bekommen wir an der Grenze ernste Probleme. Wir haben vor 3 Wochen zwar einen Ausreisestempel aus Bolivien erhalten, nicht jedoch den Einreisestempel nach Peru. Wir waren also 3 Wochen lang illegal im Land. Der Grenzbeamte erklärt uns mit bierernster Mine, dass wir jetzt mit der Polizei zurück in die nächstgrössere Stadt Puno (3 Stunden in die Richtung aus der wir gerade kommen) fahren müssten, um von dort aus nach Bolivien oder Deutschland abgeschoben zu werden. Es sei denn… wir bezahlen jetzt auf der Stelle 50US$ „Strafe“ pro Person, dann könnte er das mit den Stempaln irgendwie deichseln. Widerlicher Typ. Wir lassen uns zum Glück ersteinmal nicht darauf ein und verbringen ein paar Stunden überlegend im Grenzgebiet. Der Bus, den wir nach Copacabana gebucht haben, schmeisst uns unser Gepäck vor die Füsse und erklärt uns, dass wir das jetzt allein regeln müssten. Freundlicherweise wird uns noch die Richtung gezeigt, in der wir einen colectivo, einen Kleinbus nach Copacabana finden können. An der Routine des Busbegleiters merkt man, dass wir kein Einzelfall sind. Kurz darauf begegnen wir einer Französin mit dem gleichen Problem, sie hat den Stempel nicht, ihre beiden Freundinnen, mit denen sie zusammen eingereist war, schon. Wir schliessen daraus, dass die Grenzbeamten systematisch und mit Absicht Stempel „vergessen“, um sich so bei Wiederausreise ein Bakshish zu verdienen. Wer nicht alle Stempel nachkontrolliert, oder wie wir gar nicht weiss, dass man immer 2 braucht, ist gelackmeiert. Die Französin hat sich übrigens auf den 50$-Deal eingelassen, wurde dann aber im nächsten Häuschen gleich nochmal zur Kasse gebeten: 68 US$ für die Zollfreiheit.

Der Reiseführer weist auf korrupte Grenzbeamte hin und empfiehlt, kleinere Beträge einfach zu bezahlen, um sich grössere Scherereien zu ersparen. 118$ pro Nase sind für uns kein kleinerer Betrag. Wir beschliessen Kontaktaufnahme mit der Mutterstadt. Verrückterweise hängen hier im Grenzort aber alle mit drin in der Korruption. Öffentliche Telefone funktionieren plötzlich angeblich nicht mehr und unser Handy aufladen dürfen wir in keinem der 3 Läden, „alle Steckdosen belegt“. Als wir das Telefon einfach ausprobieren wollen, werden wir förmlich weggezerrt. Zur Polizei zu gehen scheint auch aussichtslos. Die Zöllner und Polizisten feiern sich zusammen auf den Ertrag der letzten Tage, ein Bündel Dollarnoten, dass einer der Grenzer stolz präsentiert. Unser Glück ist, dass die Beamten, ausser wenn es um ihr Schmiergeld geht, äusserst faul sind. So können wir einfach unbemerkt nach Bolivien rüberlaufen, ohne aufgehalten zu werden. Trotzdem brauchen wir die blöden Stempel noch, ansonsten könnte es am Flughafen ungemütlich werden.

Aus Bolivien können wir in Berlin anrufen und bekommen von dort bestätigt, dass einfach zahlen wohl das Beste wäre. Trotzdem wird diese Option nur zu Plan C erkoren.

Plan A scheitert, als wir versuchen, die bolivianischen Grenzer zu bestechen, unseren Ausreisestempel einfach zu annullieren. Da könne man leider gar nichts machen, unsere 100 Bs nehmen sie trotzdem gerne und schmieden uns dafür einen ausgeklügelten Notfallplan, der wohl mit 300 Bs Strafe pro Person am Flughafen in Santa Cruz endet und von uns ein bisschen Lug und Betrug verlangt. Wir geben uns damit halb zufrieden und nehmen dann Plan B in Angriff. Wir fahren einfach nach Copacabana und verschieben das Problem um ein paar Tags. Dass das auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, erfahren wir spätestens, als wir uns am Abend viele mehr oder weniger lustige Grenzgeschichten aus Südamerika ergoogeln.

