Lima

Das erste Bild vom Pazifik kommt plötzlich und ist unscharf. Ohne Brille und mit Ohrstöpseln, um dem grausamen und seit Stunden störenden Board-Entertainment des Busses zu entgehen, mit müden Augen und durch noch mattere Fensterscheiben von endlosen Kilometern durch die Wüste bin ich blind und taub, als ich den blauen Riesen neben der uns erbarmungslos nordwärts schleifenden Panamericana entdecke. Das bedeutet jetzt zweierlei, Gutes und Schlechtes. Das Gute ist, dass unser Ziel Lima nun wirklich nicht mehr weit entfernt sein kann. Das Schlechte, dass alle Unheilsverkünder Recht behalten haben und das Wetter hier vermutlich tatsächlich immer scheisse ist.

Pauls WG

Pauls WG

Wir fahren gleich nach Ankunft auf gut Glück in den Randbezirk la Molina, da wir von unterwegs nicht mehr mit Paul kommunizieren konnten. Paul ist ein Kumpel von Julia aus Berlin, auch Freiwilliger hier, der uns freundlicherweise bei sich aufnehmen will. Wir kennen zwar die Strasse und Hausnummer, wissen aber nicht in welchem Appartement er wohnt und ob er überhaupt zu Hause ist. Wir klingeln und haben Glück. Pauls Mitbewohnerin Carla guckt aus dem Fenster und kann den Schlafenden aufwecken. In der Wohnung wohnen 4 Freiwillige in Kinderheim-Projekten hier in Lima. Am ersten Abend lernen wir die restlichen deutschen FSJler bei einer Abschiedsparty im Künstlerviertel Barranco kennen. Es wird erst in einer Wohnung gefeiert und später am Strand mit Lagerfeuer, Trommeln und witzigen Menschen aus Peru, Kuba und China.

Die weiteren Tage hier vergammeln wir eher. Ein wenig Wäsche waschen hier, lecker Frühstück oder Burger essen da und einmal um den Block spazieren dort sind das Tagesprogramm. Paul hat Glück, hier hat sich eine wirklich atzige WG von sich gut ergänzenden Menschen gefunden. Hier wird gechillt, gefeiert und gewitzelt und alle haben Spass am Gemeinsam-Sein. Auch die Wohnung an sich ist ganz geil. Zwar kein eigenes Zimmer für jeden, dafür eine sonnige Dachterasse und ein offener Küche-Wohn-Raum. Die Stimmung trübt leider die psychisch angeknackste Vermieterin Rita, die schon das ganze Jahr anstrengend war, es nun gegen Ende der gemeinsamen Zeit jedoch noch mal richtig drauf ankommen lässt und unerträglich wird: Im Stundentakt kommt sie unangekündigt durch Vorder- oder Hintertür, um zu kontrollieren, ob der Auszug nach ihrem Gusto vonstatten geht. Was er natürlich nicht tut. Und so wird immer wieder korrigiert, diskutiert, gefordert und befohlen und vor allem möglichst oft eine total schockierte Mine aufgesetzt.

Nach und nach heisst es dann auch für diese WG, Abschied zu nehmen. Unser zweiter Abend ist der letzte der Mädels hier und wir fahren zur Feierei ins Reichen- und Touri- und Partyviertel Miraflores. Wir ziehen durch verschiedene Bars und Clubs und ärgern uns über die allzu europäischen Preise. Peter reist einen Tag später ab, wir feiern mit Bier und Pisco und Tischtennis in der Wohnung. Der Abschied von Paul muss dann zwei Tage darauf schnell gehen, da wir noch einen Bus, der abends in Trujillo ankommen soll, catchen wollen.

2 Busfahrten

Wir fahren von Rurre nach La Paz. Auf dem Hinweg hatte noch alles verhältnismässig gut geklappt. „Verhältnismässig“ bedeutet hier immer unter 2 Stunden Verspätung. Die von den Unternehmen angegebenen Fahrzeiten sind, so vermute ich, die Weltrekorde, eingefahren bei freier Bahn und mit Rückenwind. Jetzt stehen die Zeichen jedenfalls schlecht. Der seit 3 Tagen andauernde Regen hat die Sandstrassen in Schlammpisten verwandelt. Wir brauchen für die 450km geschlagene 30 Stunden. 1 mal bleiben wir im Sonnenaufgang und vor allem im Schlamm stecken und müssen stundenlang freischaufeln, 1 mal schläft unser Fahrer ein Sekündchen ein und steuert in ein Gebüsch, kein Wunder bei 30 Fahrtstunden ohne Fahrerwechsel. Ein Bagger kommt und befreit uns. Die grösste Verzögerung entsteht durch einen Erdrutsch, dessen Beseitigungsarbeiten uns zu einer Pause von 6 Stunden zwingen. Zu allem überfluss bekommen wir in der zweiten Nacht einen schlimmen Unfall zu sehen. Ein Taxi ist gerade neben der Strasse in den 15m-Abgrund gestürzt, Helfer leuchten und rufen Anweisungen, es scheint Überlebende zu geben. Vielmehr erfahren wir beim Vorbeifahren nicht. Dann noch ein kleiner Zusammenstoss von unserem Bus mit einem entgegenkommenden Taxi und mit den Nerven am Ende hören wir, wie sich erst die beiden Fahrer und dann immer mehr aus den pausenlos hupenden Autos aussteigende Männer darum streiten, wer Schuld hat und warum. Die Sache dreht sich zu Gunsten unseres Fahrers, als sich herausstellt, dass der Taxifahrer gar keinen Führerschein (!) hat.

