Potosí

Es wird ein zauberhafter Tag. Wir dürfen im Bus nach Ankunft noch 2 Stunden weiterschlafen, guter Anfang. Wir fahren mit dem Taxi zu dem einzigen Frühstücksrestaurant, welches laut Reiseführer schon geöffnet habe, aber natürlich noch geschlossen hat.
Wir bringen unsere Rucksäcke in ein Hostel und buchen dort ein Zimmer für die Nacht. Der Plan ist, die Stadt ganz entspannt zu erkunden und ein Museum zu besuchen, um uns morgen früh auf in Richtung des Cerro Rico („Reicher Berg“, welcherb das Panorama hinter der Stadt prägt) zu machen. Doch es soll anders kommen. Da wir ja immer noch nicht gefrühstückt haben, scoute ich das Buffet, welches gerade im Hostel aufgefahren wird.
Zwischen pappigen Cornflakes und etwas Pfirsichmarmelade entdecke ich Josephine aus meinem Abitur-Jahrgang. Sie studiert gerade ein Jahr in Santiago de Chile und tript während ihrer Ferien mit ihrer Mitbewohnerin Susi aus Berlin durch Bolivien und Peru. So trifft man sich am anderen Ende der Welt wieder.

im Hintergrund der Cerro Rico

im Hintergrund der Cerro Rico

Nachdem wir uns genug über diesen grossen Zufall gefreut haben, gehen wir mit unserer 4-köpfigen Reisegruppe die Kathedrale der Stadt besichtigen. Auf der Suche nach dem Eingang spreche ich zufällog Christian an, Student an der FU Berlin, Politikwissenschaft, als ob das des Zufalls nicht genug wäre auch noch aus meinem Semester.
Vom Glockenturm haben wir 5 einen super Ausblick auf die Stadt und den mächtigen Cerro Rico. wir beschliessen, noch heute in die Silbermine herabzusteigen. Nachdem uns der Touranbieter einige Ängste nehmen und einige andere schüren konnte, wagen wir uns an die Hauptattraktion der Stadt, den Grund weswegen wir eigentlich hier sind: Die Minen im Cerro Rico. Viel haben wir schon darüber gelesen: 1545 entdeckt hat die Silbermine bis heute 8 Millionen Leben, hauptsächlich die von indigenen Sklaven, gekostet. Unter schrecklichen Bedingungen, die Sklaven wurden 3 Monate unter Tage festgehalten mit nichts als Koka als Nahrung, bevor sie eine Woche Urlaub bekamen, um menschliche Arbeitskraft für die Minen nachzuproduzieren, wurden hier etiche Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode geschunden.
Auch heute sind die Bedingungen nicht wesentlich besser: Noch immer schuften hier 15.000 Männer und hoffen ein paar letzte Krümel Silber und vor allem aber Zink und andere Edelmetalle zu finden, um ihre Familien zu ernähren. Gearbeitet wird immer noch grösstenteils manuell (Spitzhacke und Dynamit) und Geld gibt es nur, wenn tatsächlich auch wertvolles Gestein zu Tage gefördert wird. Lange hatten wir gezögert, runter in die aktive Mine zu gehen, teils aus Angst (Die Mine ist sehr unsicher. Es existiert kein Plan, wo welcher Stollen verläuft. Deshalb besteht ständig akute Einsturzgefahr. Mancher wohlgelaunte Traveller ist nicht wieder hochgekommen. Ausserdem besteht die Gafahr, wegen der Enge und dicken Luft in Panik zu geraten.), teils aus Respekt vor den Minenarbeitern, die sich ja wohl wie Zootiere fühlen müssten, wenn zwei mal am Tag Gruppen kommen, um sich das Elend anzusehen.
Dann geht’s los. Unser Führer Ronald steckt uns zuerst in Sicherheitsklamotten. Schmutzfester Anzug, Gummistiefel, Helm, Kopflampe. Dann werden wir gedrängt einen Namen für unsere Gruppe zu finden. Von nun an firmieren wir als „Sexy Dynamites“. Erster Stop am Miner’s Market. Touristen kaufe

am Eingang

am Eingang

n hier Dinge, die den Minenarbeitern unter Tage eine Freude machen, es ist üblich Geschenke mitzubringen. Wir kaufen mehrere Dynamitstangen, säckeweise Kokablätter, Säfte und Wasser und natürlich Ceibo, den 96%igen Minenschnaps. Der wird sich heute noch besonderer Beliebtheit erfreuen, denn es ist Freitag und da wird traditionell gesoffen. Der letzte Freitag im Monat ist dann immer das i-Tüpfelchen in dieser Tradition. Vor dem Stolleneingang schwören wir uns mit einem fröhlichen „SEXY DYNAMITES LETS GO!“ ein. Dann in den Berg. Schon nach wenigen Minuten wird es staubig und anstrengend zu atmen, die erste Touristin springt ab und kehrt mit dem Führerassistenten, der für solche Fälle abgestellt ist, um. Wir bewegen uns eine Weile horizontal auf dem so genannten ersten Level und bekommen die Statue des „tío“, der Teufel, der von den mineros als Gott verehrt wird, zu sehen. Um gute Flöze und sichere Stollen beten sie ihn an, er ist bedeckt mit Opfergaben, Koka-Blätter, Bier und Schnaps. Wann immer hier unten angestossen wird, geht der erste Schluck für den tío auf den Boden. Auf dem ersten Level arbeiten kaum mineros, dafür begegnen wir einer Dreiergruppe, die saufend in der Ecke chillt und uns mit „Hola Gringos putos“ begrüsst. Sobald sie aber sehen, dass unsere Gruppe aus 70% Frauen besteht, hellen sich ihre Gesichter auf und sie fragen alle Damen, wie alt sie seien und woher sie kämen.

