Cochabamba die 2.

Wieder zurück nach Cochabamba, wieder wohnen und entspannen bei Marie. Alles ist schön, nur das Pollo, das es in allen Farben und Formen gibt kommt mir schlussendlich aus den Ohren raus und nach einem Besuch bei Chicken’s Kingdom muss ich mich fast übergeben. Das bedeutet am nächsten Tag einen ganzen Tag zwischen Bett und Klo, an sich unangenehm, aber das Ganze hat auch etwas Positives. Ich habe nämlich endlich mal wieder genug Zeit, ein ganzes Buch zu lesen: Che Guevaras bolivianisches Tagebuch klingt wie ein Abenteuer von 50 kleinen Jungs, die das Land erorbern wollen.

Samaipata

Wir fahren tags in Sucre los und werden mitten in der Nacht im Hippie-Dorf Samaipata rausgeworfen. Wir finden mit dem richtigen Riecher und einer knappen Wegbeschreibung das Hostal El Jardin, wo eine verschlafene Voluntärin uns in das für uns reservierte Zimmer bringt.

Dann ein paar Tage richtig gemütlich machen, Urlaub mit Susi und Matze und 30 Grad. Samaipata ist nicht umsonst Aussteigerort: Schön, ruhig, sonnig. Das Hostal El Jardin das i-Tüpfelchen, der Garten Eden im Paradies eben. Es passiert nicht viel, wir verbringen eine ereignisarme, dadurch aber nicht weniger schöne Zeit. Ein Ausflug, der laut Karte an einem buddhistischen Kloster enden soll, führt Julias Eltern und mich zu einem Heilzentrum, wo wir zufällig am grossen gentechnikfreien-Samentauschtag ankommen. Alle alternativen Bauern der Gegend kommen, um Samen von anderen Gemüsesorten zu ertauschen. Zum grossen Mittagessen mit allen werden wir prompt eingeladen.

Für Aufruhr sorgt dann nur noch die Steuerfahndung: Volkssport Nummer eins sei hier die Steuerhinterziehung erklärt mir Carlos, der Tourguide vor Ort. Im Hippiedorf kumuliere das Ganze darin, dass der Fiskus hier regelmässig rote Zahlen schreibe. Wenn dann mal jemand vorbeikommt, um nach dem Rechten zu sehen, verschwinden plötzlich die Obst- und Gemüsestände an der Strasse und an fast allen Hostels und auch am Lieblingsschmuckgeschäft hängen grosse Plakate, die grossspurig die vorübergehende Zwangs-Schliessung des Etablissements verkünden.

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Doch sie wären keine Bolivianer, wenn sie die Stände, sobald die Luft rein ist, nicht sofort wieder aufbauen würden und ausserdem die Tomaten an die Touristen so lange zum doppelten Preis verkaufen würden, bis das aus einem halben Tag Schliesszeit resultierende Minus wieder reingewirtschaftet wäre.

An unserem letzten Tag unternehmen wir einen Ausflug zu einem Park namens „Las Cuevas“, wo es eine dolle Wasserfall-Berglandschaft-Kulisse zu bestaunen gibt und davor nicht minder dolle Möchtegern-Modells und (Fake?-)Hochzeitspaare, die sich shooten lassen. Wir verbringen einen Strandtag auf bolivianisch, weil man hier kein Meer kennt, ist der Familienausflug zum Sand neben dem Wasserfall das Highlight der Badewoche inkl. Beachfussballspiel, in das von der kleinsten Schwester bis zum Grossvater alle einbezogen werden.

Auf dem Hinweg hatten wir uns noch ein Taxi geteilt, zurück fahren wir für den halben Preis mit dem Mittelstreckenbus, den wir mitten auf der Strase anhalten. Wir sitzen vorne auf irgendwelchem Gepäck, da natürlich sowohl alle regulären Sitzplätze besetzt sind, als auch die mit Plastikstühlen im Mittelgang installierte fünfte Sitzreihe keinen Platz mehr bietet. Wann immer jemand von hinten raus muss, geht das Geschiebe los, Männer halten Plastikstühle über dem Kopf und Frauen heben ihre Rockzipfel, um nach vorne durchzuklettern. Just to give you an impression.

Samaipata war ein Urlaub im Urlaub. Eine Woche Gartenidylle lassen wir bei Abfahrt genauso hinter uns, wie unser brandneu im BookExchange erworbenes Buch. Ein Grund mehr, hierher noch einmal zurückzukehren…

Sucre

Wir schaffen es endlich einmal, einen Bus kurz vor Abfahrt zu erwischen und so den Preis zu drücken. Ich freue mich riesig über umgerechnet 20 Cent Verhandlungserfolg.