Die lange Fahrt hat schliesslich auch ihr Gutes. Wir lernen ein paar Franzosen kennen, mit denen wir nachts im Hostel einchecken und 2 Tage in La Paz verbringen. Wir finden zufällig eine nette Bar und verbringen dort 2 Abende.

mhhhmmmm...

mhhhmmmm…

Die nächste Busfahrt (La Paz – Lima mit Umstieg in Puno am Titicacasee) wird die teuerste ever. 550 Bs, 5x mehr als wir bis jetzt maximal bezahlt hatten. Hallo Peru, hier ist plötzlich alles „nur noch“ 2x billiger als in Deutschland (und nicht 5x). Dafür gibt’s „Vollverpflegung“, Essen aus Plastikschalen, 3x ekliger als im Flugzeug.

Eine völlig durchgeknallte Stewardess und ein Fehler im Buchungssystem runden das Programm ab. Dieser Fehler macht, dass beim Umstieg in den nächsten Bus für unsere 5er Gruppe (die beiden Franzosen Audrey und Camille, ein Spanier und wir) nur 3 Plätze im Anschlussbus zur Verfügung stehen. Erschwerend hinzu kommt, dass wegen Schneestürmen im südlichen Peru auch keine weiteren Busse mehr zu erwarten sind. Nach ewigem hin und her verabschiedet sich der Spanier mit der Nachricht, dass gestern Nacht im Bus Leute erfroren wären und bucht sich deshalb lieber einen Flug. Na danke. Den 4. Platz buchen wir unter Zugzwang gegen eine viel zu kleine Entschädigung in die Holzklasse um. Audrey opfert sich für die Gruppe und fährt semi-cama. Im Bus laufen schreckliche Musikvideos bei ca. 150 dB und es gibt noch einmal HappiHappi, bevor ich auf dem Weg nach Lima einschlafe…

Rurrenabaque

Die Busfahrt nach „Rurre“ buchen wir trotz des geringen Aufpreises im Reisebüro in Coroico, um ganz sicher zu sein anzukommen und auch ja keine Zeit zu vertrödeln. In der Servicewüste Bolivien bedeutet das, dass wir uns selbst ein Taxi suchen müssen, das uns in den nächsten Ort fährt, um da unseren Bus „zwischen 1 und 3“ zu erwischen. Kurz nach 1 unten haben wir Angst ihn schon verpasst zu haben, kriegen aber vom freundlichen Schrankenwärter gesagt, dass der Bus gegen 5 hier vorbeikommen müsste. Gleich darauf gesellen sich 2 Österreicherinnen zu uns Wartenden und erklären uns warum: Heute war Erdrutsch und die Strasse muss freigeräumt werden. Diese Fahrt wird uns noch eine Weile in den Knochen stecken, in nächster Nähe zum Abgrund mit überhöhter Geschwindigkeit und das im Dunkeln, ist sie teilweise ganz schön anstrengend auszuhalten.

Der erste Tag vor Ort wird gleich ziemlich kurzweilig. Wir suchen uns fix Hostel und Essen. Dann wagen wir uns ins nächste Fahrt-Abenteuer, als wir uns ein Motorrad mieten (eigentlich mehr Motorroller, Schwalbe-Style) und damit die Strassen (es gibt eigentlich nur 3) auf und ab cruisen.

Hier fällt auf, wie oft man als Reisender Leute wiedertrifft, und das doch eingentlich alle Touris ein ähnliches Programm haben. Zum x-ten Mal begegnen wir den arroganten Französinnen, mit denen sich ein gegenseitiger kleiner Hass aufgebaut hat, und auch die Ösi-Mädels sieht man immer wieder. Wir vergleichen mal wieder Preise für Touren und buchen einen 3TagesTrip in die Pampas, wo es viele Tiere zu sehen geben soll. Der beginnt mit einem Motorradfahrer, den unser Fahrer zu spät sieht und mit dem Jeep über den Haufen fährt. Zum Glück reagiert der unangenehm Berührte direkt richtig und fährt mit heulendem Motor an, so dass ausser einem bisschen Plastik nichts zu Schaden kommt. Dafür gibt’s für den wütenden Biker 50 Bs auf die Kralle und weiter geht’s. Gestern hatten wir gemeinsam mit 3 Deutschen die Tour gebucht, die gemeinsame Gruppe, die uns von Luftikus-Luis, dem Seller in der Agency versprochen wurde, kommt jedoch nicht zu stande. Egal, unsere Gruppe ist auch cool, besehend aus inklusive uns 3 Pärchen und zwei Schäkernden. Ausserdem gibt es aus dem Boot unterwegs zur Ecolodge einiges zu sehen: Krokodile, Alligatoren, Kaimane („Wo ist denn da der Unterschied?“ würde Icke jetzt fragen), Flussdelfine, Totenkopfäffchen und viele verschiedene Vögel.

