Kanada: Unendliche Weiten

Die Niagara Fälle sind die wohl mächtigsten Wasserfälle der Erde und damit nicht nur ein Land sich damit schmücken kann, liegen sie genau an der Grenze zwischen den USA und Kanada. Die bessere Aussicht soll man laut Lonely Planet und persönlichen Erfahrungen von Freunden von der kanadischen Seite aus haben und so machen wir direkt rüber, was auch ganz einfach funktioniert, die Rückeinreise in die USA wird vermutlich nicht so schnell gehen. Der Anblick ist schon sehr gewaltig, die stürzenden Wassermassen werden auf einem 200° umspannenden Halbkreis aus Felsvorsprüngen förmlich eingesaugt, nach unten, in ein Wasser fressendes Loch. Natürlich müssen wir uns diesen Anblick mit 2794 anderen Menschen teilen, aber zum Glück ist ja genug Wasser für alle da. Außerdem werden wir uns vielleicht noch nach Menschenmengen zurücksehnen, sobald wir durch die menschenleeren Bundesstaaten in der Mitte Kanadas gereist sein werden.

Und dann geht es in die unendlichen Weiten Kanadas. Wir haben an der Ostküste länger verweilt als im groben ursprünglichen Plan vorgesehen war, und daher müssen wir uns jetzt langsam mal ein bisschen beeilen, um noch etwas von der Westküste sehen zu können. Schon in 20 Tagen müssen wir Basti in L.A. abholen. An einigen Tagen fahren wir also so lange, wie es eben geht. Bis zu 1000km reißen wir an den intensivsten Tagen runter. Naiverweise hatte ich vor ein paar Wochen allein auf dem Weg von Minnesota nach NYC noch angenommen, dass ich mit Julius ja zu zweit am Steuer wechseln könnte und daher doppelt so viel Strecke machen könnte, wie meine 600km am Tag. Diese Rechnung geht natürlich nicht auf, 1000km täglich ist irgendwie das kräftemäßige Maximum.
Eines Nachts werden wir erst längere Zeit von einem Polizeiauto verfolgt, bis es schließlich an uns vorbeizieht, vor uns zum Stehen kommt und uns somit auch zum Anhalten zwingt. Ob wir das Licht nicht gesehen hätten, fragt der Polizist und bereits recht unwirsch. Wir fragen nach, um sicherzugehen: Welches? Daraufhin kommt sich der Cop endgültig verarscht vor: „Was meinst Du welches? Das, was wie ein blinkender Weihnachtsbaum leuchtet!“ Achso, die Sirene. Ja war uns schon aufgefallen, wir haben aber anscheinend die falschen Schlüsse gezogen und sind einfach schön langsam und geradeaus weitergefahren. Hier in Kanada muss man jedenfalls anhalten, wenn hinter einem die Polizei das Blinklicht einschaltet. „Das ist zuhause bei uns ganz anders!“ können wir glaubhaft vermitteln, bei uns würden die Polizeiautos eine Leuchtschrift mit „Anhalten“ durchlaufen lassen. Stimmt das überhaupt? Wie auch immer, wir kommen nach Vorzeigen unserer Papiere ungeschoren davon.

Als wir am nächsten Tag an einem Schild vorbeifahren, welches den longitudinalen Mittelpunkt Kanadas anzeigt, erschrecke ich etwas. Wir sind ja lange nicht am östlichen Ende des Landes losgefahren und nach 2 Tagen brutalen Meilenmachens sind wir noch nicht einmal auf halbem Weg Richtung Vancouver? Das wird wohl noch einige Tage so weitergehen müssen. Zwischendurch kommen wir an so lahmen bis sehr lahmen Orten wie Winnipeg vorbei. Immerhin greifen wir bei einer Kennenlern- oder Abschlussfeier eines Unijahrganges einen Fusi ab. Und weiter auf dem Trans-Canadian Highway…