Am nächsten Tag gucken wir zunächst ein bisschen in der Stadt rum. Die Menschen in Sucre, offiziell noch Hauptstädter, benehmen sich auch genau so. Hier sieht man kaum Cholitas, viele Markenklamotten und viele hohe Nasen. Dann buchen wir eine Quadtour, ich wollte das unbedingt machen. Wir latzen 800 Bs. Julia und ich sitzen auf einem Quad und bekommen dazu 1 Führer und einen „Übersetzer“ nur für uns. 3 Runden Slalom auf dem Fussballfeld zum Üben und ab geht die wilde Britze. 1 Stunde habe ich mit Julia hinten drauf Fun auf der fettesten Maschine (max speed 120 km/h), die der Veranstalter im Stall hat. Danach übernimmt Julia das Steuer, fährt 10 Minuten lang super. Kurze Pause und ein Poservideo später kommen wir leicht rechts von der „Strassse“ ab, dann geht alles ganz schnell: 2 Sekunden später liegt das Quad auf dem Kopf, die Räder drehen durch, Benzin läuft aus. Julia liegt daneben, ich bin irgendwie zum Stehen gekommen. Gott sei Dank kommt sie mit ein wenig Aua am Kopf und am Steissbein davon, bei steckt nur der Schock in den Knochen, sonst alles in Ordnung. Nach elend langen 2 Minuten kommen Limber und Ivan, unsere Guides, die schon um die Ecke vorgefahren waren, zurück. Gemeinsam kriegen wir das Gefährt umgedreht, das fortan aber nicht mehr bremsen kann. Also tauschen wir, ich fahre das rote Gerät mit Schaltung und einer Julia,  die die Nerven behält, hinten drauf zurück.

Das war’s, unsere erste Quadtour. Hat gut Bock gebracht, bis zum Unfall. 70 latzen wir noch für die kaputte Bremse.

Am Dienstag holt uns Sascha von der Plaza ab, um uns seine Arbeitsstelle zu zeigen. Den Hannoveraner weltwärts-FSJler hatten wir auf unserer Salar-Tour kennengelernt. Vormittags arbeitet er mit jugendlichen Straftätern und deren unausgebildeten Betreuern und nachmittags im Kinderheim. Wir holen mit ihm die Kinder von der Schule ab und verbringen einen Nachmittag mit ihnen. Die 6 Jungs haben entweder keine Familien mehr, oder wurden von überforderten Eltern hier abgegeben. Sie geniessen, dass mit Sascha jemand da ist, der sich für sie interessiert und ihnen Programm bietet: Fussballspielen oder Fahrradfahren abseits der Gleichgültigkeit der anderen Betreuer und deren antiquierten Disziplinierungsmethoden (in einer Reihe aufstellen, im Gleichschritt marschieren etc.). Ausser zur Schule dürfen die Jungs nie raus und auch niemanden einladen. Nachts werden sie eingeschlossen. So freuen sie sich umso mehr, wenn Sascha mit ihnen mal einen Ausflug unternimmt. Wir erleben die 6 als ziemlich süss und relativ glücklich. Als wir gehen, wirkt es, als hätte unser Besuch sie gefreut, auch wenn die Kommunikation schwierig war, da wir von ihrem Kauderwelsch so gut wie nichts verstehen konnten.

(Fotogalerie aus dem Heim darf aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht gezeigt werden.)

Potosí

Es wird ein zauberhafter Tag. Wir dürfen im Bus nach Ankunft noch 2 Stunden weiterschlafen, guter Anfang. Wir fahren mit dem Taxi zu dem einzigen Frühstücksrestaurant, welches laut Reiseführer schon geöffnet habe, aber natürlich noch geschlossen hat.
Wir bringen unsere Rucksäcke in ein Hostel und buchen dort ein Zimmer für die Nacht. Der Plan ist, die Stadt ganz entspannt zu erkunden und ein Museum zu besuchen, um uns morgen früh auf in Richtung des Cerro Rico („Reicher Berg“, welcherb das Panorama hinter der Stadt prägt) zu machen. Doch es soll anders kommen. Da wir ja immer noch nicht gefrühstückt haben, scoute ich das Buffet, welches gerade im Hostel aufgefahren wird.
Zwischen pappigen Cornflakes und etwas Pfirsichmarmelade entdecke ich Josephine aus meinem Abitur-Jahrgang. Sie studiert gerade ein Jahr in Santiago de Chile und tript während ihrer Ferien mit ihrer Mitbewohnerin Susi aus Berlin durch Bolivien und Peru. So trifft man sich am anderen Ende der Welt wieder.