Nachts brechen wir nochmal im Boot auf und leuchten Krokodilen in die Augen, die dann cool rot und blau reflektieren. Unter anderem sehen wir eine kleine Familie mit 40 Babies. Unser Guide Ronaldo ist leider recht schweigsam und erzählt von sich aus nicht viel. Am nächsten Morgen auf Anaconda-Suche stapft er schweigend voran und wir 2 Stunden hinterher, ohne genau zu wissen, weswegen wir eigentlich hier sind. Die Anaconda hat bei dem schlechten Wetter keinen Bock und lässt sich nicht blicken. Der Regen hört nicht wirklich auf, trotzdem ziehen wir am Nachmittag den Programmpunkt „Schwimmen mit Delfinen“ durch. Die rosaroten Flussdelfine schwimmen jetzt im Winter noch an den wenigen einigermassen tiefen Stellen im Yacuma-Fluss. Wo sie unterwegs sind kann gefahrlos geschwommen werden, sie vertreiben Piranhas und Krokodile. Ein paar Wagemutige springen ins Wasser und sind den Tieren ganz nah. Ein bisschen Vorsicht ist geboten, da die Viecher auch beissen und einen unter Wasser ziehen können.

Nach dem Abendessen taut Ronaldo endlich auf und gibt eine Geschichtenstunde. Er plaudert über die Natur, seinen Job als guía hier und vorher in Brasilien und über lästige Touristen, die nicht auf ihn gehört haben und von Piranhas angeknabbert wurden. Am späten Abend gibt es Lagerfeuer mit Sitzen und Schnitzen und Quatschen.

Der dritte Tag beginnt mit Gewissensbissen. Wir fischen Piranhas fürs Mittagessen. Julia steigt bald aus, weil sie es nicht gutheissen kann, dass die kleinen Fische zurückgeworfen werden. Ich ziehe einen kleinen Piranha an Land, ärgere mich aber die meiste Zeit über die blöden Fische, die es immer wieder schaffen, meinen gesamten Köder zu vertilgen, ohne wirklich anzubeissen. Ich stelle mir vor, wie sie sich einen feixen und die blöden Touris, die sie jeden Tag gratis füttern, hart auslachen.

Dann geht es mit Boot und Jeep zurück nach Rurre, elendig lange Fahrten, die aber dank der netten Menschen aus unserer Gruppe einigermassen erträglich bleiben. Abends gehen wir mit der ganzen Gruppe lecker Pizza essen, einige der Menschen hier treffen wir bestimmt wieder, in Belgien oder England oder Israel oder bei uns.

Coroico

Am Ortseingang von Coroico steht auf einem Schild „Bienvenido a Coroico – Welcome to paradise“. Das Schild hat recht, wir sind im Paradies gelandet. Saftig grüne Berge, Pflanzen mit blutroten Früchten, Vögel mit knallgelben Federn, Kolibris, die kaum größer sind als Schmetterlinge, verrückte Dschungelfarne, eine Unterkunft der Superlative und wo man hinblickt nette Menschen. Die Idylle stören nur jeweils 50 Mückenstiche beim Aufwachen ab den Füßen aufwärts. Wieder Zeit zu entspannen und zum Lesen (sehr zu empfehlen von Precht: Wer bin ich und wenn ja wie viele?). Eine Wanderung machen, auf der wir zwar nicht den ursprünglich anvisierten Wasserfall erreichen, aber einem spannenden Pfad durch den Dschungel folgen und auf dem Rückweg leckere Mandarinen frisch von der Plantage snacken. Auf der Plaza bei einer Zirkusnummer als Zipfelmützenbert assistieren und mit Macheten jonglieren, dabei einen kaputten Finger abholen. Im hosteleigenen Restaurant, welches von einem französischen Aussteigerpaar betrieben wird, 4 Tage hintereinander mein neues Lieblingsgericht bestellen, Steak à la Roquefort. Und ganz viel am Pool liegen.

El camino de la muerte

In eisiger Kälte checken wir um 7:30 Uhr aus dem Hostel aus, um noch schnell 2 trockene Brötchen zu frühstücken. Um 8 Uhr geht’s im micro-Bus vom Büro der Agentur Vertigo-Tours los. Hoch, immer höher, la Cumbre. Der auf 4.700m gelegene Ort ist Startpunkt aller Fahrradtouren die Straße des Todes hinunter und sonst eigentlich nichts. Wir bekommen unsere Räder und die übliche Sicherheitskleidung und dürfen uns ein paar Runden einfahren. Unser smarter Hipster-Guide Kenneth erklärt uns die Regeln: Spaß haben, ohne sich ernsthaft in Gefahr zu bringen lautet die Devise. Auf dem ersten asphaltierten Stück herrscht Rechtsverkehr, auf der alten Schotterpiste Linksverkehr, immer schön am Abgrund auf der Hangseite entlang. Die gefährlichste Straße der Welt, an manchen Stellen nur 1,5m breit, die einst von den Inkas aus dem Fels gehauen wurde, war lange Zeit die einzige Verbindung von Coroico nach La Paz. Durch die extreme Enge und Steile, die schmalen Kurven und komplett fehlende Sicherheitsbegrenzungen, fielen damals 26 Autos pro Jahr in den Abgrund. Dann wurde die neue Umgehungsstraße gebaut, die die Lage vor 10 Jahren auch erheblich verbesserte. 10 Jahre lang wurde die Straße fast ausschließlich von downhillbegeisterten Biketouristen genutzt. Die neue Straße ist jetzt allerdings schon wieder ganz schön kaputt, vormittags wird instandgesetzt, nur nachmittags darf gefahren werden. Weil die alte Route außerdem deutlich kürzer ist, haben die bolivianischen Autofahrer sie wiederentdeckt. Es ist hier wieder so befahren und fast so gefährlich wie früher.

