Und los: Down to the East coast

Mit zwei lachenden Augen verabschiede ich mich am Morgen des Anfangs vom Vagabundenleben von Nancy und George. Eins lacht, weil ich hier eine tolle Familie gefunden habe und ich weiß, dass ich diese wunderbaren Menschen ganz sicher nicht zum letzten Mal gesehen haben werde. Das andere lacht, weil der Tag, auf den alles in den letzten Wochen irgendwie hin lief, endlich da ist. Das Auto ist komplett gepackt und startbereit, ich habe sogar schon eine Nacht darin Probe geschlafen, auf Nancy und George’s Basketballfeld hinten im Garten, und meine ersten 3 Stops sind dank der unschätzbar wertvollen Hilfe meiner American Mum and Dad durchgeplant. Ich muss also nur noch fahren, für alles andere ist gesorgt. Das ist natürlich schneller gesagt als getan, die Fahrt wird lang und –weilig.
Ich habe mir die Route nach New York City in drei ungefähr gleich große Teile eingeteilt und so muss ich jeden Tag mutterseelenallein zwischen sechs und acht Stunden über Highway-Asphalt rollen. Im Auto bleibt immerhin viel Zeit zum Nachdenken und Wach-Träumen und so male ich mir den bevorstehenden Trip schon mal in den schillerndsten Farben aus: Zuerst würde ich jetzt nach NYC runterfahren, um dort Julius einzusammeln. Mit diesem ginge es dann die komplette Ostküste der Staaten runter und wieder rauf. Nach Boston wollen wir nach Westen abbiegen und über die Grenze nach Kanada fahren. Von dort dann im Zickzack die schönsten Nationalparks einschließend coast-to-coast an die Westküste. Bei Seattle zurück in die USA, und den Highway 1 die Westküste runter bis L.A., wo wir Basti einsammeln würden. Von dort dann einige Tage ins Landesinnere, um die beeindruckenden Naturphänomene zu genießen, zurück nach L.A., Julius wegbringen, hoch nach San Francisco, Jonathan und Florian abholen, mit der Meute aufs Burning Man-Festival gehen und danach noch mal eben mit Basti durch den ganzen U.S.-amerikanischen Süden touren, um schließlich Mitte Oktober aus Florida zurück nach Deutschland zu fliegen. Man kann sich die Form der Route also wie ein riesiges C vorstellen, eine große öffnende Klammer, welche die USA umschließt. „Na, wenn das mal alles so hinhaut“ denke ich, als ich nach Chicago einrolle. Noch habe ich ein funktionierendes Auto, genug Reserven auf dem Konto und bin frohen Mutes. Wäre fast ein Wunder, wenn all das für immer so bliebe.
Im Norden Chicagos darf ich bei Sabine und Andrew übernachten. Er ist ein ehemaliger Student von George an der U, sie eine Deutsche auf Auslandsstation in ihrem Trainee-Programm. Kennengelernt haben sich beide in ihrer Ausbildung bei einem deutschen internationalen Unternehmen. Dieses Unternehmen bezahlt auch Sabines 2-Bedroom-Apartment mit einem ungenutzten Zimmer und so komme ich, wohl zum letzten Mal für ganz lange Zeit, sogar in den Luxus eines eigenen Zimmers für eine Nacht. Zu Abend essen wir beim örtlichen „Portillos“ – wieder genau so lecker, wie ich es aus meinem ersten Trip nach Chicago in Erinnerung habe. Danach gibt es noch NBA und das Staffelfinale von Game of Thrones auf die Augen und ich kann erst ins Bett gehen, nachdem ich mich ein wenig beruhigt habe.