…111, 112, 113. So viele Waggons hat der Zug, der gerade an uns vorbeifährt. So lang sind die alle!
Mit Calgary erreichen wir nach langer Zeit im Flachland wieder eine vergleichsweise spannende Stadt. Wir kommen auch genau zur rechten Zeit, denn es ist das letzte Wochenende der „greatest outdoor show on earth“, die Calgary Stampede. Dort gibt es neben allerlei Standard-Rummel- und –fressbuden einige witzige Cowboy-Shows. Den Höhepunkt bildet das Rodeoturnier, welches dann doch und ein kleines bisschen wider Willen (ist das schon Tierquälerei?) faszinierend anzusehen ist. Hier wird auf Pferden und Bullen geritten, teilweise ohne Sattel, und es werden Stiere in Rekordzeit mit dem Lasso eingefangen. Leider fängt es nach der Hälfte so stark an zu regnen, dass wir die Finals nicht mehr anschauen können.
Von Calgary ist es nicht mehr weit, bis wir den eigentlichen Grund unseres „Abstechers“ nach Kanada erreichen. Die Rocky Mountains kündigen sich mit ein paar Hügelketten sanft an, verschwinden kurz wieder vollkommen, nur um schlussendlich in ihrer ganzen rauen Schönheit und Steilheit wie eine Wand vor dem Horizont aufzutauchen. Wir fahren in den Banff Nationalpark. Das Schild am Eingang mahnt, die Bären dürfen nicht gefüttert werden. In und um Banff gibt es wunderschöne, sehr blaue Seen zu sehen. Wir ärgern uns über die zahlreichen Selfie-Touristen, welche um diese Jahreszeit die Ufer des Lake Louise bevölkern, bevor wir selber ein Selfie machen. Es gibt im ganzen Park viele Wanderwege unterschiedlichster Länge und Schwierigkeitsgrade. Wir entscheiden uns für einen Halbtagesaufstieg, welcher hinter dem Lake Louise zu einem Gletscher hochführt. Auf dem Rückweg zum Campingplatz gibt es einen kleinen Grizzly-Bären zu bestaunen. Dieser wandert gemütlich ganz nah an der Straße entlang und verursacht dann auch gleich den im Reiseführer beschriebenen „bear jam“, einen Stau, der entsteht, weil alle Selfie-Touristen ein Foto vom Bären schießen wollen und ihr Auto einfach irgendwo am Straßenrand abstellen, so wie wir, oder noch besser gar nicht erst von der Straße herunterfahren, sondern anhalten und den Bären aus ihrem Auto fotografieren, ohne sich daran zu stören, dass sich hinter ihnen der Verkehr bis an den Horizont staut.
Im Auto schläft es sich weiterhin ganz gut, wir finden immer entweder Campingplätze oder sogar Parkplätze, auf denen wir kostenlos übernachten können. Wie das allerdings funktionieren soll, sobald wir mit Basti noch eine dritte Person unterbringen müssen, darüber zerbrechen wir uns ein wenig den Kopf, kommen jedoch noch zu keiner Lösung. Das Zelt, welches wir zum Auto dazubekommen haben, ist leider kaputt.
Im Jasper Nationalpark gibt es endlich etwas weniger Menschen. So konnten wir z.B. noch einen Platz auf dem „richtigen“ Campingplatz ergattern und nicht auf dem sog. „overflow“, den alle Campingplätze hier im Sommer öffnen.
Heute haben wir übrigens den Zählerstand von 5555.5 Meilen gerissen und erreich kurz darauf Vancouver.
Vancouver ist auf jeden Fall die schönste Stadt in Kanada. Wir hängen mit ein paar lokalen Druffis im Park ab und gönnen uns gutes und ein bisschen verrücktes Essen, so wie z.B. Japadogs, eine Fusion aus fernöstlicher und nordamerikanischer Küche.

Mit der Fähre verschiffen wir uns plus Auto auf Vancouver Island. Sobald man es hier aus der Provinzhauptstadt Victoria heraus geschafft hat, gibt es vor allem ganz viel Urwald. Wir fahren in den südlichen Teil der Insel, biegen kurz vor dem touristenvollen Ort Tofino ab ins beschaulichere Ucluelet und spazieren dort den wunderschönen Wild Pacific Trail entlang. Außerdem finden wir hier am zweiten Tag den wohl bisher coolsten, wilden Campingplatz indem wir nur unweit der Straße einfach mal in einen Schotterweg einbiegen und auch weiterfahren, als es sehr eng und rumpelig wird, bis wir an einer kleinen Lichtung direkt am Wasser landen.
Morgens erfrischen wir uns noch kurz in dem eiskalten Gebirgsfluss und begeben uns zurück in die Stadt. Unser Kanada-Abenteuer endet in der Nacht des selben Tages bei der US-Grenzbeamtin Garfield, die es gar nicht so gut findet, dass ich mit meinem J-1 Visum wieder einreisen möchte. Nachdem wir ihr in halbstündiger mühevoller Kleinarbeit erklären können, dass in der heutigen Arbeitswelt manche Menschen nicht mehr jeden Tag in ein Büro gehen müssen, um Arbeit erledigen zu können und das deswegen mit meinem Arbeitsvisum alles schon so seine Richtigkeit hat, lässt sie uns schließlich wieder rein ins gelobte Land, „in dem sich Menschen für billigste Elektronik erschießen“.

So, jetzt tut mir meine Hand weh. Händisches Schreiben ins Tagebuch macht mir keinen Spaß mehr, spätestens seit an der U.S.-Uni alles, sogar die Essays in den Klausuren, am Computer geschrieben wurde. Handarbeit nur noch beim MC-Ankreuzen. Bis zum nächsten Mal!

2 Gedanken zu „Kanada: Unendliche Weiten

  1. Frage mich und euch, wie ihr Tramps es geschafft habt, die Grenzbeamtin davon zu überzeugen, dass du in einem USA arbeiten würdest, obwohl du ja schon Wochen on the road warst. Aber das sind wahrscheinlich die Geheimnisse, die eine erfolgreiche Umrundung der USA überhaupt erst ermöglichen.
    Auch verlangt mir das Kilometer-machen den größten Respekt ab. Weiß nicht, ob ich das mental unbeschadet überstanden hätte.

  2. Danke Lobosch, ich bitte auch noch um den Rest mit Jonathan, Merlin und Merlin
    ( „Enkel der Zweite“). Ich freu mich auf dich! Und wie geht es dir damit? Kannst du der Heimkehr auch positive Seiten abgewinnen?
    Liebe Grüße von Jörg

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