Und da sollen wir jetzt runter.

Auf der asphaltierten Straße düsen wir gleich ganz schön los, alle in unserer 10-köpfigen Gruppe können super Fahrrad fahren. Nur einem Israeli, der mitgekommen ist, um seinen Kumpel zu begleiten, geht schnell die Puste aus und wir warten immer wieder auf ihn. Dadurch haben wir aber Zeit kurz zu verschnaufen, Fotos zu machen und Autoteile im Abgrund zu bestaunen.

Die Vegetation ändert sich total schnell. Von 100% kahl fahren wir bald hinein in die Wolken, bald durch eine Nebelwand und Sprühregen und es wird schneller grün, als man gucken kann.

Die Raserei geht zu Ende und wir faulen Touris werden für das kleine bergauf führende Stück in den Bus und die Räder auf’s Dach geladen. Wir kommen auf der alten, wirklich wahrhaftigen death road an. Es regnet in Strömen. Wir haben großen Respekt vor der Straße und Julia will am liebsten gar nichts losfahren. Wir werden klatschnass und megamatschig. Wegen der dichten Wolken ist nichts mit Panorama-Gucken. Meine Brille beschlägt alle 20m und die Sicht beschränkt sich so auf ca. 10m. Das Gefühl von Skiurlaub letzte Abfahrt. Und dann, plötzlich und als keiner mehr damit gerechnet hat, hört es auf zu regnen und dann bahnen sich erste zarte Sonnenstrahlen ihren Weg. Mit klarerer Sicht wird erst so richtig klar, welchem Irrsinn wir uns hier aussetzen. Am sogenannten balcony geht es direkt neben der Straße senkrecht 400m nach unten. Mittlerweile sind wir in den vollgrünen Yungas angekommen. Noch eine Sektion, liebevoll „mini death road“ getauft, hier ist man langsam übermütig geworden, weil man an der Bergseite fährt. Mit Vollspeed durch die Kurven. So geil.

Wir stinken wie Hulle, als wir dann wirklich unten ankommen, sind aber amüsiert wie Bolle. Den Rückweg nach La Paz machen wir nicht mit, weshalb wir traurigerweise auch kein „I survived the death road“-T-Shirt bekommen. Dafür bekommen wir Coroico.

La Paz

Busfahren hier ist schön: egal ob cama oder semi-cama

Busfahren hier ist schön: egal ob cama oder semi-cama

Wir fahren mit einem luxuriösen Bus-Cama nach La Paz über Nacht. Die gibt es hier in verschiedenen Varianten und zeichnen sich durch deluxe-Sessel, die man 160° oder mehr nach hinten verstellen kann, aus. Weiß kein Mensch, warum sich die bei uns noch nicht durchgesetzt haben. Beim Ausstieg lernen wir eine kleine Familie kennen. Als wir auf der Suche nach einer erschwinglichen Unterkunft durch’s Touriviertel irren, kommt uns genau jene wieder entgegen. Wir beziehen zusammen ein 4er-Zimmer und lernen den 16-jährigen Guido, die 27-jährige Basilia und ihren 3-jährigen Sohn Jahfel näher kennen. Anfangs herrscht noch Verwirrung unsererseits über die Familienkonstellation, bis Basilia und förmlich erlöst, als sie Guido „hermanito“, Brüderchen ruft.

Schon im Vorhinein haben wir uns mit Elsa, einer Freundin von Julias Schule, verabredet. Sie kommt uns am Hexenmarkt, in dessen Umgebung wir wohnen, abholen. Zusammen besuchen wir das Coca-Museum, wo es viel zu lesen gibt über bolivianische Dschungellabore, Sigmund Freud als ersten exzessiven Kokser und die Coca-Cola-Company, die von einem mittellosen Apotheker 18schießmichtot für 1,75$ aufgekauft wird. Zwischendurch wird immer wieder betont, wie gesund und wohlwirkend die naturbelassenen Coca-Blätter sind.

Nach einem Mittagessen im südlich gelegenen Sopocachi-Viertel verpassen wir 2 micros (so heißen die kleinen Busse mit ca. 10 Plätzen) ins Stadtzentrum wegen Überfüllung (20 gehen da schon rein!), bis uns eine Frau anspricht und auf den Geburtstag des Kinos um die Ecke hinweist, welches heute Klassiker der bolivianischen Filmgeschichte for free zeigen würde. Wir schauen einfach mal vorbei und staunen nicht schlecht, als wir plötzlich in einer ARD-Produktion von 2010 sitzen, die „Bremer Stadtmusikanten“ als OmU mit spanischen Untertiteln. Wir feiern uns nach dem Geschmack unserer Nachbarn etwas zu laut auf dieses Highlight bolivianischer Hochkultur und beschließen dann, dass es das nicht gewesen sein soll und gucken uns im Anschluss noch „El Atraco“, welcher ein wenig an die Story von Butch Cassidy und Sundance Kid erinnert, an. Dann ist es auch schon Zeit fürs Abendessen und weil heute Tag der divine order ist, treffen wir jeweils zufällig noch einen Kumpel von Marie aus Cochabamba und vor dem viel zu teuren indischen Restaurant (außerdem ist Basmati-Reis aus, frech.) später noch David, einen Mit-FSJler von Elsa aus Peru.

