***Leider sind im Zuge eines Serverabsturzes die Bilder zu diesem Beitrag verloren gegangen. Vielleicht werde ich sie irgendwann wiederherstellen. Ansonsten Glück für alle, die sie rechtzeitig gesehen haben.***
Die stars and stripes habe ich mit Reißnägeln an der Wand befestigt, gegenüber hängt die Flagge Minnesotas. Die Heizung läuft, draußen ist es schließlich kalt geworden. Aus dem ersten Schnee habe ich einen Schaukelstuhl befreit und ihn dann vom Straßenrand bis hoch getragen. Quer über meinen Schreibtisch, eine Kommode und bis in ein Regal hinein verteilt liegen Zeugnisse meines ersten Semesters an der U of M: Sauber zusammen getackerte Paper, hastig hingekritzelte Skizzen, Ausdrucke von Präsentationsfoliensätzen und viele, viele Bücher. So oder so ähnlich könnt Ihr Euch mein Zimmer vorstellen, jetzt wo es auf die letzten Wochen eines interessanten und durchaus produktiven Semesters zugeht.
Was habe ich nicht alles erlebt inzwischen…Wenn ich mir mein Tagebuch so anschaue, müsste man denken, ich sei eigentlich ununterbrochen unterwegs gewesen:
Zum Beispiel im Bear Head Lake State Park zum Camping.
Der Park befindet sich nördlich von den twin cities im ruralen Minnesota. Mit einer großen Gruppe aus 12 internationals haben wir uns auf den Weg gemacht, die Herbstsonne zu nutzen und zu schauen, was es denn mit der Schönheit der 10.000 Seen nun wirklich auf sich hat. Zelte haben wir uns günstig beim Outdoor-Center der Uni ausgeliehen und als wir bei der Autovermietung dank Marios Verhandlungskünsten ein kostenloses Upgrade auf einen Wagen aus der V.I.P.-Sektion, ausgestattet mit allerlei Schnick-Schnack und vor allem einem fetten BOSE-Soundsystem, bekommen, sind wir für Camping fast schon over-dressed. Wir haben dank Nebensaison unseren eigenen Campingplatz inkl. flagpole und Seezugang. Ein schönes Wochenende lang atmen wir frische Wald- und Wiesenluft, grillen und lagerfeuern was das Zeug hält und kämpfen mit Ketchup. Ich friere nachts und erkälte mich ein bisschen, daher fällt das letzte Draußenschwimmen des Jahres für mich leider flach. (Macht nichts, ich hab kurz vor Abreise dafür nachts den Mississippi durchschwommen. War wohl nicht so gesund, sagte man mir hinterher.) Bären gibt’s im state park wie der Name sagt wohl auch, ich sehe keinen, die anderen vermelden einen kleinen Schwarzbären aus dem Auto. Auf dem Rückweg machen wir einen Schlenker durch die Hafenstadt Duluth, nichts Besonderes, aber der scenic drive am großen Lake Superior entlang hat was. Den Rest der Strecke fahren wir hauptsächlich Bob-Dylan-hörend den Highway 61 entlang.
Zum Beispiel auf Städtetrip in Chicago.
Zwei Tage lang sind wir in unserer Vierergruppe echt gut unterwegs, teils zu Fuß, teils mit Leihfahrrädern. Die Stadt ist verdammt cool. Wie erwartet groß und divers, hoch gebaut und hoch gestapelt, wenn auch niemals höher als New York, sonst wäre ja der Witz mit der “second city” dahin. Elektronische Musik soll hier geboren sein. Legendär das “warehouse” mit dem Urvater des Chicago-House Franky Nuckles. Das alte Warehouse steht zwar noch und ich bestehe auch darauf dort hin zu gehen, heute befindet sich darin jedoch eine Kanzlei. #gentrification ist nicht nur in Berlin ein Problem. Gute Musik gibt es zwar, die Headliner kommen ironischerweise aber aus Berlin. Monkey Safari im Primary machen trotzdem Laune. Außerdem gibt es einen Strand (!), was Sinn macht, da Chicago ja an einem der großen Seen liegt, mich aber total positiv überrascht, da ich das so nicht auf dem Schirm hatte. Das gute Wetter trägt seinen Teil dazu bei, dass es ein rundum vergnüglicher Trip wird.
Zum Beispiel Roadtrippin’ zum Mount Rushmore.
Nach mehreren Anläufen Planung verwerfen wir den ursprünglichen Plan, das Wochenende im sonnigen Florida zu verbringen und entscheiden uns für einen road trip ins benachbarte South Dakota. Der Schweizer Joel springt in letzter Sekunde noch auf den Zug auf und so kuscheln wir uns zu fünft stundenlang in ein diesmal nicht so üppiges Mietauto und fahren den “langweiligsten Highway Amerikas” runter. Immer geradeaus. Und weiter. Und weiter. Und weiter. Und so weiter. Wenigstens wird die Playlist nicht langweilig, Spotify ist mit über 400 Titeln aufgeladen. Dass sich der Trip dann wirklich lohnt und zu einem meiner Highlights bisher wird, liegt zum kleineren Teil am scho-au-mal-imma-au-mal beeindruckenden Anblick des Mount Rushmore – dessen Story sehr rühmlich übrigens nicht ist, wie wir spätestens erfahren, als wir eines Abends vor unserem Hotel in Rapid City einen Amerikaner mit indigenen Vorfahren treffen, der uns, vermutlich ein wenig angetrunken, unmissverständlich klar macht, dass er und vor allem seine Vorfahren es nicht so cool fanden, als die Regierung den Native Americans ihren heiligen Berg weggenommen hat, um darein die Köpfe vier weißer Dudes zu meißeln – zum größeren Teil aber an unverhofft schönen Höhen bei einer Wanderung auf den Harney Peak und am folgenden Tag durch die Badlands und nicht weniger faszinierenden Tiefen, als wir in die Jewel Cave, die aktuell drittgrößte entdeckte Höhle der Welt, hinabsteigen. Einige wilde Büffelherden und Erdmännchenfelder später ist dieser kurzweilige Ausflug dann auch schon wieder vorbei.