im Hintergrund der Cerro Rico

im Hintergrund der Cerro Rico

Nachdem wir uns genug über diesen grossen Zufall gefreut haben, gehen wir mit unserer 4-köpfigen Reisegruppe die Kathedrale der Stadt besichtigen. Auf der Suche nach dem Eingang spreche ich zufällog Christian an, Student an der FU Berlin, Politikwissenschaft, als ob das des Zufalls nicht genug wäre auch noch aus meinem Semester.
Vom Glockenturm haben wir 5 einen super Ausblick auf die Stadt und den mächtigen Cerro Rico. wir beschliessen, noch heute in die Silbermine herabzusteigen. Nachdem uns der Touranbieter einige Ängste nehmen und einige andere schüren konnte, wagen wir uns an die Hauptattraktion der Stadt, den Grund weswegen wir eigentlich hier sind: Die Minen im Cerro Rico. Viel haben wir schon darüber gelesen: 1545 entdeckt hat die Silbermine bis heute 8 Millionen Leben, hauptsächlich die von indigenen Sklaven, gekostet. Unter schrecklichen Bedingungen, die Sklaven wurden 3 Monate unter Tage festgehalten mit nichts als Koka als Nahrung, bevor sie eine Woche Urlaub bekamen, um menschliche Arbeitskraft für die Minen nachzuproduzieren, wurden hier etiche Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode geschunden.
Auch heute sind die Bedingungen nicht wesentlich besser: Noch immer schuften hier 15.000 Männer und hoffen ein paar letzte Krümel Silber und vor allem aber Zink und andere Edelmetalle zu finden, um ihre Familien zu ernähren. Gearbeitet wird immer noch grösstenteils manuell (Spitzhacke und Dynamit) und Geld gibt es nur, wenn tatsächlich auch wertvolles Gestein zu Tage gefördert wird. Lange hatten wir gezögert, runter in die aktive Mine zu gehen, teils aus Angst (Die Mine ist sehr unsicher. Es existiert kein Plan, wo welcher Stollen verläuft. Deshalb besteht ständig akute Einsturzgefahr. Mancher wohlgelaunte Traveller ist nicht wieder hochgekommen. Ausserdem besteht die Gafahr, wegen der Enge und dicken Luft in Panik zu geraten.), teils aus Respekt vor den Minenarbeitern, die sich ja wohl wie Zootiere fühlen müssten, wenn zwei mal am Tag Gruppen kommen, um sich das Elend anzusehen.
Dann geht’s los. Unser Führer Ronald steckt uns zuerst in Sicherheitsklamotten. Schmutzfester Anzug, Gummistiefel, Helm, Kopflampe. Dann werden wir gedrängt einen Namen für unsere Gruppe zu finden. Von nun an firmieren wir als „Sexy Dynamites“. Erster Stop am Miner’s Market. Touristen kaufe

am Eingang

am Eingang

n hier Dinge, die den Minenarbeitern unter Tage eine Freude machen, es ist üblich Geschenke mitzubringen. Wir kaufen mehrere Dynamitstangen, säckeweise Kokablätter, Säfte und Wasser und natürlich Ceibo, den 96%igen Minenschnaps. Der wird sich heute noch besonderer Beliebtheit erfreuen, denn es ist Freitag und da wird traditionell gesoffen. Der letzte Freitag im Monat ist dann immer das i-Tüpfelchen in dieser Tradition. Vor dem Stolleneingang schwören wir uns mit einem fröhlichen „SEXY DYNAMITES LETS GO!“ ein. Dann in den Berg. Schon nach wenigen Minuten wird es staubig und anstrengend zu atmen, die erste Touristin springt ab und kehrt mit dem Führerassistenten, der für solche Fälle abgestellt ist, um. Wir bewegen uns eine Weile horizontal auf dem so genannten ersten Level und bekommen die Statue des „tío“, der Teufel, der von den mineros als Gott verehrt wird, zu sehen. Um gute Flöze und sichere Stollen beten sie ihn an, er ist bedeckt mit Opfergaben, Koka-Blätter, Bier und Schnaps. Wann immer hier unten angestossen wird, geht der erste Schluck für den tío auf den Boden. Auf dem ersten Level arbeiten kaum mineros, dafür begegnen wir einer Dreiergruppe, die saufend in der Ecke chillt und uns mit „Hola Gringos putos“ begrüsst. Sobald sie aber sehen, dass unsere Gruppe aus 70% Frauen besteht, hellen sich ihre Gesichter auf und sie fragen alle Damen, wie alt sie seien und woher sie kämen.