Der nächste Tag beginnt chillig im Internetcafé. Plötzlich klimpert es rechts neben mir, ein Mann beugt sich herunter und fragt, ob das da mein Schlüssel wäre. Zum Glück habe ich vorher im Reiseführer, dass La Paz in Sachen Kriminalität zum „südamerikanischen Standard“ aufschließe. Nur deshalb bin ich fix genug und greife nach meinem Rucksack zu meiner Linken, kurz bevor der Komplize bei mir ankommt und jetzt unverrichteter Dinge vorbeigehen muss. Keine Sekunde zu früh. Kurz danach kommen 2 Bolivianer rein, um uns vor Dieben zu warnen, die uns angeblich schon seit der vorletzten Straßenecke verfolgen. Danke, dann haben wir das auch einmal erlebt und schadlos überstanden.

Unsere Zimmernachbarn sind extra wegen eines Fußballspiels heute angereist. Das Lokalderby zwischen Bolivar La Paz & The Strongest La Paz steht ins Haus. Das lassen wir uns nicht entgehen und lassen uns Karten mitbringen. Nachdem wir uns in Bolivar-Farben eingekleidet haben, gibt Elsa einem Journalisten live ein Radio-Interview und analysiert, dass Bolivar trotz Niederlage letzte Woche gegen Santa Cruz natürlich souverän gewinnen wird. Wir sind rechtzeitig im Stadion, um uns geile Plätze in der komplett blauen Bolivar-Fankurve zu sichern. Platzkarten gibt es hier nicht. Wir gewinnen 2:0, das Niveau Regionalliga. Hier im Stadion wird einem nochmal deutlich bewusst, dass Kinder ab 10 Jahren ganz normal arbeiten müssen. Alle, die hier Getränke und Snacks verkaufend 90 Minuten pausenlos durch die Gänge hustlen, sind entweder minderjährig oder Rentner. Anscheinend habe ich heute ein schlechtes Karma, denn als ich ein paar Reihen hochsteige, um mir eine gratis Knalltüte zu holen, erwischt es mich doch noch und mir werden aus der Hosentasche (!) 60 Bs geklaut. Besser als der Ruckack, denke ich mir. Abends verabschieden und bedanken wir uns von und bei unseren Freunden, für die morgen wieder eine normale Woche beginnt.

Es folgen 2 Tage La Paz mit 4 Museen & einigen Spaziergängen durch die Stadt, dem Schwarzmarkt und schließlich dem Abschied von Elsa. Außerdem shoppen wir eine Death-Road-Tour und entscheiden uns, danach unten im warmen Coroico zu bleiben.

Cochabamba die 2.

Wieder zurück nach Cochabamba, wieder wohnen und entspannen bei Marie. Alles ist schön, nur das Pollo, das es in allen Farben und Formen gibt kommt mir schlussendlich aus den Ohren raus und nach einem Besuch bei Chicken’s Kingdom muss ich mich fast übergeben. Das bedeutet am nächsten Tag einen ganzen Tag zwischen Bett und Klo, an sich unangenehm, aber das Ganze hat auch etwas Positives. Ich habe nämlich endlich mal wieder genug Zeit, ein ganzes Buch zu lesen: Che Guevaras bolivianisches Tagebuch klingt wie ein Abenteuer von 50 kleinen Jungs, die das Land erorbern wollen.

Samaipata

Wir fahren tags in Sucre los und werden mitten in der Nacht im Hippie-Dorf Samaipata rausgeworfen. Wir finden mit dem richtigen Riecher und einer knappen Wegbeschreibung das Hostal El Jardin, wo eine verschlafene Voluntärin uns in das für uns reservierte Zimmer bringt.

Dann ein paar Tage richtig gemütlich machen, Urlaub mit Susi und Matze und 30 Grad. Samaipata ist nicht umsonst Aussteigerort: Schön, ruhig, sonnig. Das Hostal El Jardin das i-Tüpfelchen, der Garten Eden im Paradies eben. Es passiert nicht viel, wir verbringen eine ereignisarme, dadurch aber nicht weniger schöne Zeit. Ein Ausflug, der laut Karte an einem buddhistischen Kloster enden soll, führt Julias Eltern und mich zu einem Heilzentrum, wo wir zufällig am grossen gentechnikfreien-Samentauschtag ankommen. Alle alternativen Bauern der Gegend kommen, um Samen von anderen Gemüsesorten zu ertauschen. Zum grossen Mittagessen mit allen werden wir prompt eingeladen.

Für Aufruhr sorgt dann nur noch die Steuerfahndung: Volkssport Nummer eins sei hier die Steuerhinterziehung erklärt mir Carlos, der Tourguide vor Ort. Im Hippiedorf kumuliere das Ganze darin, dass der Fiskus hier regelmässig rote Zahlen schreibe. Wenn dann mal jemand vorbeikommt, um nach dem Rechten zu sehen, verschwinden plötzlich die Obst- und Gemüsestände an der Strasse und an fast allen Hostels und auch am Lieblingsschmuckgeschäft hängen grosse Plakate, die grossspurig die vorübergehende Zwangs-Schliessung des Etablissements verkünden.

zu.

Doch sie wären keine Bolivianer, wenn sie die Stände, sobald die Luft rein ist, nicht sofort wieder aufbauen würden und ausserdem die Tomaten an die Touristen so lange zum doppelten Preis verkaufen würden, bis das aus einem halben Tag Schliesszeit resultierende Minus wieder reingewirtschaftet wäre.

