Wir kommen um 7:00 Uhr mit dem Zug an. Wir wollen uns bei Ahmed entschuldigen, der schon fast eine Stunde auf uns am Bahnhof warten müsste. Der weiß aber, wie der Hase läuft und hat die Verspätung einkalkuliert. Überhaupt ist es ein krasser Typ, der da in seiner La-Martina-Porsche-Edition-Jacke auf uns wartet: Ahmed ist Imam und Halbprofiboxer, Kriegswaise und Stadtführer, Wirtschaftsstudent und Antiquitätenhändler. So eine Lebensrealität muss mir im behüteten Deutschland erstmal jemand mit 21 Jahren vorweisen.
Zuerst stellen wir unsere Rucksäcke in der Unterkunft ab, die Ahmed uns klargemacht hat. Die Butze knallt. Eine StudentenWG von 2 Schulkumpels, die ein Zimmer von 2 vermieten. Einer kommt aus dem Bett gekrochen um uns aufzumachen. Der andere winkt kurz aus dem Bett „Hey guys“ und wird uns als Vertreter des Landes beim heute Abend stattfindenden Biertrinkcontest D vs. BiH vorgestellt. Rosa Wände und ein Ausziehsofa, an der Wand ein Poster, auf dem Džeko Ronaldo verarscht, was will man mehr?
Wir ratzen 3 Stunden, da Ahmed ein großes Programm mit uns vorhat. Wir besichtigen 2 Stunden lang die Altstadt, die hauptsächlich aus vielen kleinen Geschäften, die seit dem Osmanischen Reich da stehen, besteht. Ein befremdlich-schöner Anblick. Dann beschließen wir, beim großen Freitagsgebet mitzumachen (das ist nämlich das einzige in der Woche, welches man im Islam nicht nachholen kann und da ich in meinem Leben schon um die 1100 verpasst habe…). Die zentrale Moschee ist beeindruckend und ich bekomme ein mulmiges Gefühl. Ahmed verspricht, dass wir nicht auffallen, wenn wir ihm alles genau nachmachen. Los geht’s mit dem Reinigungsritual, welches auf den ersten Blick recht überflüssig erscheint: 3 mal die rechte, 3 mal die linke Hand… usw usf. Später freue ich mich zu wissen, dass die Füße, zwischen die ich meinen Kopf während des Gebets drücke wenigstens alibifrisch gewaschen sind.
Dann beginnt drinnen das große Knien: Feels like Pferderennen hoch 27 (für Outsider: Ein Energizer, bei dem man kniend ein Pferd nachahmt. Kennste nich? Musste probieren!) Nach ca. 15 Minuten traue ich mich, die Position meiner Beine zu verändern. Die sind inzwischen eingeschlafen und nicht mehr durchblutet. Der Imam singsäuselt abwechselnd auf bosnisch und auf arabisch, ich falle in eine Minitrance. Dann beginnt erst das eigentliche Beten. Die 6 Positionen hat manh relativ schnell drauf und dann geht es hoch, runter, hoch, runter… Mit den 500 Männern (Frauen müssen draußen bleiben) vor, hinter, über, unter, rechts und links von sich fühlt man sich ein wenig wie Teil von etwas Größerem.
Mit dem Spirit ziehen wir weiter in ein muslimisches Café, wo es starken Kaffee und orientalischen Flair gibt. Ahmed kennt übrigens jeden hier in der Stadt, durch die ganzen Salam Alaikums, Wangenküsschen und geschüttelten Hände kommen wir zwar langsamer voran, sehen dafür aber auch viele Gesichter. A propos: Viele Gesichter hat auch die Stadt Sarajevo: Katholische, orthodoxe, muslimische, kroatische, serbische, bosnische. Da ist der Überblick schnell verloren und auch im Balkankriegmuseum kann ich mir nur Bruchstücke zu etwas größeren Bruchstücken zusammensetzen, aber das große Ganze, das Geflecht von gegenseitigem Einfluss der Völker, Länder, Armeen und Verbündeten zu durchsteigen ist mir eine Nummer zu groß. Darüber hat man halt auch gar nichts in der Schule gelernt, obwohl der Shit topaktuell ist (immerhin weiß ich später noch wer Franz Ferdinand ist, als wir die Brücke besichtigen, auf der damals der Erste Weltkrieg begann). Das Geschichtsbuch „1. WK bis heute“ in der nächsten Buchhandlung hat nicht umsonst mehrere tausend Seiten.
Im mexikanischen Club wird uns abends der Drogenbaron von Sarajevo vorgestellt. Hallo, ja ist mir auch eine Ehre. Als der Morgen graut, ist es genau der, der seinen Kopf in unser Zimmer steckt und breit grinsend fragt, ob wir noch Einen mitrauchen wollen. Wir schlafen seit Stunden.
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