auf ein Schlückchen mit dem tío

auf ein Schlückchen mit dem tío

Wir steigen ins zweite Level ab (Ich denke so „Level up!“) und es wird deutlich enger und wärmer. Die Temperatur-Amplitude in der Mine beträgt 45ºC. Unsere Gruppe dezimiert sich weiter, der Assistent hat zu tun. Julia und ich bleiben tapfer dabei. Auf allen Vieren geht es weiter, vorbei an einer Gruppem, die gerade Feierabend macht und ihre mit hoffentlich edelmetallreichem Gestein gefüllte Lore in Richtung erstes Level schiebt, vorbei an Zweien die eine Winde bedienen und Gestein aus dem vierten Level in Körben aus Lamahaut hochziehen, 45 kg schwer pro Stück und vorbei am 22-jährigen Carlos, der für uns alle beim Fotoshooting posiert.

mit Carlos

mit Carlos

An alle Arbeiter verteilen wir fleissig Geschenke und alle reden mit uns und teilen ihr Leben mit den wildfremden Touristen. Manche arbeiten seit 30 Jahren hier unten. Ihre Stimmen sind belegt und ihre Augen glasig, die Zähne vom Koka verfärbt. Manche sind in der Mine seit sie 9 Jahre alt sind. Manche freuen sich über uns und vor allem die Girls, manche schimpfen, weil Frauen in der Mine Unglück bringen. Seit dem letzten Krieg arbeiten hier ausschliesslich Männer. Beeindruckend ist, wie alle ihr Schicksal hinnehmen. Niemand in der Mine ist besonders glÜcklich, keiner besonders unglücklich, so scheint es. Es ist einfach normal, irgendwann mit Papa runterzugehen oder den zu ersetzen, wenn er verunglückt. Es gibt auch keine anderen Jobs in Potosí. Wer in der Mine arbeitet, kann bis zu 5 mal mehr verdienen, als der Durchschnittslohn. Es ist Blutgeld, die Lebenserwartung eines mineros liegt zwischen 45 und 50 Jahren.
Carlos läd uns zu einem Fest ein, auf dem er morgen traditionelle Tänze vorführen wird. Er hat sich seine Lebensfreude in 13 Jahren unter Tage bewahrt.
Wir steigen ab in Level drei. Alle Arbeiter arbeiten auf eigene Rechnung, teils allein aber grösstenteils organisiert in Kooperativen und kleinen Gruppen bis zu 10 Leuten. Wir treffen eine angetrunkenen 3er Gruppe, die gerade die Spitzhacke gegen die Bierflasche eingetauscht hat. Ich komme mit dem Vorarbeiter ins Gespräch, wir reden über Fussball und er erklärt mir auf Nachfrage, dass er keine Uhr brauche, weil sein Herz ihm die Zeit sagen würde. Ich halte das nur für die halbe Wahrheit. Zeit spielt hier vor allem deshalb keine Rolle, weil man eben erst wieder hoch kann, wenn das Tagessoll erfüllt ist. Dann frage ich Jong (so spricht er seinen Namen aus.) nach seiner Familie. Er hat 2 Töchter und einen Sohn, auf den er mächtig stolz ist. Ob der später auch in der Mine arbeitet? Nein, sagt Jong und dann sehr weise „Die Mine wird mich umbringen, aber nicht meine Kinder.“ Die sollen studieren und es mal besser haben. Ausserdem ist in 20-30 Jahren eh Schicht im Schacht. Dann wird sich der Bergbau an diesem Ort nicht mehr lohnen. Was dann mit 15.000 Arbeitslosen und deren Familien passiert, weiss wahrscheinlich niemand, nichtmal Evo höchstpersönlich. Oder mit dem Cerro Rico, dessen Spitze durch den Bergbau schon um 500 Meter abgesunken ist, der einem Schweizer Käse ähnelt und nur darauf wartet, eines Tages zu kollabieren.
Auf meinen Wunsch hin, Menschen bei der Arbeit zu sehen, steigen wir noch einmal in einen ganz engen Schacht ab. Hier ist es so eng, dass man auf dem Bauch kriechen muss. Leider muss ich feststellen, dass neben meiner Hüfte nichteinmal 5 cm Platz für meine Kamera sind, das Display bricht. Dafür sehen wir jetzt einen minero in action. 5 Menschen liegen in dem ca. 50 Zentimeter hohen Gang hintereinander. Wir sehen nur den ersten die Füsse des zweiten. Seit heute morgen um 10 Uhr, jetzt ist es 17 Uhr, klopfen sie an dem hier äusserst harten Gestein, um heute abend um 10 mit 5 Dynamitstangen alles in die Luft zu jagen. Einzige Hilfsmittel sind Hammer und Meissel. Es ist hier so unerträglich heiss, dass man am liebsten alles ausziehen würde. Wir schenken der dankbaren Truppe unsere letzten Präsente, das Dynamit wird wohlgelaunt ins Dunkle nach Hinten durchgereicht.