An unserem letzten Tag unternehmen wir einen Ausflug zu einem Park namens „Las Cuevas“, wo es eine dolle Wasserfall-Berglandschaft-Kulisse zu bestaunen gibt und davor nicht minder dolle Möchtegern-Modells und (Fake?-)Hochzeitspaare, die sich shooten lassen. Wir verbringen einen Strandtag auf bolivianisch, weil man hier kein Meer kennt, ist der Familienausflug zum Sand neben dem Wasserfall das Highlight der Badewoche inkl. Beachfussballspiel, in das von der kleinsten Schwester bis zum Grossvater alle einbezogen werden.

Auf dem Hinweg hatten wir uns noch ein Taxi geteilt, zurück fahren wir für den halben Preis mit dem Mittelstreckenbus, den wir mitten auf der Strase anhalten. Wir sitzen vorne auf irgendwelchem Gepäck, da natürlich sowohl alle regulären Sitzplätze besetzt sind, als auch die mit Plastikstühlen im Mittelgang installierte fünfte Sitzreihe keinen Platz mehr bietet. Wann immer jemand von hinten raus muss, geht das Geschiebe los, Männer halten Plastikstühle über dem Kopf und Frauen heben ihre Rockzipfel, um nach vorne durchzuklettern. Just to give you an impression.

Samaipata war ein Urlaub im Urlaub. Eine Woche Gartenidylle lassen wir bei Abfahrt genauso hinter uns, wie unser brandneu im BookExchange erworbenes Buch. Ein Grund mehr, hierher noch einmal zurückzukehren…

Sucre

Wir schaffen es endlich einmal, einen Bus kurz vor Abfahrt zu erwischen und so den Preis zu drücken. Ich freue mich riesig über umgerechnet 20 Cent Verhandlungserfolg.

Am nächsten Tag gucken wir zunächst ein bisschen in der Stadt rum. Die Menschen in Sucre, offiziell noch Hauptstädter, benehmen sich auch genau so. Hier sieht man kaum Cholitas, viele Markenklamotten und viele hohe Nasen. Dann buchen wir eine Quadtour, ich wollte das unbedingt machen. Wir latzen 800 Bs. Julia und ich sitzen auf einem Quad und bekommen dazu 1 Führer und einen „Übersetzer“ nur für uns. 3 Runden Slalom auf dem Fussballfeld zum Üben und ab geht die wilde Britze. 1 Stunde habe ich mit Julia hinten drauf Fun auf der fettesten Maschine (max speed 120 km/h), die der Veranstalter im Stall hat. Danach übernimmt Julia das Steuer, fährt 10 Minuten lang super. Kurze Pause und ein Poservideo später kommen wir leicht rechts von der „Strassse“ ab, dann geht alles ganz schnell: 2 Sekunden später liegt das Quad auf dem Kopf, die Räder drehen durch, Benzin läuft aus. Julia liegt daneben, ich bin irgendwie zum Stehen gekommen. Gott sei Dank kommt sie mit ein wenig Aua am Kopf und am Steissbein davon, bei steckt nur der Schock in den Knochen, sonst alles in Ordnung. Nach elend langen 2 Minuten kommen Limber und Ivan, unsere Guides, die schon um die Ecke vorgefahren waren, zurück. Gemeinsam kriegen wir das Gefährt umgedreht, das fortan aber nicht mehr bremsen kann. Also tauschen wir, ich fahre das rote Gerät mit Schaltung und einer Julia,  die die Nerven behält, hinten drauf zurück.

Das war’s, unsere erste Quadtour. Hat gut Bock gebracht, bis zum Unfall. 70 latzen wir noch für die kaputte Bremse.

Am Dienstag holt uns Sascha von der Plaza ab, um uns seine Arbeitsstelle zu zeigen. Den Hannoveraner weltwärts-FSJler hatten wir auf unserer Salar-Tour kennengelernt. Vormittags arbeitet er mit jugendlichen Straftätern und deren unausgebildeten Betreuern und nachmittags im Kinderheim. Wir holen mit ihm die Kinder von der Schule ab und verbringen einen Nachmittag mit ihnen. Die 6 Jungs haben entweder keine Familien mehr, oder wurden von überforderten Eltern hier abgegeben. Sie geniessen, dass mit Sascha jemand da ist, der sich für sie interessiert und ihnen Programm bietet: Fussballspielen oder Fahrradfahren abseits der Gleichgültigkeit der anderen Betreuer und deren antiquierten Disziplinierungsmethoden (in einer Reihe aufstellen, im Gleichschritt marschieren etc.). Ausser zur Schule dürfen die Jungs nie raus und auch niemanden einladen. Nachts werden sie eingeschlossen. So freuen sie sich umso mehr, wenn Sascha mit ihnen mal einen Ausflug unternimmt. Wir erleben die 6 als ziemlich süss und relativ glücklich. Als wir gehen, wirkt es, als hätte unser Besuch sie gefreut, auch wenn die Kommunikation schwierig war, da wir von ihrem Kauderwelsch so gut wie nichts verstehen konnten.

(Fotogalerie aus dem Heim darf aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht gezeigt werden.)