Zum Beispiel zu Thanksgiving nach Wisconsin.
Thanksgiving ist für viele amerikanische Familien ein beinahe so bedeutendes Event wie Weihnachten und auch vom Brauchtum ähnlich angelegt: Die Familie kommt zusammen und dann wird tagelang zu viel gegessen und relaxt, unterbrochen nur von einer kurzen Shopping-Hysterie am Black Friday. Mit dem näherrückenden langen Wochenende (Donnerstag Thanksgiving, Freitag Brückentag und Montag für manche auch noch, quasi ein “Steg-Tag”) lichten sich langsam aber sicher die Reihen in der Uni und spätestens Mittwoch lassen eigentlich alle Profs den Unterricht ausfallen. Ich freue mich schon lange darauf, denn ich darf mein erstes Thanksgiving ganz traditionell in einer amerikanischen Familie erleben. Mitnehmen tut mich nämlich Emily, eine Freundin, die ich am Anfang des Semesters kennengelernt habe. Mit ihr und Lukas fahre ich zu ihren Eltern nach Whitewater, Wisconsin. Wir machen uns es sehr gemütlich, spielen Brettspiele und gucken Footballspiele (die “unsere” Teams leider alle klar und deutlich verlieren), hängen im Whirpool ab, spazieren des Tags und bei Nacht durch das Örtchen und die Nachbarschaft und essen Truthahn, wie sich das gehört. Tausend Dank an Familie G. für die Einladung und Gastfreundschaft! Eine tolle Erfahrung und auf jeden Fall realer (sprich: riː.əler), als für das Wochenende nach Miami zu jetten
Was mir sonst so aufgefallen ist seit meinem letzten Post:
Vieles deutet darauf hin, dass ich mich hier im Exil politisiere. Um mich näher dran zu fühlen an zuhaus verbringe ich nämlich wöchentlich viele Stunden damit, Nachrichten zu lesen. Das führt ganz automatisch dazu, dass ich zu mehr Themen eine Meinung habe und auch meinen Senf abgebe. Alle Menschen, mit denen ich auf Facebook befreundet bin, wissen, wovon ich rede. Je weniger ich hier in diesem Blog geschrieben habe, desto mehr bei Facebook. Es fällt mir auch nicht leicht, bei allem was gerade in Europa passiert, “weg” zu sein. Natürlich muss man Facebook mit Vorsicht genießen, das ist aber leichter gesagt als getan, wenn es so ziemlich der wichtigste Kanal nach Hause ist. Als wir in South Dakota vom Wandern in den Bergen wiederkommen, laufen auf dem Hotelfernseher gerade alle Kanäle heiß und zeigen Live-Bilder aus Paris. Facebook zeigt mir kurz darauf an, dass sich 16 meiner Freunde in Paris “in Sicherheit” befänden. Die restlichen am nächsten Morgen dann zum Glück auch. Facebook zeigt mir auch an, dass Hillary Clinton 1,5 Mio. “gefällt” und Donald Trump 4 Mio. Schlimm, schlimm…
Ein Leben im Hier und Jetzt und unter der Woche gibt es natürlich auch noch. Dazu gibt es aber nicht viel mehr zu sagen, als im ersten Absatz kurz angerissen: Es läuft so ohne weitere Vorkommnisse. Die englische Sprache verbessert sich bei mir zwar mit jedem gelesenen Text und jedem geschriebenen Paper und ich habe auch jeden Tag eine neue Vokabel im Wortschatz. Frustrierenderweise geht es aber bei Weitem nicht mehr so schnell in Kopf und Herz über, wie damals Französisch. (Jaja, das Alter.)
Überraschende Momente sind nun nicht mehr alltäglich, treten in kleinerer Form aber ab und zu in der Uni oder zuhause in Erscheinung: In Form von Lehrbüchern, welche 200$ und mehr kosten, in Form von einem kleinen sozialwissenschaftlichen Kurs, welcher mir zu 25 Jahren deutscher Einheit gratuliert, in Form der Gehälter, welche die Uni ausbezahlt – ich erfahre, dass der Präsident der University of Minnesota deutlich mehr verdient, als der Präsident der Vereinigten Staaten, was allein schon spannend genug wäre, witzig ist aber, dass dieses Gehalt noch um ein Dreifaches von dem des Football-headcoaches übertroffen wird – in Form von meinem Mitbewohner Anjie, der mir eines Tages eine Viertelmelone in die Hand drückt, weil meine Mangelernährung bei ihm Mitleid ausgelöst hat oder in Form eines schrägen Deals, den mein Vermieter mir anbietet (siehe Foto).
So viel von mir. Ich stürze mich jetzt in 2 Wochen Klausurenphase, um dann rechtzeitig zu Weihnachten Minnesota hinter mir zu lassen und in Richtung der kalifornischen Wärme zu flüchten.
Bis zum nächsten Mal!