Also am nächsten Tag früh raus und zurück nach Peru gefahren, vorher ein paar Dollars ertauscht. Unser amigo von gestern sitzt noch immer im Grenzbüro und lässt sich darauf ein, uns für 20 $ pro Person Ein- und Ausreisestempel von heute einzustempeln. Völlig sicher, behauptet er, niemand guckt auf den vorletzten Stempel. Der Deal beinhaltet auch freie Passage im Zollhäuschen. Im Endeffekt lassen wir uns also nur einige Dollars und 24 Stunden Lebenszeit stehlen und werden dafür Zeit unseres Lebens immer sorgfältig alle Stempel kontrollieren. Ich verkneife mir beim Rausgehen noch ein lautstarkes „No a la corrupción“, Wahlspruch der meisten Politiker hier. Krass, wie die Korruption hier noch so viel offener gelebt wird als bspw. in Rumänien.

Die Bolivianer lassen sich übrigens nichts anmerken und lachen beim Blick auf die Stempel höchstens innerlich ein bisschen. Die Beamten sind zufrieden mit ihrem Taschengeld, wir sind sehr erleichtert und hoffen in Santa Cruz keine Probleme mit dieser Mauschellösung zu bekommen.

Huanchaco

Wir finden sofort unser Lieblingshostel namens „MERI“, was in der Muttersprache der finnischen Betreiber Meer bedeutet. Das Ding ist ein günstiges Surf-Hostel mit Chart-Musik, einer Skaterampe im Hof und einer Draussen-Küche wie in Samaipata. Als wir da Nudeln kochen, sprechen uns Brett und Hannah an, ob wir Deutsche wären. Die beiden sind Amis, haben aber eine Zeit lang in Deutschland gelebt und sich dort auch kennengelernt. Mit ihnen unternehmen wir die nächsten Tage recht viel.

In Huanchaco ist alles billiger und schöner als in Trujillo, die Pazifiklage sorgt für klaren Himmel und konstante Wellen das ganze Jahr lang. Deshalb kommen aus der ganzen Umgebung Leute zum Surfen her. Als wir uns am zweiten Tag auch auf den Brettern raus wagen, sind die Bedingungen günstig: Kleine Wellen und mit Alejandro ein super Lehrer führen zum schnellen Erfolg und beim dritten Versuch stehe ich auf meinem (zugegebenermassen riesigen Anfänger-) Board. Mit Alejandro klappt bei Celia, Julia und mir nahezu jede Welle. Als wir es dann später alleine versuchen eigentlich gar keine. Am nächsten Tag das selbe Spiel. Nur durch Alejandro’s Ansagen stehe ich irgendwie jedes Mal wieder auf dem Brett, ohne ihn geht nicht viel.

Insgesamt ist Wellenreiten eine super Sache, das wird nicht das letzte Mal für mich gewesen sein. Nach einigem Hin & Her entscheiden wir uns dagegen mit Elsa, Celia und einer weiteren Freiwilligen nach Mancora zu fahren. Das hauptsächlich aufgrund des langen Rückweges zu unserem Abflugort Santa Cruz de Bolivia, der so schon anstrengend genug wird.

Trujillo

Die Busfahrt nach Trujillo wird trotz Panorama-Plätzen mal wieder zur Zerreissprobe für die Nerven. Die Frau am Schalter der billigsten Linie drückt sich zur Ankunft absichtlich unklar aus, der Bus hat stundenlange Wartezeiten an Provinzbahnhöfen mit Schotterboden, ziemlich matsche kommen wir um 4 Uhr morgens an. Ins Hostel lohnt sich irgendwie nicht mehr, deshalb lassen wir uns zur plaza de armas (so heissen fast alle grössten Plätze in Südamerika) fahren und entspannen bis zum Morgengrauen auf Parkbänken. Mit einer Süddeutschen Reisenden frühstücken wir auf dem Markt und lassen uns dann zur WG von Elsa und Tilman fahren, wo gerade auch Celia aus Berlin zu Besuch ist, alle von Julias Schule. Dort angekommen klingeln wir Elsa wach und erleben die langsam erwachende WG im Katerzustand. Wieder haben wir Einblick in das Leben von Freiwilligen kurz vor Ende ihres Voluntariats und wieder ist alles andersals an den Stellen, die wir bisher erlebt haben. Das soziale Projekt „Arpegio“, in dem neben Tilman und Elsa noch 10 weitere Freiwillige arbeiten, ist musikalischer Natur: Hier können peruanische Kinder und Jugendliche Musikinstrumente spielen lernen und im Orchester mitwirken.Die Kosten sind sozialverträglich gestaffelt, 55% der Schüler zahlen gar nichts für ihren Unterricht. Die Lehrer sind Freiwillige aus Deutschland oder Peru, zum Teil selbst ehemalige Arpegio-Schüler. Das Projekt ist in den letzten Jahren stark gewachsen, ca. 300 Peruaner lernen hier klassische Musik kennen, spielen und lieben. 10 Deutsche leben in den ziemlich engen Räumen über der Musikschule. Zum gemeinsamen Frühstück kommen sie nach und nach aus ihren Betten gekrochen.