auf ein Schlückchen mit dem tío

auf ein Schlückchen mit dem tío

Wir steigen ins zweite Level ab (Ich denke so „Level up!“) und es wird deutlich enger und wärmer. Die Temperatur-Amplitude in der Mine beträgt 45ºC. Unsere Gruppe dezimiert sich weiter, der Assistent hat zu tun. Julia und ich bleiben tapfer dabei. Auf allen Vieren geht es weiter, vorbei an einer Gruppem, die gerade Feierabend macht und ihre mit hoffentlich edelmetallreichem Gestein gefüllte Lore in Richtung erstes Level schiebt, vorbei an Zweien die eine Winde bedienen und Gestein aus dem vierten Level in Körben aus Lamahaut hochziehen, 45 kg schwer pro Stück und vorbei am 22-jährigen Carlos, der für uns alle beim Fotoshooting posiert.

mit Carlos

mit Carlos

An alle Arbeiter verteilen wir fleissig Geschenke und alle reden mit uns und teilen ihr Leben mit den wildfremden Touristen. Manche arbeiten seit 30 Jahren hier unten. Ihre Stimmen sind belegt und ihre Augen glasig, die Zähne vom Koka verfärbt. Manche sind in der Mine seit sie 9 Jahre alt sind. Manche freuen sich über uns und vor allem die Girls, manche schimpfen, weil Frauen in der Mine Unglück bringen. Seit dem letzten Krieg arbeiten hier ausschliesslich Männer. Beeindruckend ist, wie alle ihr Schicksal hinnehmen. Niemand in der Mine ist besonders glÜcklich, keiner besonders unglücklich, so scheint es. Es ist einfach normal, irgendwann mit Papa runterzugehen oder den zu ersetzen, wenn er verunglückt. Es gibt auch keine anderen Jobs in Potosí. Wer in der Mine arbeitet, kann bis zu 5 mal mehr verdienen, als der Durchschnittslohn. Es ist Blutgeld, die Lebenserwartung eines mineros liegt zwischen 45 und 50 Jahren.
Carlos läd uns zu einem Fest ein, auf dem er morgen traditionelle Tänze vorführen wird. Er hat sich seine Lebensfreude in 13 Jahren unter Tage bewahrt.
Wir steigen ab in Level drei. Alle Arbeiter arbeiten auf eigene Rechnung, teils allein aber grösstenteils organisiert in Kooperativen und kleinen Gruppen bis zu 10 Leuten. Wir treffen eine angetrunkenen 3er Gruppe, die gerade die Spitzhacke gegen die Bierflasche eingetauscht hat. Ich komme mit dem Vorarbeiter ins Gespräch, wir reden über Fussball und er erklärt mir auf Nachfrage, dass er keine Uhr brauche, weil sein Herz ihm die Zeit sagen würde. Ich halte das nur für die halbe Wahrheit. Zeit spielt hier vor allem deshalb keine Rolle, weil man eben erst wieder hoch kann, wenn das Tagessoll erfüllt ist. Dann frage ich Jong (so spricht er seinen Namen aus.) nach seiner Familie. Er hat 2 Töchter und einen Sohn, auf den er mächtig stolz ist. Ob der später auch in der Mine arbeitet? Nein, sagt Jong und dann sehr weise „Die Mine wird mich umbringen, aber nicht meine Kinder.“ Die sollen studieren und es mal besser haben. Ausserdem ist in 20-30 Jahren eh Schicht im Schacht. Dann wird sich der Bergbau an diesem Ort nicht mehr lohnen. Was dann mit 15.000 Arbeitslosen und deren Familien passiert, weiss wahrscheinlich niemand, nichtmal Evo höchstpersönlich. Oder mit dem Cerro Rico, dessen Spitze durch den Bergbau schon um 500 Meter abgesunken ist, der einem Schweizer Käse ähnelt und nur darauf wartet, eines Tages zu kollabieren.
Auf meinen Wunsch hin, Menschen bei der Arbeit zu sehen, steigen wir noch einmal in einen ganz engen Schacht ab. Hier ist es so eng, dass man auf dem Bauch kriechen muss. Leider muss ich feststellen, dass neben meiner Hüfte nichteinmal 5 cm Platz für meine Kamera sind, das Display bricht. Dafür sehen wir jetzt einen minero in action. 5 Menschen liegen in dem ca. 50 Zentimeter hohen Gang hintereinander. Wir sehen nur den ersten die Füsse des zweiten. Seit heute morgen um 10 Uhr, jetzt ist es 17 Uhr, klopfen sie an dem hier äusserst harten Gestein, um heute abend um 10 mit 5 Dynamitstangen alles in die Luft zu jagen. Einzige Hilfsmittel sind Hammer und Meissel. Es ist hier so unerträglich heiss, dass man am liebsten alles ausziehen würde. Wir schenken der dankbaren Truppe unsere letzten Präsente, das Dynamit wird wohlgelaunt ins Dunkle nach Hinten durchgereicht.


Dreckis und durchgeschwitzt, aber mehr als glücklich klettern wir zurück an die Oberfläche. Draussen, wo es mittlerweile kalt geworden ist, erwartet uns der Rest unserer Truppe und ein Abschlussbierchen in den Verschlägen mit den feierabendreifen Arbeitern.
Was für eine Erfahrung.

3 Gedanken zu „Potosí

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