Bye-bye Minnesota!

Meine letzten Wochen in Minnesota sind geprägt von den Semester-Abschlussklausuren, die ich ohne allzu große Sorgen hinter mich bringen kann, da nur 1-2 der Kurse überhaupt auf mein Studium in Berlin angerechnet werden. Natürlich führt der Ehrgeiz, den man so im Laufe eines Semesters entwickelt, aber doch noch zu einigen lern-schwangeren und schlaf-losen Nächten in der Finals Week. Bevor wieder das traurige Verabschieden von allen schon wieder liebgewonnenen Internationals diesen Semesters anfängt, steht mir noch so einiges bevor. Erfreuliches und weniger Erfreuliches.
Erfreulich ist, dass ich zwei Mal von guten Freunden in ihre „cabins“ eingeladen werde. Jeder echte Minnesotan hat auf irgendeine Art und Weise Zugang zu einem dieser Ferienhäuser Up North, ein meistens nett an einem See gelegenes Wochenend-Refugium mit Zugang zum Wasser und ohne Zugang zum Mobilfunknetz.
Der erste dieser Trips geht super spontan mit einer gemischten Crew aus 4 ½ Kontinenten zur cabin meiner Buddy-Studentin Anna: Anna und Delane aus den USA, Francisco aus Ecuador, Burak aus der Türkei, Kajsa aus Norwegen aber zurzeit in Australien lebend, Carlos aus Spanien und ich machen uns in Annas Auto auf den 4 stündigen Weg nach Norden, nachdem wir am Vorabend aus einer anfänglichen Spinnerei einen handfesten Plan gemacht hatten. Burak nimmt für dieses verlängerte Wochenede den Umstand in Kauf, eine Klausur zu verpassen. Diese kann er zwar unproblematisch vorverlegen, muss diese dann aber gleich morgens, bevor wir losfahren, schreiben. Als wir ihn an der Uni abholen, hat er eine zweistündige Klausur hinter sich gebracht, nachdem er, als wir die Verabredung gestern um 23 Uhr endlich fest gezurrt hatten, noch 9 Stunden Zeit zum Lernen und Schlafen hatte, letzteres er zur Sicherheit lieber gleich hat sein lassen. Wir verbringen ein sonniges Wochenende mit Motorboot, Kanu, Jetski, Riesentrampolin und abendlichem gemütlichem Kaminfeuer. Auch ein nächtlicher Stromausfall kann uns den Spaß nicht verderben, unsere S’mores muss man ja schließlich eh am Kamin herstellen. Ich muss sagen, dass diese cabins eine sehr gute Geschichte sind, jede/-r sollte eine haben.
Daher bin ich natürlich auch sofort begeistert, als mir mein Studienfreund Daniel vorschlägt, mich für ein Wochenende auch in die cabin seines Onkels Bob mitzunehmen. Diese cabin ist dann wirklich „remote“: Sie liegt in den wunderschönen „Boundary Waters“ an der Grenze zu Kanada. Unwirklich, wie wir 6 Meilen mit dem Boot fahren müssen, da keine Straße zum Haus führt. Alles im Dunkeln. Die Anreise dauert insgesamt 7 Stunden mit Autofahrt zur Marina, Verladen des ganzen Zeugs und der gespenstischen Bootsfahrt durch die regnerische Nacht. Die Navigation funktioniert im Stockdunkeln nur mit Instrumenten, aber unser Captain Bob hat den Weg sowieso in Fleisch und Blut und navigiert uns sicher ans Ziel. Wir kommen an und wie geil ist das denn Strom gibt es hier nur sehr begrenzt aus Solarzellen, ansonsten ist Plumpsklo-Style angesagt. Mit Dan’s cooler Familie sitzen wir beim Kartenspielen in der gemütlichen Wohnküche, draußen prasselt der Regen auf den Steg. Trotz regnerischem Wetter wird auch dieser Trip unvergesslich: Mit Dan mache ich eine Kanutour bis zu der Stelle, an der er Jahre zuvor mal einen Geo-Cache versteckt hat. Mit allen spielen wir viiiiele Brett- und Kartenspiele, es gibt viiiiiel gutes Essen, unter anderem selbst gefangenen Fisch und dann gibt es auch noch den Jüngsten der Bande, Miles, der uns immer wieder in seine meist großangelegten Spiele miteinbezieht. Wir gehen „tuben“, also uns auf einem Gummiring in einem Affenzahn hinterm Motorboot herziehen und am letzten, etwas sonnigeren Tag bringen mir die Männer sogar das Wasserskifahren bei. Außerdem habe ich dank mangelndem Handyempfang endlich mal wieder Zeit für ein Buch.