Die Etappe des nächsten Tages führt mich durch Cleveland. Das trifft sich ganz gut, denn gerade am Vorabend haben die Cavaliers um LeBron James zum ersten Mal in der Geschichte der NBA die Finalserie gegen die Golden State Warriors um Steph Curry nach 3 Niederlagen aus 4 Spielen noch gedreht und sind die Basketball-Champions geworden. Das Herzschlagfinale hatten Sabine, Drew und ich gestern Abend auf der Couch verfolgt. Und so nehme ich einen, durch die vielen jubelnden Fans, die die Straßen verstopfen, mit fast 2 Stunden deutlich länger als gedachten Umweg in Kauf und fahre zur Heimarena der Cavs. Die offizielle Party findet erst in zwei Tagen statt, aber auch jetzt kann ich ein bisschen Gewinnerstimmung tanken, in dieser Stadt, in der seit den 60er Jahren kein großer Titel mehr gewonnen wurde. Den Rest des Tages bestimmen langgezogene Highways durchs Flachland und das blödeste Mautsystem aller Zeiten in Illinois – nur Du hast noch die Chance, das evtl. noch zu toppen, Alex D. – und ich bin glücklich, dass ich mir eine 400 Songs umfassende Spotify-Playlist mit dem Titel „Riding Flyover Country“ erstellt habe.
Sobald ich mich New York State nähere, ist es wenigstens mit der landschaftlichen Langeweile vorbei. Alles ist so grün hier, ein paar Hügel gibt es auch und vor allem hat Upstate New York nichts, aber auch gar nichts mit NYC gemein. Kurz nachdem ich vom Highway abfahre entdecke ich außerdem eine große Siedlung einer Amish community und kann mir einmal vorstellen, wie hier alle Menschen gelebt haben müssen, damals, als Amerika noch Sehnsuchtsort vieler Europäer war und sie hier mit dem Schiff und Hoffnung auf eine bessere Zukunft gelandet sind. Beth, George’s Schwester, ihr Ehemann Ron und sein Bruder Gary empfangen mich mit frischen Hamburgern vom Grill zum Abendessen. Ihr Grundstück ist bewaldet und mit 14 ha sehr weitläufig, es erinnert mich an das eines Freundes meines Papas in der Uckermark, das wir früher immer sehr gerne zum Urlaub mit der Familie genutzt haben. Als ich mir ein Glas des in dieser Gegend doch bestimmt sauberen Leitungswassers abfülle, gibt mir Beth stattdessen eine kleine Plastikflasche und erklärt mir, dass ein paar Unternehmen hier vor 15 Jahren mit dem Fracking begonnen hatten und man das Grundwasser hier seitdem lieber nicht mehr trinken soll. Na jut. Ron hat vor dem Grundstück ein großes Plakat aufgehängt, auf dem die Erhaltung des „second amendment“ beschworen wird, also das zur Verfassung hinzugefügte Recht eines jeden Amerikaners, eine Waffe zu besitzen. Ron, selber Vietnam-Kriegsveteran, macht von diesem Recht auch selber gleich in mehrfacher Ausführung Gebrauch. Nicht ohne Stolz zeigt er mir Teile seiner Waffensammlung und nicht ohne Ehrfurcht begutachte ich und probiere aus. Mit einer Kaliber .22 auf Dosen zu schießen mag ja noch ganz spaßig sein, aber spätestens als ich seine neue Knarre, eine Pistole zur – wie Ron es sagt – „Selbstverteidigung“ (vllt eine Glock oder Sig, hab ich vergessen) abfeuere, den Rückstoß spüre und vom Knall einen ordentlichen und lange andauernden Tinni bekomme, merke ich, dass solche Waffen für mich doch eher nichts sind und auch bitte für niemanden ohne entsprechendes Training etwas sein sollten. Am späten Abend stoßen wir zu einer kleinen Geburtstagsfeier einer Nachbarin hinzu und genießen Lagerfeuer und Vollmond.
Früh am nächsten Morgen mache ich mich auf meine letzte Pre-brotrip-Etappe durch den schönen Empire State. Es geht bis zur Stadtgrenze von NYC recht zügig voran, aber ab dort beginnt der Albtraum: Für die letzten 5 Meilen durch den Big Apple, brauche ich über eine Stunde, da ich ganz Manhattan zur rush hour durchqueren muss, um die Wohnung des Laskaris-Sohnes Alex in Brooklyn zu erreichen.

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