Dreckis und durchgeschwitzt, aber mehr als glücklich klettern wir zurück an die Oberfläche. Draussen, wo es mittlerweile kalt geworden ist, erwartet uns der Rest unserer Truppe und ein Abschlussbierchen in den Verschlägen mit den feierabendreifen Arbeitern.
Was für eine Erfahrung.

Tupiza

Die Sonne knallt in den Bus und es wird unertraeglich heiss drinnen. Fenster aufmachen moechte wegen des draussen wuetenden Sandsturmes auch keiner. Dabei war der Plan so einfach gewesen: Mit einem entspannten Bus ueber Tag wollten wir nach Tupiza fahren, um noch etwas vom Tag zu haben. Tja, schade dass das mit dem entspannt nicht so der Fall ist. Zur Hitze kommt voellige Ueberbelegung durch immer weiter zu- (aber nie aus-)steigene Fahrgaeste. Darunter leiden besonders 3 kleine Kinder, die stundenlang komplett in Winterklamotten eingepackt im Gang stehen. Jammern tun sie nicht, genau wie alle anderen bolivianischen Kinder immer alles gelassen hinnehmen. Als ich der Ältesten meinen Sitzplatz anbiete und mich selbst auf die Armlehne verfrachte, kommen wir ins Gespräch. Ich lasse mir von der 7-jährigen und ihrem 4-jährigen Bruder, der inzwischen mit auf den Sitz gerutscht ist, erzählen, wie sie heissen, woher sie kommen und was mein Spanisch akut noch so hergibt. Dann ürfen sie Bilder in meinem Reiseführer schmökern. Zu all ihren Kommentaren kann ich nur freundlich lächeln und ab und zu „si, si“ sagen, bis mich der Kleine frech fragt, ob ich denn überhaupt sprechen könne („¿No puedes hablar?“). Ich versuche ihm noch zu erklären, dass ich andere Sprachen ganz vernünftig spreche, was aber bis wir endlich und mit einer Stunde Verspätung ankommen, nicht so richtig bei ihm ankommt.
Die schon aus dem Bus wild-west-mässig anmutende Landschaft entdecken wir in den nächsten Tagen zu Fuss und zu Pferd. Die vielfältigen Farben hinterlassen wie schon im Salar bleibende Eindrücke. Das strahlende Blau des Himmels mischt sich mit roten Felsformationen, auf denen grüne Kakteen und Bäume spriessen, im Hintergrund die mächtigen schneeweiss getünchten, schwarzen Berge (Noch schöner als hier beschrieben habe ich die Landschaft nur in mein Tagebuch gemalt. Wer freundlich fragt, darf die 4-Farben-Bic-Kuli-Idylle in Berlin bestaunen).
Wir wandern in einen Canyon nahe der Stadt. Auf dem Weg dorthin begegnen uns Menschen, die vor der Kulisse einfachster Behausungen mit vorzeitlichen Werkzeugen Landwirtschaft betreiben. Meine erste Assoziation ist Afrika. Abgemagerte Pferde und mehrere Ziegen- und Kuhgruppierungen, die Herde zu nennen eine Ubertreibung wäre, quetschen sich zwischen Bahnschienen und Flussbett, welches jetzt zur Trockenzeit nur ein spaerliches Rinnsal in seiner Mitte fuehrt, was ein Paar aber nicht davon abhaelt, den 3stündigen Wochenwasch hier zu vollbringen (natuerlich wäscht sie, er hat ja schon das Auto hergefahren).