Potosí

Es wird ein zauberhafter Tag. Wir dürfen im Bus nach Ankunft noch 2 Stunden weiterschlafen, guter Anfang. Wir fahren mit dem Taxi zu dem einzigen Frühstücksrestaurant, welches laut Reiseführer schon geöffnet habe, aber natürlich noch geschlossen hat.
Wir bringen unsere Rucksäcke in ein Hostel und buchen dort ein Zimmer für die Nacht. Der Plan ist, die Stadt ganz entspannt zu erkunden und ein Museum zu besuchen, um uns morgen früh auf in Richtung des Cerro Rico („Reicher Berg“, welcherb das Panorama hinter der Stadt prägt) zu machen. Doch es soll anders kommen. Da wir ja immer noch nicht gefrühstückt haben, scoute ich das Buffet, welches gerade im Hostel aufgefahren wird.
Zwischen pappigen Cornflakes und etwas Pfirsichmarmelade entdecke ich Josephine aus meinem Abitur-Jahrgang. Sie studiert gerade ein Jahr in Santiago de Chile und tript während ihrer Ferien mit ihrer Mitbewohnerin Susi aus Berlin durch Bolivien und Peru. So trifft man sich am anderen Ende der Welt wieder.

im Hintergrund der Cerro Rico

im Hintergrund der Cerro Rico

Nachdem wir uns genug über diesen grossen Zufall gefreut haben, gehen wir mit unserer 4-köpfigen Reisegruppe die Kathedrale der Stadt besichtigen. Auf der Suche nach dem Eingang spreche ich zufällog Christian an, Student an der FU Berlin, Politikwissenschaft, als ob das des Zufalls nicht genug wäre auch noch aus meinem Semester.
Vom Glockenturm haben wir 5 einen super Ausblick auf die Stadt und den mächtigen Cerro Rico. wir beschliessen, noch heute in die Silbermine herabzusteigen. Nachdem uns der Touranbieter einige Ängste nehmen und einige andere schüren konnte, wagen wir uns an die Hauptattraktion der Stadt, den Grund weswegen wir eigentlich hier sind: Die Minen im Cerro Rico. Viel haben wir schon darüber gelesen: 1545 entdeckt hat die Silbermine bis heute 8 Millionen Leben, hauptsächlich die von indigenen Sklaven, gekostet. Unter schrecklichen Bedingungen, die Sklaven wurden 3 Monate unter Tage festgehalten mit nichts als Koka als Nahrung, bevor sie eine Woche Urlaub bekamen, um menschliche Arbeitskraft für die Minen nachzuproduzieren, wurden hier etiche Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode geschunden.
Auch heute sind die Bedingungen nicht wesentlich besser: Noch immer schuften hier 15.000 Männer und hoffen ein paar letzte Krümel Silber und vor allem aber Zink und andere Edelmetalle zu finden, um ihre Familien zu ernähren. Gearbeitet wird immer noch grösstenteils manuell (Spitzhacke und Dynamit) und Geld gibt es nur, wenn tatsächlich auch wertvolles Gestein zu Tage gefördert wird. Lange hatten wir gezögert, runter in die aktive Mine zu gehen, teils aus Angst (Die Mine ist sehr unsicher. Es existiert kein Plan, wo welcher Stollen verläuft. Deshalb besteht ständig akute Einsturzgefahr. Mancher wohlgelaunte Traveller ist nicht wieder hochgekommen. Ausserdem besteht die Gafahr, wegen der Enge und dicken Luft in Panik zu geraten.), teils aus Respekt vor den Minenarbeitern, die sich ja wohl wie Zootiere fühlen müssten, wenn zwei mal am Tag Gruppen kommen, um sich das Elend anzusehen.
Dann geht’s los. Unser Führer Ronald steckt uns zuerst in Sicherheitsklamotten. Schmutzfester Anzug, Gummistiefel, Helm, Kopflampe. Dann werden wir gedrängt einen Namen für unsere Gruppe zu finden. Von nun an firmieren wir als „Sexy Dynamites“. Erster Stop am Miner’s Market. Touristen kaufe

am Eingang

am Eingang

n hier Dinge, die den Minenarbeitern unter Tage eine Freude machen, es ist üblich Geschenke mitzubringen. Wir kaufen mehrere Dynamitstangen, säckeweise Kokablätter, Säfte und Wasser und natürlich Ceibo, den 96%igen Minenschnaps. Der wird sich heute noch besonderer Beliebtheit erfreuen, denn es ist Freitag und da wird traditionell gesoffen. Der letzte Freitag im Monat ist dann immer das i-Tüpfelchen in dieser Tradition. Vor dem Stolleneingang schwören wir uns mit einem fröhlichen „SEXY DYNAMITES LETS GO!“ ein. Dann in den Berg. Schon nach wenigen Minuten wird es staubig und anstrengend zu atmen, die erste Touristin springt ab und kehrt mit dem Führerassistenten, der für solche Fälle abgestellt ist, um. Wir bewegen uns eine Weile horizontal auf dem so genannten ersten Level und bekommen die Statue des „tío“, der Teufel, der von den mineros als Gott verehrt wird, zu sehen. Um gute Flöze und sichere Stollen beten sie ihn an, er ist bedeckt mit Opfergaben, Koka-Blätter, Bier und Schnaps. Wann immer hier unten angestossen wird, geht der erste Schluck für den tío auf den Boden. Auf dem ersten Level arbeiten kaum mineros, dafür begegnen wir einer Dreiergruppe, die saufend in der Ecke chillt und uns mit „Hola Gringos putos“ begrüsst. Sobald sie aber sehen, dass unsere Gruppe aus 70% Frauen besteht, hellen sich ihre Gesichter auf und sie fragen alle Damen, wie alt sie seien und woher sie kämen.