Wir quartieren uns in einem Hostel nahe der Plaza ein, da hier in der WG wirklich kein Platz mehr gewesen wäre. Gleich am ersten Abend hier erleben wir bei einem Vorspiel der Schüler die Herzlichkeit und die Nähe, die sich zwischen den Freiwilligen und ihren Schützlingen entwickelt hat. Denen wird ausser Musikunterricht noch viel mehr geboten. Da wird gekuschelt und geklönt, sich zum Essen eingeladen und zusammen gespielt. Vor allem für die Heimkinder, die im Rahmen des Projekts unterrichtet werden, sind die Freiwilligen Elternfiguren. Nach dem Vorpsiel überredet der smarte Freiwillige Yannis die müde Meute noch ins naha gelegene Surferdorf Huanchaco zu fahren. Die Cocktails kosten zur Happy-Hour 3S (weniger als 1 Euro), wir kommen kurz vor Ladenschluss an, was uns aber nicht davon abhält, uns noch ordentlich zu betrinken.

Am nächsten Tag fahren wir mit Celia zu den Huacas del Sol y de la Luna, sehr sehr alte archäologische Stätten in der Nähe von Trujillo. Hier hat die Moche-Kultur 800 v. Chr. angefangen, sich eine Stadt mit 2 riesigen Komplexen, einem Verwaltungsgebäude (Huaca del Sol) und einem Tempel (Huaca de la Luna, man sieht an der Namensgebung, wie Religion und Staat zueinander standen) zu bauen. Von der Stadt ist nicht mehr viel  übrig, aber die beiden Huacas stehen heute wieder fast vollständig ausgebuddelt da. Hier graben auch heute noch Forscher von der Uni und entdecken immer neue Teile. Die ganze Ausgrabungsstätte ist privat und von einer grossen peruanischen Brauerei betrieben, was erstmal ganz lustig ist, vor allem aber dazu führt, dass hier ausnahmsweise richtig gute Führungen angeboten werden, da die Guides auf Trinkgeld (haha!) angewiesen sind.

Wir begleiten Celia ausserdem bei Tag nach Huanchaco und beschliessen, bald hierher umzuziehen. Vorher steht aber noch die Abschiedsparty der FSJler in ihrer WG an. Alle peruanischen Freunde, die sich über das Jahr so angesammelt haben, kommen vorbei und ein DJ legt die Sommerhits, die hier eigentlich Winterhits sind, auf und noch bevor der dritte Eimer Mojito alle ist, tanzen alle.

Zwischendurch probieren wir das beste Pollo-Sandwich der Welt, welches es 2 Ecken von der WG entfernt zu kaufen gibt. Allerdings muss man genau zur rechten Zeit kommen. Die Bude macht ihren Schnitt nämlich mit 3 Stunden Öffnungszeit am Tag, wer zu spät kommt kriegt nichts mehr. Und am besten bringt man eine Menge Schlangesteherfahrung mit. Irgendwie frech. Bölls „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ kommt mir beim Warten in den Sinn, sie würde auch hier beim Pollo-Sandwich-Bräter in Südamerika super funktionieren.

In Trujillo kommen wir auch endlich unserer Bürgerpflicht nach. Wir haben uns vorausschauend Briefwahlunterlagen zu Elsa bestellt und Tilman nimmt sie mit den Kreuzchen an der richtigen Stelle (edit 22.9.: geholfen hat’s wohl nix) zurück mit nach Deutschland. Am Wahltag können wir dann von hier aus mitfiebern.

Unseren letzten Tag in Trujillo verbringen wir auf der von Elsa organisierten „día de la integración“, bei der alle Arpegio-Kinder aus Trujillos Vororten zusammenkommen und in gemischten Gruppen an verschiedenen Stationen Spiele à la Eierlauf spielen. Ich leite den Entenlauf-Parcours an und bin stolz darauf es einigermassen auf Spanisch hinzubekommen.