Nach einer Stunde Wanderung von der „Busendstation“ (Stationen gibt es hier nicht, man muss auf gut Glück aussteigen) betreten wir den Canyon von Palala alto. Am Anfang  laufen wir noch in den Spuren der Jeeps, die das hier als letzte Touri-Station auf mehrtägigen Rundreisen durch die Umgebung nutzen, bald schon aber sind wir alleine. Fast. Nur noch die Stille existiert um uns herum, kein Geräusch dringt von der Strasse, den Gleisen oder den Tieren bis hier. Wir verweilen endlos lange Minuten und wandern dann von Glück erfüllt zurück in die Stadt.

Auf unserer horse riding Tour werden wir drei Stunden lang zu zweit durch die Umgebung geführt. Von unserem 16-jährigen Guide können wir einiges über das Leben eines Jugendlichen hier erfahren. Er, Johnny, arbeitet schon viele Jahre neben der Schule und führt Ausritte mit Touristen. Ich frage ihn, was er mit einer Tour verdient. Er bekommt für die 3 Stunden 10 Bs. Wir haben 210 Bs bezahlt. Wenn Johnny 5 Touren die Woche macht, reicht das gerade für die halbe Miete, die Wohnung teilt er sich mit seinem Bruder. Sein Traum ist es zu studieren, um dann Tierarzt für Pferde zu werden.

Voller Spannung nehmen wir den Nachtbus nach Potosí, wo uns die höchste Stadt der Welt, eine verteufelte Mine und bestimmt viel Kälte erwarten.

Salar de Uyuni

Die Salar de Uyuni-Tour ist Standard bei allen Bolivientouristen. Es gibt 70 Anbieter, die genau die gleiche 3-Tages-Tour anbieten. Versprochen werden unglaubliche Landschaften und Naturphänomene. Davon angezogen machen wir uns aus Cocha mit mehreren Bussen und einem Umstieg auf der wohl schlechtesten Strasse Boliviens über Nacht auf nach Uyuni. Doch die dann folgende Tour entschädigt komplett für die schlaflose Nacht und das Ankommen zu unchristlicher Zeit und in eisiger Kälte am frühen Morgen in Uyuni.

Zähneputzen vor Abfahrt

Zähneputzen vor Abfahrt

Was wir in den ersten 2 Tagen sehen, übertrifft unsere Erwartungen noch. Schon der Salar an sich, eine wirklich riesige (12qkm) glatte weisse Salzfläche beeindruckt unglaublich. Egal ob mit geschlossenen Augen minutenlang geradeauslaufen oder sich fernab der Gruppe einfach hinlegen und die ganze Welt unter sich spüren, diese surreale Landschaft hält unfassbare Erfahrungen für uns bereit. Ausserdem kann man lustige Fotos machen.

Aber auch die Umgebung des Salar hat es in sich: Da wären der cemeterrio de trenes, der Zugfriedhof, Relikt aus einer besseren Zeit, als Bolivien noch ein gutausgebautes und befahrenes Schienennetz hatte, bevor ein gieriger Präsident die Züge nach Chile verkauft hat. Dann gibt es Landschaften, die an Australien oder den wilden Westen erinnern, die ich aber so nicht in Südamerika erwartet hätte: Riesige Felsformationen aus rotem Lavagestein gemischt mit Allerlei Kakteen und dem Vollmond darüber prangend. Eine Insel mit noch viel mehr Kakteen, die zu Zeiten des Urmeers, das gaaanz früher den gesamten Salar bedeckte, ein Korallenriff war und jetzt 1000 Jahre alte, ziemlich imposante Kakteen beherbergt. Und dann in der Höhe verschneite Berge, orkanartige Windstärken und nur noch ein paar Moose und Flechten, die diesen rauen Bedingungen ihren Lebensraum abringen. Dazwischen heisse Quellen und Lagunen, in denen sich auch bei Minusgraden wie heute Flamingos tummeln (an dieser Stelle Musiktip: das Album von MC Fitti – #Geilon). Wenn man versuchen würde, das was wir hier sehen auf ein Wort herunterzubrechen, so wäre es vermutlich unfassbar. Unfassbare Landschaften, unfassbare Flora und Fauna und vor allem unfassbare Farben. Das Einzige, was die Unfassbarkeit ab und zu stört, sind unfassbar viele Touristen, die genau wie wir mit ihren Jeeps an den Hotspots Halt machen und sich drängeln, um den schönsten Flamingo im Flug zu knipsen. Zum Glück kennt unser Führer Fabio die Gegend auch abseits der ausgetretenen Pfade und kann uns immer wieder an Orte führen, an denen wir „unter uns“ sind.