auf ein Schlückchen mit dem tío

auf ein Schlückchen mit dem tío

Wir steigen ins zweite Level ab (Ich denke so „Level up!“) und es wird deutlich enger und wärmer. Die Temperatur-Amplitude in der Mine beträgt 45ºC. Unsere Gruppe dezimiert sich weiter, der Assistent hat zu tun. Julia und ich bleiben tapfer dabei. Auf allen Vieren geht es weiter, vorbei an einer Gruppem, die gerade Feierabend macht und ihre mit hoffentlich edelmetallreichem Gestein gefüllte Lore in Richtung erstes Level schiebt, vorbei an Zweien die eine Winde bedienen und Gestein aus dem vierten Level in Körben aus Lamahaut hochziehen, 45 kg schwer pro Stück und vorbei am 22-jährigen Carlos, der für uns alle beim Fotoshooting posiert.

mit Carlos

mit Carlos

An alle Arbeiter verteilen wir fleissig Geschenke und alle reden mit uns und teilen ihr Leben mit den wildfremden Touristen. Manche arbeiten seit 30 Jahren hier unten. Ihre Stimmen sind belegt und ihre Augen glasig, die Zähne vom Koka verfärbt. Manche sind in der Mine seit sie 9 Jahre alt sind. Manche freuen sich über uns und vor allem die Girls, manche schimpfen, weil Frauen in der Mine Unglück bringen. Seit dem letzten Krieg arbeiten hier ausschliesslich Männer. Beeindruckend ist, wie alle ihr Schicksal hinnehmen. Niemand in der Mine ist besonders glÜcklich, keiner besonders unglücklich, so scheint es. Es ist einfach normal, irgendwann mit Papa runterzugehen oder den zu ersetzen, wenn er verunglückt. Es gibt auch keine anderen Jobs in Potosí. Wer in der Mine arbeitet, kann bis zu 5 mal mehr verdienen, als der Durchschnittslohn. Es ist Blutgeld, die Lebenserwartung eines mineros liegt zwischen 45 und 50 Jahren.
Carlos läd uns zu einem Fest ein, auf dem er morgen traditionelle Tänze vorführen wird. Er hat sich seine Lebensfreude in 13 Jahren unter Tage bewahrt.
Wir steigen ab in Level drei. Alle Arbeiter arbeiten auf eigene Rechnung, teils allein aber grösstenteils organisiert in Kooperativen und kleinen Gruppen bis zu 10 Leuten. Wir treffen eine angetrunkenen 3er Gruppe, die gerade die Spitzhacke gegen die Bierflasche eingetauscht hat. Ich komme mit dem Vorarbeiter ins Gespräch, wir reden über Fussball und er erklärt mir auf Nachfrage, dass er keine Uhr brauche, weil sein Herz ihm die Zeit sagen würde. Ich halte das nur für die halbe Wahrheit. Zeit spielt hier vor allem deshalb keine Rolle, weil man eben erst wieder hoch kann, wenn das Tagessoll erfüllt ist. Dann frage ich Jong (so spricht er seinen Namen aus.) nach seiner Familie. Er hat 2 Töchter und einen Sohn, auf den er mächtig stolz ist. Ob der später auch in der Mine arbeitet? Nein, sagt Jong und dann sehr weise „Die Mine wird mich umbringen, aber nicht meine Kinder.“ Die sollen studieren und es mal besser haben. Ausserdem ist in 20-30 Jahren eh Schicht im Schacht. Dann wird sich der Bergbau an diesem Ort nicht mehr lohnen. Was dann mit 15.000 Arbeitslosen und deren Familien passiert, weiss wahrscheinlich niemand, nichtmal Evo höchstpersönlich. Oder mit dem Cerro Rico, dessen Spitze durch den Bergbau schon um 500 Meter abgesunken ist, der einem Schweizer Käse ähnelt und nur darauf wartet, eines Tages zu kollabieren.
Auf meinen Wunsch hin, Menschen bei der Arbeit zu sehen, steigen wir noch einmal in einen ganz engen Schacht ab. Hier ist es so eng, dass man auf dem Bauch kriechen muss. Leider muss ich feststellen, dass neben meiner Hüfte nichteinmal 5 cm Platz für meine Kamera sind, das Display bricht. Dafür sehen wir jetzt einen minero in action. 5 Menschen liegen in dem ca. 50 Zentimeter hohen Gang hintereinander. Wir sehen nur den ersten die Füsse des zweiten. Seit heute morgen um 10 Uhr, jetzt ist es 17 Uhr, klopfen sie an dem hier äusserst harten Gestein, um heute abend um 10 mit 5 Dynamitstangen alles in die Luft zu jagen. Einzige Hilfsmittel sind Hammer und Meissel. Es ist hier so unerträglich heiss, dass man am liebsten alles ausziehen würde. Wir schenken der dankbaren Truppe unsere letzten Präsente, das Dynamit wird wohlgelaunt ins Dunkle nach Hinten durchgereicht.


Dreckis und durchgeschwitzt, aber mehr als glücklich klettern wir zurück an die Oberfläche. Draussen, wo es mittlerweile kalt geworden ist, erwartet uns der Rest unserer Truppe und ein Abschlussbierchen in den Verschlägen mit den feierabendreifen Arbeitern.
Was für eine Erfahrung.