Aber dann gibt es ja auch noch das weniger Erfreuliche: Wie schon vorher beschrieben, hatte ich seit einigen Wochen mit einer Blinddarm-Entzündung zu kämpfen und nach Rücksprache mit meiner Ärztin konnte ich mir durch entzündungshemmende Medikation zwar einige Wochen Zeit „erkaufen“, um es wenigstens noch durch die Finals zu schaffen. Danach ist es aber schlussendlich soweit und das Ding muss raus. Nachdem ich mit der Uni halbwegs geklärt habe, dass ich den Großteil der Kosten von einem „Notfall-Fonds“ erstattet bekomme, lasse ich mich in ein supermodernes „Surgery Center“, welches eher einem Hotel als Krankenhaus ähnelt, einliefern. Die Operation erledigt der Chirurg in Rekordzeit und dank der Hilfe einiger lieber Freunde, allen voran Ana, bin ich auch in den kommenden Stunden und Tagen rundum gut versorgt. Trotzdem ist es natürlich ätzend und vor allem anstrengend, 27 Mal am Tag aufs Klo zu müssen, nicht schwer heben zu können und sich ganz insgesamt einfach dreckig zu fühlen. Von Anfang an versuche ich mich einigermaßen aufzuraffen, vor allem, um noch einige schöne Momente mit den immer weniger werdenden anderen internationalen Studierenden zu verbringen. Und Eis oder Frozen Yogurt essen gehen kann ja auch für den Bauch nur gut sein, oder etwa nicht?!
Mittlerweile bin ich schon sehr lange von zuhause weg. So lange, dass ich gar nicht mehr weiß, ob meine Freunde daheim den Witz, den ich in unserem Atzenverteiler mache, verstehen. Mein Auszug gestaltet sich so auch aufwendiger als gedacht, weil man in einem Jahr natürlich doch mehr Kram ansammelt, als erwartet und vor allem, da ich wegen meiner noch nicht verheilten Narben mein Zeug in Mini-Portionen aus dem dritten Stock runtertransportieren muss. Zum Glück hat meine „amerikanische Familie“ (dieselben lieben Menschen, bei denen ich schon seit einem halben Jahr zum „Thursday Night Dinner Club“ eingeladen wurde) mir netterweise angeboten, für die letzten drei Wochen meiner Zeit in Minnesota bei ihnen in St Paul einzuziehen. Und so beziehe ich das ehemalige Kinderzimmer von Nancy’s und George’s erwachsenen und bereits ausgezogenen Söhnen, relaxe auf der im Sommer noch schöneren Porch und spiele LeBron’s Dunks auf den hauseigenen Hoop nach.
Mein Geburtstag naht und die grauenhafte Vorstellung, diesen so einsam wie niemals zu vor zu verbringen, bricht sich Bahn. Als es dann so weit ist, bewahrheitet sie sich glücklicherweise nicht, es ist im Gegenteil überhaupt nicht trist. Mittags gehe ich mit 2 Freundinnen kubanisch Essen und abends mit noch viel mehr Leuten feiern im Honey, zu endlich mal guter elektronischer Tanzmusik. Zwischendurch erreichen mich viele liebe Glückwunschnachrichten von zu Hause, alles in allem ein runder unrunder Geburtstag.
Das teuerste Geburtstagsgeschenk mache ich mir selber, als ich mir in derselben Woche endlich ein Auto kaufe. Wochenlang habe ich mit den Trip-Mitstreitern aus Berlin über Craigslist gebrütet und über Skype konferiert, nun endlich haben wir ein bezahlbares Atzenmobil gefunden. Der Dodge Caravan mit selbst eingebautem Bett statt zweiter Rückbank wird mir von der Spanierin Marta für $2,500 verkauft. Marta hatte mit dem Auto ebenfalls einen Roadtrip hinter sich und ihn zu diesem Zweck auf primitive, aber doch funktionierende Weise „umgerüstet“: Rückbank raus, ein aus Spanplatten gezimmertes Bett mit ordentlich Stauraum drunter rein, Haken und Ösen für Vorhänge angebracht und ein bisschen Kochgeschirr eingeladen. Ich ergänze den Wagen noch um einige praktischen Klettverschluss- und Lampenkonstruktionen, einen 12V-Kühlschrank und eine Dachbox, in die ich meinen ganzen Plunder stopfen kann. Einen kleinen Schock bekomme ich, als ich die Karre zum finalen Check-Up in die Werkstatt gebe. Der Mechaniker ruft mich an und berichtet: „Tut mir Leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber so könnense mit dem Auto nicht einmal durchs Land fahren“. Für Reparaturen im Wert von $500 kann ich mich wenigstens so weit freikaufen, als dass der Mechaniker behauptet, mit einer ordentlichen Portion Glück würde das Getriebe halten und ich unversehrt in Florida ankommen. Fortan wird regelmäßig für das Auto gebetet.
Meine letzte Woche in Minnesota genieße ich beim Fahrradfahren oder bei der Affenhitze manchmal auch gleich am See. Ich schaffe es, noch ein paar Dinge von meiner Minneapolis-Bucketlist abzuhaken, fahre hoch aufs IDS Center, besuche den Como Zoo und schaue mir ein Spiel von Minnesota United FC an. Ferner kann ich meinen im Januar in der Schwimmhalle begonnenen Open Water Tauchschein mit einigen Tauchgängen an zwei Wochenendtagen erfolgreich abschließen und darf nun überall auf der Welt tauchen gehen. Juhu! An einem unserer letzten gemeinsamen Tage gehen Ana und ich Tontaubenschießen im lokalen Schützenverein, wobei die Trefferquote zwar zu wünschen übrig lässt, der Spaß jedoch nicht.

2 Gedanken zu „Bye-bye Minnesota!

  1. Sehr schön mal so aus deinem Munde resp. deiner Feder von deinen Erlebnissen in der Ferne zu erfahren, die wir noch nicht geteilt haben. Hört sich alles sehr rund und nach einer Menge Spaß und Abwechslung an.
    Hug, Paps

  2. Danke Lobosch. So sind wir ein kleines bisschen mit einbezogen in deine Erlebnisse, können darüber staunen, dich bewundern und beneiden…..und es gibt immer viel zu lachen , dein Schreibstil macht einfach Spaß. Ich hänge hier mit Philip über deinem Text und wir freuen uns gemeinsam darüber.

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