Wegen Schneestrum und Schneeverwehungen können wir am Ende des zweiten Tages unsere geplante Route nicht mehr fortsetzen. Wir haben mit Fabio glücklicherweise einen sehr erfahrenen Guide, der das Risiko nicht eingeht und mit uns zurück nach Uyuni. Andere trifft das Schicksal härter. Mehrere Autos bleiben im Schnee stecken oder kippen im Sturm um, viel Touristen sind gezwungen in ihren Jeeps zu übernachten, bis am nächsten Tag Helikopter aus La Paz kommen, um sie zu befreien. Der Schnee ist am dritten Tag nicht verflogen und so bastelt Fabio ein entspanntes Ersatzprogramm bestehend aus der Besichtigung einer Minenstadt und dem Bad in heissen Quellen. Den bis dahin mit uns gefahrenen Belgiern ist das zu langweilig und sie beschliessen, sich einem anderen Trupp anzuschliessen, der einen noch erreichbaren Vulkan besteigen will. So haben wir die Gelegenheit, Fabios Frau und kleinstes Kind einladen zu können, die uns erst verhalten und dann ausgelassen auf den Spielplatz der Bergarbeiterstadt begleiten und uns dann ein Mittagessen in der öffentlichen Badeanstalt zubereiten (Man stelle sich das kurz bei uns im Paracelsus-Bad vor: Eine Gruppe, die allerhand Töpfe, Dosen und Geschirr herauskramt und genüsslich ihr Mittagsessen schnabuliert). Fabio und seine Familienmitglieder sind, wie die meisten Bolivianer, denen ich bis jetzt begegnet bin, sehr nette Menschen: Höflich, zuvorkommend, fröhlich und vor allem sehr ruhig.

Nach unserem 3-Tages-Trip durch`s Kalte sind wir froh, ein Zimmer im einzigen Hotel Uyunis, welches über eine Heizung verfügt, gebucht zu haben. Noch abends verabschieden wir uns von Julias Eltern, ab morgen gehen wir getrennte Wege.

 

Cochabamba

Nach meinem ersten Flug mit Stopover (in La Paz), auf dem ich die skurill-chaotische Situation erlebe, dass 10 Bolivianer in das Flugzeug steigen und alle Plätze auf ihre Weiterflugbereitschaft checken (#Ameisenhaufen), einer quälend langen Wartezeit in Santa Cruz und einem lächerlich kurzen Flug Santa Cruz – Cochabamba, der praktischerweise wieder in Richtung La Paz zurückgeht (s. Wolframalpha), bin ich endlich da: Cochabamba, Studentenhauptstadt und Geburtsstätte des Wasserkampfes (Film-Tipp: También la lluvia) und natürlich auch der Ort, an dem ich endlich, endlich, endlich Julia wiedertreffen werde. So kommt es dann auch, ein wunderbarer Moment, als wir uns am Flughafen treffen.

Der Taxifahrer fährt uns für umgerechnet 2 Euro durch die Stadt zur Wohnung von Julias Schwester Marie, welche den Startpunkt für unsere Reise bildet. Anschnallen ist hier sowieso nicht und übereinander sitzen kein Problem, so dass wir bequem zu viert zwei vorne und zwei hinten fahren.

Marie und ihre FSJ-Kolleginnen haben eine Wohnung im Stadtzentrum gemietet und absolvieren jetzt ihre letzten freiwilligen Wochen hier. So kommt es, dass ein paar Minuten nachdem wir angekommen sind, die Nachmieterin Martine mit Sack und Pack auf der Matte steht. Nachdem wir die Wohnung mit ihren Möbeln vollgestellt und uns ein provisorisches Bett gebaut haben, gehen wir zügig schlafen. Obwohl ich seit Miami über den Wolken nur noch geschlafen habe, kann ich eine ordentliche Mütze Schlaf in einem richtigen Bett jetzt gut gebrauchen.

In den nächsten Tagen entdecke ich mit Julia Cochabamba. Wir klettern auf den Cristo (der hier wohl noch höher ist, als das Original in Rio de Janeiro) und haben einen herrlichen Ausblick auf die Stadt.

El Cristo

El Cristo

Wir besuchen ein Kloster und erfahren, wie es sich lebt, wenn frau mit 15 bis zu ihrem Tod allein mit Gott und ein paar anderen Nonnen eingesperrt wird. Die nicht wirklich grosse und vor allem sehr düstere Anlage liegt umgeben von hohen Mauern mitten in der Stadt, so dass die drinnen alles von draussen hören, ohne jemals raus zu können. Bis heute leben 8 Frauen diesen Albtraum. Wir erleben die Kulinarik der Strasse, besonders, als wir abends über ein Fest der Virgin Carmen streifen. Alles Essen auf der Strasse ist fritiert und wenn sich doch mal ein Salatblatt auf dem Pappteller verirrt, tut man gut daran, das nicht zu essen. Was ich natürlich gleich bei erster Gelegenheit missachte. Trotzdem bleibe ich, Gott sei Dank, von Parasiten und ähnlichen Magen-Darm-Scherereien verschont, die normalerweise jeden hier am Anfang plagen (UPDATE 2 Wochen später: mittlerweile hab ich es auch 2 mal durch.) Nach ein paar Tagen nimmt Marie uns auch mit in den Kindergarten. Einen halben Tag lang spielen wir mit den Kindern Zugfahren und Fussball und reisen mit den Bremer Stadtmusikanten.

Der Star im Kindergarten

Der Star im Kindergarten

Bolivien ist so, wie ich es mir vorgestellt habe. Alles ist hier einfach einfach. Gemütlich, langsam, niedrigtechnologisiert.

Miami

Gerade habe ich die Uhr 6 Stunden zurückgestellt. Zwischen mir und Berlin liegen bis jetzt 11 Stunden Flug, mässiges Flugzeugessen und die langweiligste Sitznachbarin, die man sich vorstellen kann. Vor mir liegen eine Busfahrt zum South Beach und hoffentlich einem geilen Burgerladen, five guys oder so (DAYUM!), noch 20 weitere Stunden stop&fly bis Cochabamba und dann die wohl krasseste Reise meines (zugegebenermassen hinter den Ohren noch grün gefärbten) Lebens. Lobosch’s World Records Buch wird sich also weiter füllen und hat auch jetzt schon einige neue Einträge: weiteste Reise, längster Flug, das meiste Wasser unter mir gelassen.

Erste Eindrücke vom Flughafen sind das omnipräsente Spanisch und ein mulmiges Gefühl, als ich Menschen sehe, die in Frischhaltefolie eingewickelte Maschinenpistolen vor sich herschieben.

Im Bus haben 2 Typen den Spass ihres Lebens. Ein 70-jähriger und ein Mittdreissiger haben sich im Bus kennengelernt und schmettern zusammen Arien in allen ihnen bekannten Sprachen, wobei sie nach und nach den ganzen Bus mit einbeziehen wollen. Gar nicht mal so schlecht gesungen, aber ’n bisschen laut. Dann, endlich, bin ich am Strand: Miami Beach Dikkahz! Seht selbst:

(VIDEO FOLGT)

Mein Kumpel Louis hat die USA mal so beschrieben: „Du hast da drüben ein Bedürfnis und kaum merkst Du es, wird es Dir auch schon erfüllt.“ Wie recht er hatte, dachte ich, als der 3. Laden nachdem ich aus dem Bus ausgestiegen bin, der von mir so heiss herbeigesehnte five guys Burgers and fries war. Am Strand lerne ich prompt noch einen Louis kennen, der mir weiterhilft. Dank ihm komme ich halbwegs trocken zum Flughafen, nachdem ich erst lange mit mir gehadert hatte, ob ich ohne Bade- und Wechselsachen in den salzigen Atlantik springen soll, mir dann aber „YOLO“ dachte und mit Buchse rein bin. Louis ist der typische beachworker: Ein muskelbepackter Schwarzer mit Sonnenbrille und Goldkette, dem ich nicht so recht abkaufen kann, dass er nach eigener Angabe schon 47 Jahre alt sei. Jedenfalls schenkt Louis mir ein Handtuch aus dem Hotelvorrat, für das er arbeitet.

An der Bushaltestelle habe ich noch einmal Glück, als ein feierlustiges Mädchen so lange unter lautem Johlen meiner Banknachbarn ihr Hinterteil vor meinem Gesicht shakt, bis der Bus, der nur alle halbe Stunde kommt, schon im Begriff ist, wieder anzufahren. Ich überwinde meine Verstörung gerade noch rechtzeitig und schaffe es noch in den Bus zu hechten, wo mich Atzepeng hinterm Steuer für meinen Anfängerfehler auslacht.